Süddeutsche Zeitung

Spurensuche:Mein Haus ist meine Burg

Wir suchen in Literatur, Film, Kunst,Musik oder Architektur nach wiederkehrenden Motiven. Innenminister Horst Seehofer möchte Transitzentren einrichten. Dabei könnte er aus der Geschichte lernen, dass keine Festung uneinnehmbar ist.

Von Gerhard Matzig

Die Welt verändert sich ständig, nicht aber die großen Fragen, die die Menschen bewegen. Wir suchen in Literatur, Film, Kunst, Musik oder Architektur nach wiederkehrenden Motiven. Die "Festung" ist ein solches Motiv.

Als der Asyl-Kompromiss im Bundestag debattiert wurde, fiel eine Bemerkung aus den AfD-Reihen auf. Dort hieß es, der Bundestag sei besser bewacht als die deutschen Grenzen. Stimmt ja auch irgendwie. Während sich also die Politiker sicher fühlen dürften in einem Haus, das von solidem Mauerwerk, Wachpersonal und Antiterrorsicherheitsglas beschützt wird, müsse sich das Volk an der Grenze, etwa in Bayern, fürchten. Womöglich vor Hunnen, Tirolern, Problembären, dem Schatten der Alpen oder vor jenen täglich fünf Flüchtlingen, wegen der man sich erst eine Staatskrise und dann das neue "Grenzregime" ausgedacht hat.

In der Geschichte der Festungsarchitektur hat man oft festgestellt, dass auch dickere Mauern, tiefere Gräben oder festere Vesten nicht zu mehr Sicherheit führen. Die Veste, ein anderes Wort für Burg, die wie die Festung oder das Fort die Begrifflichkeit der Stärke (fest, hart, kräftig, lateinisch: fortis) im Namen führt, hat bereits im Mittelalter den Nimbus der Uneinnehmbarkeit verloren.

Als im 14. Jahrhundert die schweren Bombarden aufkamen, mit denen große Steinkugeln verschossen werden konnten, kam es zu einem absurden Wettrüsten. Erst wurden die Mauern dicker, dann die Kugeln größer, dann wurden wieder die Mauern dicker... bis aus der Burg und dem Stadtwall schließlich Ruinen wurden und die Kanone den Stadtpark zierte. Oder den Roman. John Irving hat in "Garp und wie er die Welt sah" die Kanone im Stadtpark zum idealen Abfallbehälter für gebrauchte Kondome unter Jugendlichen ernannt.

Womit man wieder bei der Schutzsehnsucht und ihrer sehr speziellen Architektur angekommen wäre. "Mein Haus ist meine Burg": Was für den Bundestag gilt, kann natürlich auch für ein Bundesland oder eine ganze Nation gelten. Und man muss sich über irrationale Ängste wie auch über berechtigte Sorgen ja auch nicht immer nur lustig machen. Doch leider, auf der ganzen Welt und in der gesamten Geschichte der Wehrhaftigkeit, hat sich auf Dauer noch nie irgendeine Mauer als undurchdringlich erwiesen. Dennoch sollte man die neuen Transitzentren der fiktionalen Nichteinreise im schönen Grenzgebiet unbedingt als Burgen planen. Diese lassen sich zu romantischen Fünf-Sterne-Hotels umbauen. Das ist nicht nur eine profitable Hotellerieform der Willkommenskultur, sondern erhöht auch den Ruinenwert unserer herrlichen Heimat.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2018
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