Spurensuche:Innen verwahrlost

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Dem Haus in Höxter sieht man nicht an, was drinnen passiert ist, es wahrt den Anschein von Normalität. Dass gestutzte Hecken keine Rückschlüsse erlauben auf die Menschen, die dahinter wohnen, davon handelt Ulrich Seidls Film "Hundstage".

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. "Hundstage" zeigt den Schrecken hinter bürgerlichen Fassaden.

Das Horror-Haus von Höxter, von dem in den vergangenen Wochen so oft die Rede war, sieht gar nicht schrecklich aus. Eher normal. Die Eigentümer wollen das Haus, in das ein Paar über Jahre hinweg Frauen lockte, sie ausnahm, misshandelte und schließlich gar umbrachte, abreißen - ist schon klar, dass dort niemand mehr einziehen will. Obwohl es nun eben gerade nicht das Haus ist, das einem Angst machen sollte, sondern es sind die Menschen, die darin wohnten. Es hat lange niemand gemerkt, was dort geschah, und das liegt ja an dieser Normalität: Man sieht so etwas einem Haus nicht an. Nicht mal, wenn man drin ist.

Das ist das Prinzip von Ulrich Seidls Film "Hundstage" (2001), gepflegtes Kleinbürgertum in der Wiener Vorstadt ist da zu sehen, ein Firnis der Zivilisation, und dahinter werden bald die rohen Seelen der Bewohner sichtbar. Eigentlich könnte es so schön sein, es ist Sommer, richtig heiß; aber die Hitze legt frei, was sonst in den Köpfen verborgen bleibt. Sechs Geschichten hat Seidl da verwoben, von einem Hundemörder und einem Rasenmähersadisten beispielsweise. Der Hundemörder ist Vertreter, sein eigentliches Ziel ist es, eine Alarmanlage zu verkaufen; und der unwillige potenzielle Käufer ist ein zwanghafter Querulant. Und dann gibt es noch ein Ehepaar, das sich gegenseitig das Leben zur Hölle macht, eigentlich nur, weil es den Schmerz über den Verlust ihres Kindes nicht verwinden kann. Eine der Figuren ist Anna (Maria Hofstätter), die einfach ein bisschen spinnt - sie lässt sich im Auto mitnehmen und treibt dann die Fahrer mit ihrem provokativen Gequatsche langsam zur Weißglut. Auch den Vertreter - der sie dann in ein Haus lockt, einsperrt und vergewaltigt, ein Machtrausch, mit dem er kompensiert, dass er sonst keine Macht hat.

"Hundstage" war der Film, mit dem Seidl einem breiteren Publikum bekannt wurde, ein Spielfilm mit der Präzision und dem Tonfall einer Dokumentation. Die Wiener Vorstadt in "Hundstage" zeigt er in perfekt durchkonstruierten Bildern, auf denen alles schön ist und nur die Menschen schwach und schrecklich sind - das wurde dann eine Art Markenzeichen für Seidls Filme, die "Paradies"-Trilogie und "Import/Export" und "Im Keller". Wohin Ulrich Seidl auch schaut, in seinen dem Leben abgetrotzten Fiktionen und den Dokumentarfilmen, er findet immer wieder das selbe Motiv: aufgeräumte Häuser, gestutzte Hecken - und verwahrloste Seelen.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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