Spurensuche:Gewalt erzeugt Gewalt

#MeToo konfrontiert die Öffentlichkeit mit sexuellen Übergriffen. Was aber ist die Lösung - Rache oder strukturelle Veränderung? Die Künstlerin Artemisia Gentlieschi schuf das passende Werk.

Von Kia Vahland

Spurensuche: Artemisia Gentileschis Judit enthauptet Holofernes.

Artemisia Gentileschis Judit enthauptet Holofernes.

(Foto: Uffizien, Florenz)

Noch ist nicht klar, ob die #metoo-Debatte um sexuelle Übergriffe auch strukturell etwas verändern wird, ob sie dazu führen kann, dass massive Grenzüberschreitungen in Machtverhältnissen künftig leichter benennbar sind, weil endlich jeder weiß, was sich gehört und was nicht. In einigen Fällen zogen Verdächtige oder ihre Auftraggeber und Vorgesetzten Konsequenzen aus Vorwürfen, es kam zu Rücktritten und Entlassungen. Vielleicht setzt sich die Einsicht durch, dass es eine Illusion, ja eine kindische Allmachtsfantasie ist, jemandem anscheinend Ohnmächtigen wehtun zu können, ohne dass irgendetwas daraus folgen würde.

Etwas folgte aus massiven Übergriffen schon immer, aus Sicht der Betroffenen. Gerade, wenn diese sehr jung waren, wie der 14-jährige Schauspieler Anthony Rapp, auf den Kevin Spacey sich betrunken warf, wenn sie Bewerberinnen waren oder in anderen Abhängigkeitsverhältnissen. Gewalt erzeugt Gewalt. Nur bekamen die Folgen in der Regel nicht die Verursacher zu spüren, wenn die schweigenden Verletzten autoaggressiv wurden oder womöglich ihrerseits Dritte, zum Beispiel andere Frauen, abwerteten. Nun also trifft es etliche Täter selbst.

Das ist kein Grund zu triumphieren. Schön wird eine heftige Gegenreaktion nicht, bloß weil sie gerecht sein mag. Die selbst einmal vergewaltigte Barockkünstlerin Artemisia Gentileschi malte um 1620 besonders drastisch, wie Judit mit kühler Hand dem überraschten Holofernes den Kopf abschlägt und damit ihr Volk von der Fremdherrschaft befreit. Beflissen tut Judit, was eine Rächerin tun muss, das Schwert ist lang und geschliffen, Blut fließt dem Betrachter entgegen. Das Werk ist eines der grauenerregendsten Gemälde der frühen Neuzeit.

Weder Frauen noch Männer können sich eine Spirale der Demütigungen und Racheakte wünschen. Zu hoffen ist, dass am Ende der überfälligen #metoo-Debatte im Gegenteil ein Zivilisierungseffekt steht. Das heißt nicht, dass niemand mehr, auch nicht versehentlich, gekränkt wird. Wohl aber, dass dies benannt, eingestanden und aufrichtig bedauert werden kann. Am besten im direkten Gespräch der Beteiligten.

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