Spurensuche:Gelbe Westen

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Die Welt verändert sich ständig, die großen Fragen aber bleiben. Wir suchen in Zeitgeschehen und Kunst nach wiederkehrenden Motiven. Man kann Aufstände nicht beurteilen, während sie im Gang sind, fand Eric Rohmer.

Von Susan Vahabzadeh

Wie wird man in zweihundert Jahren die Gelbwesten beurteilen, die derzeit jedes Wochenende in Paris demonstrieren? Aus der Entfernung sieht vieles anders aus. Als der französische Regisseur Eric Rohmer sich entschloss, einen Film über die Französische Revolution zu machen, sollte der anders werden als all seine Vorgänger. Es war kurz vor der Jahrtausendwende, und das Kino setzte gerade auf die perfekte Nachahmung des Historischen am Computer. Rohmer machte sich in die komplett entgegengesetzte Richtung auf - er fand nämlich, dass wir gar nicht wissen können, wie Paris 1789 aussah, wir meinen nur, dass wir das wissen. Für ihn waren Gemälde aus der Revolutionszeit die größte Annäherung ans Original - und so ließ er nach solchen Bildern 37 Hintergründe malen, vor denen dann "Die Lady und der Herzog", gespielt von Lucy Russell und Jean-Claude Dreyfus, agieren. Das macht diesen Film, wenn man ihn anschaut, dann aber gar nicht künstlicher - es verleiht ihm die Magie eines Augenzeugenberichts.

Die Lady gab es tatsächlich, sie hieß Grace Elliot, stammte aus Edinburgh, und in Paris war sie die Geliebte des Herzogs von Orléans - und schrieb ihre Erinnerungen auf, als sie nach der Revolution nach England ging, in einem "Journal of my life during the French Revolution", das allerdings kein richtiges Tagebuch war, und deswegen auch gar nicht ganz exakt ist - Rohmer aber würde sagen: Es ist näher dran als alles, was wir uns zusammenfantasieren. Immerhin war Grace Elliot tatsächlich dabei, als die Revolutionäre in Paris von Haus zu Haus zogen auf der Suche nach Abtrünnigen. Zu denen zählte dann später auch der Herzog von Orléans, der zu Beginn noch Feuer und Flamme war für die neuen Ideen.

Rohmers Film unterscheidet sich von fast allen Filmen, die über die Französische Revolution gemacht wurden: So, wie er seine Geschichte erzählt, konnte er sie gar nicht verklären. Grace Elliot - aus ihren Erinnerungen hat Rohmer nur einen kleinen Ausschnitt verwendet, der schon 1793 endet - berichtet vom Missbrauch neu gewonnener Macht und von Verwüstung, von Freiheitskämpfern, die andere einkerkern, und von nackter Angst. Die Revolution, die Eric Rohmer zeigt, war hässlich, und sie drohte permanent ein Verrat an den Gedanken der Aufklärung zu werden. Keiner wusste so recht, was daraus noch werden sollte - das kann man nie, wenn man noch mittendrin steckt.

© SZ vom 08.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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