Spurensuche:Frierende Venus

Spurensuche: Die frierende Venus malte Rubens 1614. Links wurde das Bild später ergänzt.

Die frierende Venus malte Rubens 1614. Links wurde das Bild später ergänzt.

(Foto: Alamy/Classic Paintings/mauritius images)

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen. Wir suchen nach wiederkehrenden Motiven.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Peter Paul Rubens zeigt, wie man im Winter würdevoll friert.

Museumskustoden für flämische Malerei berichten gelegentlich, wie sehr manche Gruppen von Besucherinnen mit den Frauenfiguren von Peter Paul Rubens fremdeln. Wer Photoshop-Models und den Diätterror von Frauenzeitschriften gewöhnt ist, wundert sich erst einmal über so viel natürliche Nacktheit, über all die Rundungen und kleinen Hautdellen. Dabei lohnt es sich, mit Rubens' Damen Freundschaft zu schließen, denn sie sind im Vergleich zu so manchem Covergirl die gefühlvolleren Wesen.

Im Museum von Antwerpen hockt eine Venus in gewittrig-dunkler Landschaft. Sie mag eine Göttin sein, doch sie ist keineswegs unangreifbar. Ihr ist einfach verdammt kalt und sie verbirgt es nicht. Alles an ihr zieht sich zusammen; Rücken, Po und die Bauchwölbung schimmern schon rötlich im eisigen Wind. Wie sie im Rückenakt ihre Gliedmaßen einzieht, das erinnert an eine schutzbedürftige Katze, nur dass jene ein Fell hätte.

Die nackte Haut ist Lichtfang in diesem Bild, sie zeigt den Menschen in seiner ganzen Verletzlichkeit. Während Venus die Situation hinnimmt, krümmt sich ihr unbekleidetes Söhnchen Amor mit verärgertem Knautschgesicht unter dem viel zu dünnen Schleiertuch der Mutter. Sie soll ihn behüten, und kann es nicht. Er kauert leidend auf seinem Köcher, der ihm nur noch als Kissen dient.

Mutter und Sohn sind dabei nicht so leichtgläubig, um dem lüsternen Satyr zu verfallen, der sich aus dem Dunkel mit Trauben und Getreide nährt. "Ohne Ceres und Liber friert Venus", sagten die Römer ("Sine Cerere et Libero friget Venus"). Die Gaben von Ceres, Göttin der Fruchtbarkeit, des Ackers und der Ehe, und von Liber, Gott der Befruchtung und des Weins, sollen die Göttin der Liebe wärmen. Diese aber ist bei Rubens nicht bestechlich. Der Satyr ist schon kurz davor, ungebeten ihren Kopf zu streicheln, sie jedoch ignoriert ihn einfach, weil er keine Versuchung ist, sondern ein Ärgernis.

Sie ist nackt, sie ist verwundbar und in misslicher Lage, aber sich preisgeben wird sie deshalb noch lange nicht. Wenn es nun kalt wird in den deutschen Städten, sollte man vielleicht Rubens' "Venus Frigida" an den Bushaltestellen plakatieren. Die Göttin ist um einiges menschlicher und nahbarer als die vielen mit Photoshop bearbeiteten Unterwäschemodelle, denen nicht einmal Münchner Schnee und Hamburger Eisregen etwas anzuhaben vermag.

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