Spurensuche:Fernweh

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In unserer Rubrik suchen wir nach wiederkehrenden Motiven in Filmen und Kunstwerken: Wenn einem die Erde nicht gefällt, träumt man sich am besten einfach ganz weit weg. Vincent van Gogh malte einen Abendstern, der zum Greifen nah erschien.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Auch Vincent van Gogh träumte von den Sternen.

Wie waren die Sterne, als sie noch nicht uns gehörten? Sondern einfach so am Himmel hingen und Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden standen, aus der Ferne Demut lehrten? Das All entwickelt sich gerade zum kommerziellen Raum. Der amerikanische Unternehmer Jeff Bezos träumt von einer "Langzeitvision, in der Millionen Leute im All leben und arbeiten". Kurzfristig denkt er an Sternen-Tourismus. Seine Firma Blue Origin konkurriert mit dem Unternehmen SpaceX von Elon Musk, das bereits Reisen rund um den Mond anbietet.

Beflügelt werden könnten solche himmelhochjauchzenden Start-ups von Donald Trump, der während seiner Präsidentschaft unbedingt den Mars von Amerikanern betreten sehen will. Erste Gewächshäuser zur außerirdischen Selbstversorgung werden bereits entwickelt. Keine Fantasie erscheint mehr zu hochtrabend; die Sterne sind zum Greifen da.

Als Vincent van Gogh im Frühjahr 1889 im Krankenzimmer des Sanatoriums von Saint-Rémy-de-Provence lag, waren sie das nicht. Er sah aus dem Fenster des ehemaligen Klosters nur einen kleinen Ausschnitt des Nachthimmels. Das aber reichte, um ihn zu seinem Gemälde "De sterrennacht", Sternennacht, zu bewegen. Im Krankenzimmer selbst durfte er nicht mit Ölfarben malen, nur vorzeichnen. Umso genauer betrachtete er, was sich draußen tat. An einem frühen Morgen, so schrieb er seinem Bruder Theo, war die Sonne noch nicht aufgegangen, als er schon wach lag. Alles, was er am Himmel erkannte, war "der Morgenstern, der sehr groß aussah". Im Juni übersetzte er diesen Eindruck in seine "Sternennacht". Später haben Forscher herausgefunden, dass die Venus im Frühjahr 1889 in Südfrankreich tatsächlich besonders hell leuchtete; sie ist im Gemälde rechts neben der Zypresse zu sehen.

Der Himmel, den der leidende van Gogh sah und sich vorstellte, ist aufgewühlt, wild kreisend, ein wirbelnder Farbenrausch von tiefem Blau und Grellgelb. Die Sterne tanzen, auch die wie eine Flamme zündelnde Zypressenspitze kann sie nicht aufhalten. Alles lebt, ist in Bewegung. Sicherheit und Erdenschwere gibt es nicht, auch nicht im schützenden Sanatorium von Saint-Rémy.

Der Weltraum war einmal unbeherrschbar. Alles, was man tun konnte, war ihn zu betrachten und ein kleines Stück auf eine Leinwand zu bannen, die den Betrachtern noch heute schwindelerregend erscheint.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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