Spurensuche:Europameister

Spurensuche: Tizians Bildnis des reitenden Karl V. hängt im Prado in Madrid.

Tizians Bildnis des reitenden Karl V. hängt im Prado in Madrid.

(Foto: OH)

Tizian zeigt Karl V. als einsamen, demütigen Sieger im Abendlicht - ähnlich hat sich auch Emmanuel Macron am Wahlabend inszeniert.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Tizian inszenierte die Einsamkeit des siegreichen Herrschers.

Minutenlang schritt der neue Präsident durch das Halbdunkel, begleitet nur von Fernsehkameras. Es ist kein triumphaler Gang, den Emmanuel Macron am Wahlabend durch die Cour Napoléon am Louvre nahm. Die herrschaftliche Mittelachse mied er, was seine nachdenkliche Einsamkeit betonte. Ist das pathetisch? Ja, aber das Pathos verdankt sich nicht den üblichen Siegerposen, sondern der Demut des Zu-Fuß-Gehens. Und natürlich der dazu erklingenden Europahymne, Beethovens "Ode an die Freude".

Tizians Kaiser Karl V. ist kein Spaziergänger, er reitet einen Rappen. Das aber ist auch schon der augenfälligste Unterschieds zu Macrons Inszenierung als Wahlsieger über Le Pen. Der Kaiser hat am 24. April 1547 die im Schmalkaldischen Bund versammelten Protestanten geschlagen; er kann sich (und den Katholizismus) in diesem Moment als Sieger der Geschichte begreifen. Deshalb schlägt der Großschriftsteller Pietro Aretino seinem Freund Tizian vor, Karl in Gesellschaft der allegorischen Figuren von Glaube und Ruhm zu zeigen, die ihm trompetend den Weg in den Himmel weisen. Tizian ignoriert diesen Vorschlag und studiert lieber Albrecht Dürers Stich "Ritter, Tod und Teufel". Das Motiv ist nicht ganz so himmelhochjauchzend freudig, verspricht aber den nötigen Ernst, den Tizian sich für seinen Karl wünscht. In dramatischem Halbdunkel reitet der Kaiser durch sein Reich, in dem die Sonne nie ganz untergeht. Das Rot der Satteldecke verbindet sein Pferd mit ihm; sonst ist er allein, ein unabhängiger, auf sich selbst gestellter Held. Nichts erinnert an die gewonnene Schlacht, denn es gibt ja auch niemanden auf dem Bild, vor dem man damit angeben könnte.

Der Sieger hat den Sieg verinnerlicht. Der Erfolg stattet ihn mit einer Entscheidungshoheit aus, die sich nicht delegieren lässt. Diese selbstbewusste Machtfülle geht in beiden Fällen einher mit ihrem Gegenteil, der demonstrativen Demut. Karl bezeugt sie der gottgeschaffenen Natur, durch die er reitet. Macron dem Volk, das auf ihn wartet vor dem Louvre, der einst Herrscherpalast war und nun als Kunsthaus allen Franzosen gehört.

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