Spurensuche:Dürers "Traumgesicht"

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Albrecht Dürers "Traumgesicht" vom Juni 1525.

Warum rufen die jüngsten Ängste vor Krieg und Katastrophen unweigerlich alte Bilder herauf?

Von Harald Eggebrecht

"Im schlaff hab ich dis gesicht gesehen wy fill großer wassern vom himell fillen. Und das erst traf das erdreich ungefer 4 meill fon mir mit einer solchen grausamkeit mit einem übergrossen rauschn und zersprützn und ertrenckett das ganz lant." So hat Albrecht Dürer am Morgen des 8. Juni 1525 den Traum beschrieben, den er in einem rasch hingetuschten Aquarell festzuhalten versucht hat. Das kleine Bild wird oft zitiert, wenn es um Atomkriegsdrohungen oder Weltuntergangsfantasien geht. Viele wollen es als eine prophetische Vision des großen Malers verstanden wissen.

Nun gab es zu Dürers Lebzeiten genug Gründe, um derentwillen man schreckliche Angstträume haben konnte: Kriegsfurien und Hungersnöte, Brandkatastrophen und Sintfluten, Dürren und umherziehende Mordbrennerhorden. Außerdem wurden dergleichen Horrorsensationen und vermeintliche Wunder dank des Buchdrucks durch die neuen Massenmedien Flugblatt und Flugschrift allseits bekannt gemacht. Sie waren gewissermaßen die "Bild" des Spätmittelalters und der Renaissance. Dürer hat sicherlich viele solcher Blätter gesehen und von dergleichen Unfällen und Katastrophen gehört.

Doch sein Traum, der ja eine veritable, alles verschlingende Flut schildert, hat als Bild eine solche zwingende Knappheit und unmissverständliche Eindringlichkeit, dass der andauernde Ruhm des Blattes sofort einleuchtet.

Seltsamerweise können noch so scharfe Fotoserien und Filme von schwindenden Gletschern, schmelzendem Eis in Arktis und Antarktis, Waldbränden oder fürchterlichen Dammbrüchen die Menschen offenbar nicht so erschüttern, dass daraus die unbedingt längst fälligen Taten folgten. Während die Erwachsenen immer noch so tun, als könne man den Klimawandel durch die üblichen politischen Verhandlungsstrategien und Deals gleichsam so "zähmen", als sei er eine Art ungebändigtes Weltunternehmen, hat sich die junge Schwedin Greta Thunberg zum lebenden Mahnmal dafür gemacht, dass es um das Jetzttun geht und nicht um Aushandlungsverhältnismäßigkeit. Auch Dürers Traum kennt nichts als Eindeutigkeit. Er sieht aus vier Meilen Entfernung, wie sich ein ungeheures Unwetter vom Himmel ergießt und das Land unter Wasser setzt. Vielleicht ist es diese Traumwahrheit, die stärker wirkt als die Bilderfluten unserer Medien aus nächster Nähe.

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