Spurensuche:Die Muschelreiterin

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Sandro Botticellis "Geburt der Venus" entstand in Florenz. (Foto: Wikimedia Commons)

Man könnte jetzt zu Silvester ein ungutes Jahr hinwegböllern. Oder tief Luft holen und etwas Schönes und Gutes an Land ziehen.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Botticellis Windwesen pusten in schwieriger Zeit die Liebe herbei.

Das Jahr 2016 war schrecklich, das Jahr 2017 wird sicher noch schrecklicher? Und wieder werden die bösen Geister weggeböllert im Silvesterdonner, und bleiben doch, größer und gemeiner denn je. Wie wäre es, das Ganze einmal anders anzugehen und Melancholie und Fatalismus den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dann könnte man diesmal die Backen blähen, um etwas Schönes an Land zu wehen.

So machen es die beiden Luftwesen auf Sandro Botticellis "Geburt der Venus", dem großformatigen Gemälde aus den Florentiner Uffizien, das eigentlich "Ankunft der Venus" heißen müsste. Denn geboren ist sie ja schon, die blond gelockte Muschelreiterin. Dem ging eine hässliche Gewalttat voraus. Kronos hatte seinen Vater Uranos entmannt und dessen Genitalien ins Meer geschmissen. Der Samen mischte sich dort mit dem schäumenden Wasser und Aphrodite, in Rom Venus genannt, nahm Gestalt an.

Auch Botticelli weiß um diese Grausamkeit. Fast trotzig plädiert er für einen hoffnungsvollen Neuanfang. Die beiden Winde sind Mann und Frau, sie umschlingen einander freudig, Rosenblätter purzeln aus ihnen heraus. Ihr warmer Atem treibt das Gefährt der Venus, die goldumrandete Jakobsmuschel, einer Nymphe oder Hore entgegen, welche die nackte Göttin mit flatterndem Blumentuch empfängt. Venus ruht in sich; Schoß und Brust bedeckt sie mit Händen und Haaren eher stolz als schamvoll. Für Dynamik sorgen die drei anderen Figuren. Das Leben geht weiter, nichts bleibt, wie es ist. Und das kann auch Gutes bedeuten.

Das Bild entstand in den späten Achtzigerjahren des 15. Jahrhunderts in Florenz, einer Zeit, als die Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen erst eine Generation zurücklag. Dieser schmerzhafte Verlust für das griechisch und römisch geprägte Christentum, so meinten manche Italiener, könnte ähnlich der Geburt der Venus zu einem Neubeginn woanders führen. In Florenz sollte die christlich gewendete antike Zivilisation wiederauferstehen.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass Botticellis Venus wie Christus dasteht, der gerade von Johannes getauft wird. Die Taufe eines Erwachsenen markiert den Willen zum Neuanfang, das dringliche Bedürfnis, die Dinge zum Besseren zu wenden. Das mag man im Fall von Florenz für ideologisch aufgeladene Kunstpolitik halten, die den damals regierenden Medici diente. Ein bisschen etwas von dieser Wunschkraft aber kann auch das kommende Jahr brauchen. Göttin der Liebe, schwebe herbei.

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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