Spurensuche:Blinder Passagier

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Die Welt verändert sich ständig. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Heute: Heimatlose und blinde Passagiere haben das Kino oft beschäftigt.

Von Fritz Göttler

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Heimatlose und blinde Passagiere haben das Kino oft beschäftigt.

Abenteurer des Schienenstrangs, das klingt nach Freiheit, Ungebundenheit, Abenteuerromantik. Unter diesem Titel sind Jack Londons Erinnerungen an seine Tramp-Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts auf Deutsch erschienen, er erzählt, wie er sich als Tramp quer durch Amerika durchschlug. Seine Vehikel: vor allem Güterzüge, als blinder Passagier. Riding the rails, das wurde dann auch in den Dreißigern des 20. Jahrhunderts in Amerika wieder massenweise von den Hobos praktiziert in der Zeit von Depression und Arbeitslosigkeit. Heute, da die Grenzen in Europa dichter gemacht werden, greifen auch Flüchtlinge immer wieder zu dieser List, um in andere Länder zu gelangen.

Es ist ein lebensgefährliches Unternehmen ... im Moment, da der Zug langsam Fahrt gewinnt, aufspringen, einen leeren Waggon erklimmen, oder im Gestänge unter den Waggons sich verankern, ein paar Zentimeter nur über den Schwellen und Schienen. Und alles, ohne dabei vom wachsamen, unerbittlichen Zugpersonal erwischt zu werden. Robert Aldrichs Film "Emperor of the North / Ein Zug für zwei Halunken" von 1973 lässt uns keinen Augenblick im Zweifel, was dann passiert - gleich zu Beginn wird ein Hobo vom Zugbegleiter Shack erspäht, ein Schlag mit dem Hammer, und der Alte stürzt von dem Puffer, auf dem er sich eingerichtet hat, er bleibt auf der Strecke, der Ober- vom Unterkörper abgetrennt.

Der Railroadman Shack will seinen Zug, den 19er, absolut sauber halten von allen unliebsamen Mitfahrern. Ernest Borgnine verkörpert ihn, manisch und brutal, ein Holzkopf, der wirkt wie aus dem Kasperltheater, kantig verbissener Kiefer, große hervorquellende Augen. Gern bindet er seinen Hammer an eine Leine und lässt ihn dann gemein unter dem Waggon auf und ab schlagen. Er ist die Ordnung, die Macht in ihrer bedrohlichen, perversen Präsenz. Sein Gegenspieler ist Lee Marvin, als A No. 1, der Top-Hobo, den das Leben ohne feste Bleibe mit einer gelassenen Verspieltheit ausgerüstet hat. Er fordert Shack heraus zum Zweikampf, kündigt an, den 19er zu fahren bis Portland, Oregon, am 25. Oktober 1933.

Einmal ist im Film Roosevelts versöhnliche Stimme im Radio zu hören, aber die amerikanische Gesellschaft, deren Präsident er ist, ist vielen verschlossen. Robert Aldrich liebt Außenseiter, Asoziale, Kämpfer: "Verachtet und zurückgewiesen von der Gesellschaft, unerwünscht und heimatlos werden sie eine eigene Art. A breed apart."

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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