Süddeutsche Zeitung

Podcast mit Springsteen und Obama:Theater für alle

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Bruce Springsteen ist der Lieblingsrocker des liberalen Bürgertums, und hier besonders von denen, die es ungerecht finden, alt zu werden. Nun macht er einen Podcast mit Barack Obama.

Von Kurt Kister

Wow, Freunde. Zwei Männer, beide etwas älter, sitzen auf zwei je fünfrolligen Eames-Thin-Pad-Stühlen, von denen man gleich den Eindruck hat, sie seien für den Rücken besser als der durchschnittliche Home-Office-Stuhl. Der Raum ist hell, vielfenstrig und gitarrenfreundlich, am Boden liegen dezente Ethnoteppiche. Der eine Mann lacht breit, der andere schaut irgendwie offensiv verschmitzt. Beide haben die Arme verschränkt, aber nicht in dieser Red-mich-nicht-blöd-an-Manier, sondern eher in dem Mein-Brustkorb-mag-das-wenn-er-meine-Arme-spürt-Gefühl. Die Männer sind bei sich, sie haben die Beine übereinandergeschlagen, und sollte es in ein paar Jahren vielleicht eine Vorschrift, gar ein Gesetz geben, wie Männer so um die 60 zu sein haben, dann wären die beiden die idealen role models.

Wow, Freunde, Bruce Springsteen, Barack Obama, Spotify. Ihr Podcast heißt: Renegades. Die Abtrünnigen. Nicht alle, die so alt sind wie Bruce Springsteen (er wird im September 72), streamen Musik und Podcasts. Aber alle, die so drauf sind wie Barack Obama (er wird im August 60), tun es. (Mick Jagger übrigens wird im Juli 78, we all need someone we can lean on). Spotify ist eine der neuen Weltmächte, wenn auch nicht ganz so bedeutend wie Google, Amazon und Facebook. Die haben zwar keine Atomwaffen, aber sie erreichen an einem Dienstagabend viel, viel mehr Leute als Bruce Springsteen auf einer Stadiontournee oder Barack Obama bei einer Inaugurationsfeier von Trump'schen Ausmaßen.

Große Männer sprechen gern über sich, lieber, als das große Frauen tun, obwohl auch große Frauen Bücher über sich schreiben, zum Beispiel Michelle Obama. Bruce Springsteen wiederum hat zwischen Oktober 2017 und Dezember 2018 im New Yorker Walter Kerr Theatre 236 Fast-nur-Ein-Mann-Vorstellungen gegeben, in denen er ein paar Songs zur Gitarre spielte und über sein Leben, Gott und die Welt sprach. Es war immer alles völlig ausverkauft, auf dem Schwarzmarkt wurden bis zu 7000 Dollar für ein Ticket bezahlt. Der Gesamtumsatz des Springsteen-Jahres am Broadway lag bei 113 Millionen Dollar.

Bruce Springsteen ist der Lieblingsrocker des liberalen Bürgertums, und da ganz besonders derer, die es ungerecht finden, alt zu werden. Wer, um Amerikanisches auf Deutschland zu übertragen, gemeinsam mit Springsteen auf der Harman-Kardon-Anlage im 5er-BMW No retreat, baby, no surrender brüllt, hat tief in seinem Herzen das Gefühl, er könnte ein working man aus New Jersey sein.

Barack Obama nun ist der Lieblingspolitiker desselben Milieus. Und weil Trump ein so schrecklicher Sumpfkopf-Präsident war, hat sich die Erinnerung an Obama bei Älteren und Jüngeren dermaßen verklärt, dass er schon jetzt Jimmy Carter den Rang abgelaufen hat, der beste Ex-Präsident zu sein, den es je gab.

Die beiden sind der Beweis dafür, dass eine Filterblase Abermillionen umfassen kann

Nie zuvor haben die USA erhebliche Teile der nicht nur westlichen Welt kulturell so beeinflusst wie heute, im Zeitalter der neuen digitalen Weltmächte. "Kulturell" umfasst natürlich viel mehr als nur das, was man früher die Hochkultur nannte. Das Kommunikationsverhalten, die Sprache, die Technologie, der tägliche Einkauf im Netz, die Werbung etc. - all das ist in Europa und in großen Regionen Asiens, in Australien und Teilen Afrikas oder Lateinamerikas, von den Gewohnheiten, Gebräuchen und Umgangsformen in den USA bestimmt. Politisch ist das amerikanische Jahrhundert vorbei; populärkulturell hat es kaum begonnen.

Andy Warhol hat 1968 gesagt, jede und jeder ( everyone) werde in der Zukunft 15 Minuten lang berühmt sein. Viel länger, meinte er implizit, dauere die Aufmerksamkeitsspanne in einer übermedialisierten Zukunft nicht mehr. Nun ist 2021 längst die Zukunft der Zukunft Warhols, und Andy wusste damals nichts vom Netz. Bruce Springsteen und Barack Obama sind der Beweis dafür, dass eine Filterblase Abermillionen umfassen kann.

Vielleicht auch weil Hören generell weniger anstrengend ist als Lesen oder Regieren, macht der Podcast in seiner Erscheinungsform als Zwiegespräch zur Zeit Karriere. Die meisten Podcasts sind eigentlich nicht einmal sendezeitunabhängiges Radio, sondern das, was man früher mit dem Kassettenrekorder, der Susi und dem Alois gemacht hat: das Mikro angestöpselt und Zeug geredet. Selbstverständlich kommt es immer auf den Hintergrund derer an, die da reden, was man ja auch an so brillanten Dingen wie den diversen SZ-Podcasts erkennen kann. Aber man könnte auch, wäre man missmutig, viele Podcasts als die Aufzugmusik des digitalen Zeitalters verstehen.

Spotify jedenfalls hat die Zeichen der Zeit erkannt. Man darf, möchte man an der Weltherrschaft dranbleiben, nicht Alois und Susi reden lassen, sondern eben Bruce und Barack. Und es muss locker sein, hell, Ethnoteppich, Walter Kerr Theatre für alle. Wow, Freunde.

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