Süddeutsche Zeitung

Sprachliche Dekadenz:Lol und Lall

"kÜ4YEO absabber abknutsch knuddel. SBZ polarbaer74**": schon mal so eine SMS bekommen? Über die Sprache in Zeiten des Internet, das Leben als alter Sack und den Coolnessfaktor von Herbert Wehner.

Holger Gertz

Vor einiger Zeit bekam ich eine sms, in der stand: 4YEO absabber abknutsch knuddel. SBZ polarbaer74**.

Man ist als zurückhaltender Mensch grundsätzlich skeptisch gegenüber jeder Art von Kontaktaufnahme, und wenn die Begeisterung so geballt rübergebracht wird, macht das das Misstrauen nicht geringer. Ich überlegte, wer die sms geschickt haben könnte. Dass sie ein Irrläufer war, lag auf der Hand, aber zurückrufen wollte ich nicht, wer weiß, ob man da nicht über Timbuktu umgeleitet wird und am Ende 83,47 Euro zahlen muss.

So blieben Fragen im Raum. Ich überlegte, ob ich nicht doch jemanden kenne, der ein Polarbaer ist oder wenigstens das Recht hätte, sich so zu nennen, ich kenne aber niemanden. Auch bei einem Praktikum im Zoo in einer früheren Phase meines Lebens war mir keiner untergekommen, leider nicht mal eine Polarbaerin.

Die 74 hinter den Namen könnte das Geburtsdatum der Polarbärin sein; ein Anruf wäre in diesem Fall in Erwägung zu ziehen. Mit 74 könnte aber genauso das Alter der Polarbärin gemeint sein; von einem Anruf wäre hier erst recht abzusehen.

Go Search The Freaking Web!

Es ist interessant, wie sehr einen etwas beschäftigen kann, was man nicht versteht. Ich verstand zum Beispiel nicht, was SBZ bedeutet, und 4YEO. Offenbar eine Anrede, aber wenn nicht ich gemeint war, muss da draußen jemand sitzen, der sich Polarbär nennt und einen anderen abschlabbern will, der wiederum 4YEO heißt. Ein Rapper wahrscheinlich. Ein Graffitikünstler. Da ich selten rappe und Mühe habe, eine Farbspraydose aufzukriegen, war der Fall fürs Erste erledigt. 4YEO, das bin nicht ich.

GSFW! Dies würden in diesem Fall die jungen Menschen raten, welche flink durchs Internet und seine Boards und Foren rauschen. GSFW: Go Search The Freaking Web! Geh im verdammten Internet suchen. Im Internet gibt es Listen der Abkürzungen und Akronyme, die in Chats und Foren und sms benutzt werden, es sind richtige Wörterbücher, und wer SBZ für das Kürzel von Sowjetisch Besetzte Zone hält und 4YEO für einen Spitznamen, ist nichts als ein DAU, ein Dümmster Anzunehmender User. SBZ heißt "Schreib bitte zurück" und 4YEO heißt "For Your Eyes Only": Nur für deine Augen bestimmt. Also: privat.

Früher schrieb man "privat" auf einen Brief, wenn man sichergehen wollte, dass er auch von anderen gelesen wird. Früher war "For Your Eyes Only" der Titelsong eines James Bond-Films, früher war eine Menge anders. Früher hatten die Mädchen Poesiealben, in die man Sprüche reinschreiben musste: Lebe glücklich, lebe froh, wie der Spatz im Haferstroh. Heute ist alles kürzer, heftiger, weniger verkleistert. Heute schreiben sie KC ins Internet. Keep Cool.

Irgendwann kommt für jeden der Moment, in dem er begreift, wie alt er mittlerweile ist. Ich bin 38. Seit der sms von polarbaer74 sitze ich oft vor dem Internet und verfolge die öffentlich zugänglichen Foren. Jemand schreibt Sätze da rein, auch Kürzel und Zahlen, kriegt andere Kürzel und Zahlen als Antwort, das alles geht wahnsinnig schnell, Schreiben ist fast wie Sprechen. Und ich blicke auf den Bildschirm, in der Gewissheit: Etwas ist an mir komplett vorbeigelaufen. Ich bin 38. Ich bin ein alter Sack.

Alle sagen, das Wetter ist anders als früher, die Autos sind hässlicher; es gab früher mehr Schurrbärte. Das sind lächerliche Unterschiede. Was das Heute vom Früher trennt ist das Internet.

Grippaler Infekt der Sprache

Max Goldt hat einmal in einer Kolumne geschrieben: "Je moderner das Kommunikationsmittel, desto weniger geprüft gehen die Mitteilungen heraus: , Ist ja nur eine E-Mail', denken die Leute und versenden Botschaften submongoloider Sprachqualität." Die Kolumne ist acht Jahre alt. Als sie damals veröffentlicht wurde, schien die sms und die Kurzsprache im Netz eine vorübergehende Mode zu sein, ein grippaler Infekt der Sprache. Es ist anders gekommen.

Vor drei Jahren schrieb eine 13-jährige Schottin über ihre Sommerferienerlebnisse im sms-Stil einen Aufsatz: "My smmr hols wr CWOT. B4, we usd 2 go 2 NY 2C my bro, his GF & thr 3 :-@ kds FTF. ILNY, its gr8."

In korrektem Schulenglisch: "My summer holidays were a complete waste of time. Before, we used to go to New York to see my brother, his girlfriend and their three screaming kids face to face. I love New York, it's a great place." Es gab ein ziemliches Geschrei um diese Schülerin, das Fernsehen war da, die Lehrergewerkschaft wollte diese Sprache aus dem Unterricht verbannen, sonst würde irgendwann auch Shakespeare verstümmelt: 2B or not 2B!

Allerdings meldete sich auch eine Sprachwissenschaftlerin von der Universität Strathclyde: Dieser sms-Aufsatz sei ein Kunstwerk, Sprache verändere sich nun mal, und so weiter.

Es ist der alte Streit. Die einen sagen anything goes. Die anderen wollen alles verbieten. Allerdings, in diesem Fall ist der Schauplatz des Streits die Sprache, und die Sprache ist die Währung, in der sich alle verständigen. Es geht um ein bisschen mehr als bei der Frage: Soll man Big Brother erlauben?

Polarbaer74 hätte mit seiner an mich gerichteten Handybotschaft bei den echten Checkern Mitleid abgekriegt. absabber abknutsch knuddel ist zu gefühlig, zu lang. Eine Comicsprache, außerdem mädchenhaft. Sprachkritiker sagen, diese Internetuser hauen einfach so in die Tasten, ohne nachzudenken, aber das stimmt natürlich nicht.

Wer irgendwas Sinnloses reinschreibt, enttarnt sich seinerseits als DAU. Vor einiger Zeit stand ein Aufsatz über die Netzsprache in der Zeitschrift c't, die eigentlich computing today heißt, aber wie gesagt: Die Zeit rast wie ein Komet, und die Sprachfetzen zieht sie wie einen Mantel aus Staub hinter sich her. In dem Editorial stand, es sei wichtig, 31337 zu sein. Im Internet können Zahlen wie Buchstaben sein, die 3 ein E, die 1 ein L, die 7 ein T. Wenn man 31337 ist, ist man eleet, kurz leet, also cool. Man darf auf keinen Fall lame sein, also uncool.

Wer abknutsch knuddel schreibt, ist eindeutig lame. Wer Großbuchstaben benutzt, ist lame. Wer Tippfehler korrigiert, ist auch lame, Tippfehler bitte immer so stehen lassen. Wer voller Ernst zu viele Abkürzungen benutzt, ist lame, weil: er hat nicht begriffen, dass viele Abkürzungen auch ein Mittel der Ironie sein können.

Der Autor in c't schreibt: "Seien sie niemals hoeflich, sondern immer ausfallend und polemisch, das ist sehr leet. beschimpfen sie alle leute als lamer oder beenden sie gleich deren internet-verbindung mit einem gezielten denial-of-service-angriff."

In der richtigen Welt fiele einem da der legendäre SPD-Fraktionschef Herbert Wehner ein, vermutlich war Wehner, ohne dass er es wusste, ein Mann von großer leetness, er war 31337, wie ein Mensch nur 31337 sein kann. Und er war es, ohne je einen einzigen denial-of-service-angriff durchgeführt zu haben.

Wehner war seiner Zeit voraus.

Nur Bahnhof

Neulich war ich am Hauptbahnhof. Wer eine Ahnung davon bekommen will, aus wie viel kleinen Teilen die Gesellschaft sich zusammenfügt, muss zum Hauptbahnhof. Da sind Sexkinos und Gebetsräume im selben Haus untergebracht, da stehen Büromenschen in schlechten Anzügen in den Empfangshallen von muffigen Hotels, da gibt es Spielhöllen mit käsegesichtigen Figuren drin, da gibt es Internetcafés, in denen es nach Elektronik riecht und McDonald's-Tüten, und in diesen Internetcafés stehen Computer, und die Typen vor den Computern haben Kopfhörer auf, sie spielen was, oder sie chatten.

Draußen unterhalten sich die Türken, und die deutschen Büromenschen verstehen nicht, was die Türken sagen. Die Frauen mit den Einkaufstüten verstehen nicht die Männer, die hinter den Türen der Pornokinos verschwinden, und wer nie im Internet war, versteht nicht, warum ein paar von den Jungs vor den Computern manchmal "lol" sagen, nur lol.

All das spielt sich am Hauptbahnhof ab. Wahrscheinlich sagt man deshalb, wenn man nicht weiß, was gerade passiert: Ich verstehe nur Bahnhof.

Warum also sagen diese jungen Männer manchmal lol? lol bedeutet "Laughing Out Loud". Weil man im Chat nicht so lachen kann, dass es die anderen hören, schreibt man lol. Dann können die anderen das Lachen lesen. Aber manchmal wird der Sprache dieser Computer zu eng, sie will nicht mehr nur geschrieben sein, sie will gesprochen werden. Manchmal sitzen Menschen vor einem Computer und spitzen den Mund wie zum Seifenblasenblasen und sagen lol, wenn sie was lustig finden.

Oder sie sagen rofl. "Rolling on the floor laughing". Aber rofl spricht sich schlecht aus, deswegen kommt das selten vor.

Sprache ist nicht nur Kommunikation. Sprache schafft auch Abgrenzung. Mit Sprache, mit einer eigenen Sprache, kann man imponieren. Weil das so ist, verwandeln sich manche Worte, das ist kein neues Phänomen. Als ich Schüler war, als es noch keinen Computer in der Klasse gab und nur ein Telefon im Hausmeisterkabuff, kam auf einmal ein neues Wort auf. Vielleicht kennen es noch jene Leser, die ähnlich alte Säcke sind wie ich.

Das Wort hieß: astrein. Eigentlich gab es das Wort schon länger, aber es kam aus einer anderen Welt, der Welt der holzverarbeitenden Industrie. Ein astreines Holzstück ist frei, also rein von Astlöchern oder Ästen. Es ist astrein im wahrsten Sinne des Wortes. Irgendwann spielten wir Fußball auf dem Schulhof, es ging darum, ob der Ball drin war oder nicht.

Einer sagte: War nich drin. Ein anderer sagte: Das war ein astreines Tor. Dann prügelten sie sich.

Ich habe nie das Rätsel lösen können, wie es dem Wort astrein gelungen war, aus dem Bereich der holzverarbeitenden Industrie rüberzuschwappen in den Sprachbaukasten, aus dem wir uns bedienten. Dass wir Schüler in Oldenburg es umgedeutet und neu erfunden hatten, ist nicht wahrscheinlich, in Oldenburg ist noch nie was erfunden worden. Dieser Mensch, der es sagte, musste es also irgendwo anders gehört haben, und es zog weiter und weiter.

Im geschützten Raum

Meine Kusinen im Vorort sagten astrein, sie hatten es nie vorher gesagt, aber jetzt sagten sie es. Die Kinder von Bekannten aus dem Ruhrpott, die manchmal am Wochenende zum Kaffee kamen, sagten es auch, was für ein astreines Konzert. Ein Wort war neu belebt worden, auch ohne Internet fand es Wege. Es ging von Mund zu Mund. Nur mein Vater sagte: "Was is' n das wieder fürn neumodischer Kram. Können ja nur Spinner draufkommen." (Mein Vater war übrigens von seinen Umgangsformen her ein Mensch von ausgeprägter leetness.)

Vielleicht ist das der Unterschied zu heute: Dass auch wir schon die Sprache veränderten, allerdings nicht im geschützten Raum des Internets, sondern vor den Ohren der Älteren. Die kriegten das auf diesem Wege mit.

Heute sagen die Forscher: Was den Umgang mit dem Computer angeht, gibt es die Einwanderer, das sind die Menschen jenseits der dreißig, die sich diese andere Welt erst erschließen müssen. Und es gibt die Natives, die mit dem Computer aufgewachsen sind und mit dessen Sprache. Die gelernt haben, dass man schnell Antworten parat haben muss, und die wissen, dass ein Zwang zur sprachlichen Kürze auch die Bereitschaft voraussetzt, die Dinge inhaltlich auf den Punkt zu bringen.

Der Schweizer Publizist Roger de Weck hat sich, als er noch Chefredakteur der Zeit war, an einer neuen Stilform versucht, dem Leitartikel in maximal 160 Zeichen, so lang ist eine sms. Er schrieb zum Beispiel: "Die Kunst heute ist es, Journalismus zu machen trotz der Medien." Mehr muss man nicht sagen.

Ein großes Thema im Moment: Geht die Sprache kaputt, verendet sie endgültig im Computer, sterben Thomas Manns Bandwurmsätze aus? "Frazen, chillen, chopsen - das bockt 2nite mörder" titelten neulich ratlos die berüchtigten Sprachpfleger der Bild-Zeitung. Aber wenn man sich im Internet durch die zahlreichen Chats wühlt, gibt es Beispiele dafür, wie man auch mit einer reduzierten Sprache und angereichert von lol und lall philosophische Debatten führen kann, etwa von der Art: Warum Reichtum keine Schande ist.

Neulich hatte ich Gelegenheit, einem wahren Chat-Freak zuzuhören, der sich vorübergehend ans Tageslicht gewagt hatte. Es ging um das Thema Britney Spears, die zuletzt mehrmals tanzen gegangen war, allerdings hatte sie bei der Gelegenheit jeweils ihre Unterhose zu Hause gelassen. Dieser 17-jährige Bursche kennt alle Akronyme, aber in freier Wildbahn kann er auch normal reden, weil er über Eltern verfügt, die mit ihm reden.

Sein Interesse am Thema Spears ging gegen null, er hatte die Nummer längst entlarvt als das, was sie ist, ein PR-Gag, keiner weiteren Debatte wert. Er sagte, die Chatter schreiben manchmal Zzz, das heißt: schlafen, schnarchen. Zzz. Mehr muss man zu Britney Spears nicht sagen.

Es gibt natürlich auch die Gegenbeispiele im Internet, den "RTLchat" zum Beispiel, Plattform des gleichnamigen Senders, bei dem die User nunmal so debattieren, wie es RTL-User halt tun.

Gast_53923: was jioo ??

Gast_78400: welcher süße boy bis ca 25 mit foto hat icq?

Heilor: huhu sandy

So geht es alle Tage beim "RTLchat", es geht ums Kennenlernen und Poppen, da sind Jäger und Sammler und Stammler unterwegs. Allerdings, eine Studie der Uni Coventry hat gerade ergeben, dass diejenigen, die viel chatten und simsen, einen besseren Wortschatz haben als ihre Mitschüler. Die phonetische Verformung von Worten rege auch das Nachdenken über Sprache allgemein an.

Wahrscheinlich teilt sich die Welt im Netz wie die richtige Welt. Die Sprache im Internet ist ein Instrument. Man kann es beherrschen oder sich von ihm beherrschen lassen, und es hängt am Ende von Faktoren ab, die nicht im Netz zu finden sind, ob einer leet ist oder lame. Wer auch diese Sprache versteht, versteht mehr als andere. Wer nur diese Sprache versteht, liefert sich ihr aus und geht verloren.

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Quelle:
SZ vom 9.12.2006
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