Sprache von Weihnachtspredigten:Goldene Worte zum Fest

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"Geschöpflichkeit" und andere Verrenkungen: Mit aktuellen Themen konnte manche Weihnachtsbotschaft die Hörer vielleicht noch erreichen - mit der Sprache leider nicht.

Wolf Schneider

Die Bibel liest sich besser als die meisten Texte derer, die sie von Amts wegen auslegen - der Eindruck drängt sich auf, wenn man die Predigten und Botschaften von 36 deutschen Bischöfen zu Weihnachten und Neujahr gelesen hat (17 evangelischen, 19 katholischen).

"Gottvertrauen ist wichtiger als Geld": Auch schlichtes, biblisches Deutsch lugte zwischen den Worten hervor - im Bild Erzbischof Zollitsch bei seiner Weihnachtspredigt im Freiburger Münster. (Foto: Foto: dpa)

"Nicht menschliche Macht ist gefragt", liest man da, "sondern Bedürftigkeit, die um ihr Angewiesensein auf die heilsame Gnade Gottes weiß" (Baden, ev.). "Die vollständige Verzweckung des Menschen" wurde getadelt, "die neuheidnische Vergleichgültigung" dazu, während Jesus "keine Berührungsängste vor der menschlichen Geschöpflichkeit" besessen habe (Fulda, kath.).

Geschöpflichkeit! Das muss einem einfallen. Es muss eine jener "immer abstrakteren Verrenkungen" sein, in denen wir Gott nicht finden (Paderborn, kath.). So viel scheint klar: Solche Wortgespinste hätten sie beide um ihren Welterfolg gebracht - Jesus ("Es hat nie kein Mensch also geredet wie dieser", Joh.7,46) ebenso wie Luther, der "der Mutter im Hause" aufs Maul schaute, so, dass das Volk ihm aufs Maul geschaut hat.

Mütter reden auch selten von "Laizismus" und "Neuatheismus" (Regensburg, kath.). Was farbig und unschuldig mit dem Esel anfing, endete leider damit, dass der "als Tier der Demut gleichzeitig Metapher für Jesus Christus" sei (Hannover, ev.). Ja - voll von Metaphern, Sprachbildern, ist die Bibel, aber das Wort "Metapher" kommt in ihr nicht vor, die meisten Kirchgänger kennen es nicht, und denen, die es verstehen, erwärmt es nicht das Herz.

Würde nicht eben dies zu einer Weihnachtspredigt gehören: die Frommen zu stärken - und die zu umwerben, die überhaupt nur Heiligabend in die Kirche gehen? Sie war doch ziemlich voll, dieses eine Mal im Jahr, auch von jungen Leuten, die an den anderen 364 Tagen kaum erreichbar sind. Haben die Bischöfe ihre Chance wahrgenommen? "Die Weihnachtsbotschaft ist für alle da - kann sie alle erreichen?", fragte der evangelische Ratsvorsitzende Bischof Huber. Ja, mit ein paar aktuellen Themen konnte sie das; mit der Sprache meistens nicht.

Wo bleibt der Zeitbezug?

Wer nicht tief im Glauben verwurzelt und überdies in der Kunst geistlicher Rede bewandert ist, der hatte Mühe, den Sinn von Sätzen zu erfassen wie "Gott hat sein Gottsein hinter sich gelassen" (Greifswald, ev.) oder "Gott selbst bietet sich in seinem eigenen Sohn als Geisel an, damit wir im Austausch die Freiheit aus der Knechtschaft des Bösen erlangen" (Speyer, kath.) oder "Die Gewissheit, bei Gott angenommen zu sein, gründet in Gottes Gnade" (Vorsitzender, ev.) und "Die Seligkeit Gottes fürchtet nicht die traurige Endlichkeit dieser Erde" (Hildesheim, kath.). Da lechzt der Bibelkenner nach einem Satz wie "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln" (Psalm 23,1).

Auf der nächsten Seite lesen Sie mehr über aktuelle Themen in den Reden und zwei heikle Wörter zum Schluss.

Und die aktuellen Themen, der Zeitbezug? Nur drei der Bischöfe (alle katholisch) verzichteten auf ihn. Von Barack Obama war die Rede, kritisch natürlich: Sein berühmtes "Yes, we can" gebärde sich, "als läge das Leben in unseren Händen"; es reiße, wenn es sich verselbständige, den Menschen "in den Sog des Machbarkeitswahns" (Limburg, kath.). Toyota schreibe Verluste - und widerlege damit seinen eigenen Werbespruch "Nichts ist unmöglich" (Pommern, ev.); Jesus aber spreche: "Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich."

Wolf Schneider ist Journalistenausbilder, Sachbuchautor, Honorarprofessor der Universität Salzburg und Träger des "Medienpreises für Sprachkultur" der Gesellschaft für deutsche Sprache. (Foto: Foto: dpa)

Auch gegen den Hunger auf Erden, gegen Krieg und Terror, gegen den Klimawandel wurde da gepredigt, gegen den "Raubbau an der Schöpfung" (Kurhessen, ev.), gegen Gewalt von links und rechts; gegen "die schleichende Aushöhlung des Lebensschutzes" (Limburg, kath.) und die Abtreibung überhaupt, der der Bischof von Augsburg (kath.) zwei Drittel seiner Weihnachtspredigt widmete. Auch "ehrliches Erinnern an das DDR-System" wurde eingefordert, verbunden mit der Einsicht, "welche Kraft in einem Volk liegt, das an die Veränderbarkeit des scheinbar Unabänderlichen glaubt" (Mecklenburg, ev.).

Zwischendrin auch schlichtes, biblisches Deutsch

Zentrales aktuelles Thema war die Krise der Weltfinanzen, "von sündiger Habgier herbeigeführt" (Regensburg, kath.). Auch "kleine Leute" hätten bei Lehman Brothers spekuliert und sich so auf "die tötenden Sünden" Neid, Geiz und Habgier eingelassen (Bamberg, kath.). Wir müssten "unsere Hab-Süchte durch die Anerkenntnis des rettenden Gottes überwinden" (Rottenburg, kath.). Ob dies die Sprache war, die junge Leute zu Einsicht und Umkehr motivieren kann?

Doch auch schlichtes, biblisches Deutsch lugte zwischen den rügenden, den metaphysisch überladenen Worten hervor. "Gottvertrauen ist wichtiger als Geld!" (Hannover, ev.). Plausibel klang die einfache Frage: "Wie soll denn auf dem Weg von der Krippe zum Kreuz die Erlösung der Menschheit stattfinden können?" (Paderborn, kath.). Aus dem Leben gegriffen die andere: "Wer denkt denn an den Beistand des himmlischen Vaters, wenn er am Telefon die Notrufnummer wählt?" (Görlitz, kath.). Und Bischof Huber sprach: "Gerade heute wird es gebraucht, das trotzige und zuversichtliche 'Fürchtet euch nicht!'"

Kein Raum für "Besinnlichkeit"

Zwei heikle Wörter zum Schluss. Neunmal plädierten die Bischöfe für "christliche Solidarität" und lobten Gott, dass er sich Weihnachten "mit uns solidarisiert". Das ist merkwürdig - "Solidarität" hat ja eine politische Geschichte: Um die Mitte des 19. Jahrhunderts löste sie in der deutschen Arbeiterbewegung die "Brüderlichkeit" ab. Während bei Friedrich Schiller alle Menschen Brüder werden, gilt Solidarität nur denen, die die gleichen Anschauungen und Ziele haben wie wir (so definieren übereinstimmend der Duden, der Brockhaus und das "Politische Wörterbuch" der verflossenen DDR) - allen Menschen also nicht.

Nur zweimal tauchte in den Predigten die Lieblingsvokabel deutscher Weihnachtsgrüße auf: "Besinnliche Feiertage" haben Geschäftsfreunde, Vereinsvorstände und ferne Kusinen uns mit einer gewissen Zwangsläufigkeit gewünscht; ja, RTL versah eine Reportage über den Kaufrausch vor Weihnachten mit dem Tadel: Für "Besinnlichkeit" bleibe da kein Raum.

Wie schön! Die wenigsten praktizieren sie, und Millionen einsamer alter Menschen finden sich Weihnachten verzweifelt auf sie zurückgeworfen. Hat denn der Engel des Herrn den Hirten "Besinnlichkeit" verkündet? Freude war's! Und mit dem Stimmenverhältnis 34 : 2 sind wir gerechtfertigt, wenn wir uns weigern, das alte Weihnachtslied in "O, du besinnliche" umzudichten.

© SZ vom 07.01.2009/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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