Sprache und Politik:So klingt die Macht

Sprache und Politik: Angela Merkel "ist ja am Ende auch nur eine einzelne Protagonistin des technokratischen Geredes".

Angela Merkel "ist ja am Ende auch nur eine einzelne Protagonistin des technokratischen Geredes".

(Foto: AP)

Die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville kritisiert Angela Merkels Rhetorik der Alternativlosigkeit. Politiker sollten auch Unsicherheiten zugeben können.

Interview von Jens-Christian Rabe

In ihrem neuen Buch "Der Sound der Macht" entwirft die Münchner Politikwissenschaftlerin Astrid Séville eine große Kritik an der Sprache der deutschen Politik. Besonders streng geht sie dabei mit dem ins Gericht, was sie das "technokratisch-ermüdende Gerede der etablierten Parteien" nennt, die Rede von der "Alternativlosigkeit" etwa oder den "Hausaufgaben", die alle anderen immer erst einmal zu erledigen hätten. Die zentrale Protagonistin dieses Geredes, Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist als Parteichefin der CDU nun zurückgetreten. Das Ende ihrer Ära ist absehbar. Höchste Zeit für ein paar Fragen.

SZ: Frau Séville, empfinden Sie gerade eigentlich eine gewisse Genugtuung?

Astrid Séville: Tja. Nein. Angela Merkel ist ja am Ende auch nur eine einzelne Protagonistin des technokratischen Geredes, und wir wissen ja noch nicht, was nun auf uns zukommt. Worum es mir eher geht, ist, eine bestimmte rhetorische Konstellation unserer Zeit zu analysieren. Es gibt ja eigentlich gerade zwei Sounds der Macht. Den technokratischen Sound einerseits und als Gegenreaktion das ordinäre Pöbeln der AfD und anderer Populisten.

Wenn Sie von Gegenreaktion sprechen, unterstellen Sie eine gewisse Zwangsläufigkeit. Was ist denn so provokant an der doch eigentlich gerade überhaupt nicht provokanten Sprache der nüchternen Politikverwalter? Es könnten doch auch einfach alle froh sein, dass sich jemand unaufgeregt um sachliche Lösungen bemüht?

Nehmen wir die Rede von der Alternativlosigkeit, mit der Merkel ja besonders viel Zorn auf sich zog und die ihr vielleicht sogar zum Verhängnis wurde. Da ist das Problem, dass diese Rhetorik mit vermeintlichen Sachzwängen oder sogar wissenschaftlichen Evidenzen die politischen Spielräume stark einschränkt. Die Debatte, der Streit um diese Spielräume, ist aber nun gerade das Wesen der Demokratie.

Wer mit Sachzwängen argumentiert, handelt also automatisch undemokratisch?

Nicht, wer mit Sachzwängen argumentiert, aber wer mit Sachzwängen lästige Diskussionen abwürgen will. Demokratie bedeutet, Gegenvorschläge ernst zu nehmen, zu streiten und dabei eigene ideologische, programmatische - und eben nicht bloß "sachliche" - Motivationen nicht ständig zu vertuschen.

Was macht Sie so sicher, dass die Bürgerinnen und Wählerinnen wirklich eine offene demokratische Debatte wollen anstatt ihre eigenen Standpunkte durchzudrücken?

Die gibt es bestimmt auch, und womöglich sind nicht wenige davon inzwischen Wähler der AfD. Aber denken wir an die Finanzkrise und die anschließende eilige Bankenrettung. Da schien mir, dass ein Großteil der Bürger über die Milliardenhilfen für die Finanzinstitute aus Steuergeldern doch gerne noch etwas länger und ergebnisoffener diskutiert hätte. Banken, Investoren und Gläubiger wollten und brauchten dagegen schnell Sicherheit und Erwartbarkeit. Das war für die politische Krisenkommunikation eine sehr schwierige Situation.

Offene und nachdenkliche Politikerinnen gelten auch schnell als unentschlossen und führungsschwach. Unterschätzen Sie nicht die Dilemmata, in denen Politikerinnen in so komplexen Gesellschaften wie unserer heute stecken?

Nein, deshalb ist das vulgäre Pöbeln natürlich auch nicht die Lösung. Übrig bleibt leider nur der schmale Grat zwischen Kommunikation von Führungsstärke einerseits und der Kommunikation von politischem Rückgrat andererseits, also der Kommunikation eines wirklich klaren programmatischen Profils. Das ist etwa im Fall der SPD und der CDU/CSU in den vergangenen Jahren zum Beispiel völlig unklar geworden.

Ist das aber nicht auch etwas modisch argumentiert? Man könnte den liberalen Konsens, der zwischen den großen Parteien entstanden ist, doch auch als zivilisatorischen Fortschritt verstehen?

Das stimmt. Politikwissenschaftliche Studien zeigen allerdings durch die Bank, dass große Parteien, die für den einfachen Wähler immer ununterscheidbarer sind, dazu führen, dass eher kleinere Parteien oder eben auch radikale Randpositionen stärker werden. Und wer Studien nicht glauben mag, der braucht sich nur die Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und nun in Hessen mit den großen Verlusten der alten Volksparteien und den großen Gewinnen der AfD ansehen.

Wie sollte der Sound der Macht Ihrer Meinung nach also künftig klingen?

Er sollte sich einfach so zivilisiert wie möglich bemühen, manifeste politische Differenzen, aber auch die Komplexität von Politik deutlich zu machen - und nicht mehr versuchen, die ideologischen Hintergründe und Unsicherheiten von politischen Entscheidungen zu vernebeln. Und zwar im öffentlichen Gespräch und nicht nur in Parteiprogrammen, denn die liest wirklich kein Mensch.

Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass wir als Bürgerinnen besser mit Widersprüchen, Komplexitäten und Unsicherheiten klar kommen müssen, als wir es inzwischen gewohnt sind. Ist das nicht viel zu viel verlangt?

Diese andere Seite der Sprache der Politik ist auf jeden Fall die ganz große Herausforderung für uns als Wählerinnen und Wähler. Wir sind ja auch sehr widersprüchliche Wesen. Auf der einen Seite geht uns etwa innerparteilicher Streit schnell auf die Nerven, auf der anderen Seite unterstellen wir Elitenklüngel, wenn alles allzu geräuschlos abgeht. Wir müssen uns als Bürger und Bürgerinnen eines demokratischen Staates deshalb auch an die eigene Nase fassen und uns fragen, was wir von den Politikern eigentlich alles erwarten, was für absurde Sicherheitserwartungen wir etwa oft haben. In Zukunft gilt es eher, anzuerkennen, wenn Politiker Unsicherheiten und Schwierigkeiten ehrlich kommunizieren. Denn diese Unsicherheiten und Schwierigkeiten gibt es wirklich, weshalb wir lernen sollten, sie auszuhalten, statt von Politikern unrealistische Sicherheitsversprechen zu verlangen.

Ist der Weg bis dahin aber nicht fast noch länger als der Weg zu einem neuen Sound der Macht?

Hoffentlich nicht!

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