Süddeutsche Zeitung

Sprache im Wandel:It's Grammar, Stupid!

*lol* ist kein Wort, es ist nicht einmal die Abkürzung eines Wortes. Was *lol* und *hey* sein könnten, hat der amerikanische Linguist John McWhorter in einem sehr unterhaltsamen Video analysiert.

Von Bernd Graff

Linguisten gelten als spröde, trocken, schwer verständlich im Allgemeinen. Auf viele dieser Zunft mag das zutreffen, nicht so auf John McWhorter. Der Mann beweist: Linguistik kann auch geistvoll, inspiriert, ja, lustig sein.

Der Professor an der Columbia University in New York, der wissenschaftliche Artikel mit so spannenden Titeln wie "Linguistic Simplicity and Complexity: Why Do Languages Undress?" verfasst, hat im letzten Sommer einen Vortrag auf der TED-Konferenz gehalten, in dem er sich mit einem interessanten Sprach-Phänomen, dem "texting" auseinandergesetzt hat. Eine "überraschende neue Sprache" nennt er dieses Phänomen, dass Menschen in ihren SMS-Kommunikationen so seltsame Abkürzungen wie *lol* (laughing out loud) und *hey* einfließen lassen. Was aber sind wie *lol* und *hey* aus Sicht eines Linguisten?

John McWhorter holt dazu ein bisschen aus. Nein, sagt er, "texting" bedeutet nicht das Ende unserer Sprache, unserer Schrift. Um das zu verstehen, geht er auf die Geschichte und Entwicklung der menschlichen Sprache ein. Der Homo Sapiens ist vielleicht 200.000 Jahre alt. Menschliche Sprache gibt es seit etwa 50.000 Jahren. Würde man die Erfindung der Schrift auf einem Zeitstrahl der Menschen verorten wollen, der 24 Stunden umfasst, dann datiert man die Schrift-Erfindung etwa auf die Uhrzeit 23:07 Uhr. So lange schreiben wir also noch gar nicht.

Sprache also ist in allererster Linie: Sprechen. Schreiben ist dagegen ein echter "Late-Comer", eine Spätzündung, wenn man so will.

Es gibt etwa 6000 Sprachen auf dieser schönen Welt, aber nur ungefähr 100 davon kennen Schrift. Insofern haben Sprachen, die Schrift kennen, zwei Formen der Artikulation: Sprechen und Schreiben. Wenn man Sprechen untersucht, dann fällt auf, dass Sprecher, egal wie gebildet sie sind, in Sinnpaketen von 7-10 Wörtern pro Sprech-Einheit reden. Sprechen ist immer aktuell, Schreiben ist viel langsamer, da man Gedanken ja überdenken kann. Niemand, sagt McWhorter, im alten Rom hat so Latein gesprochen wie Vergil und Cicero geschrieben haben. Sehr selten kommt es vor, dass jemand spricht wie er schreibt. Es sind für gewöhnlich Vorträge, die sehr langweilig sind. Wenn es aber ein Sprechen gibt, das wie Schreiben ist, kann es dann auch ein Schreiben geben, das wie Sprechen ist? Das ist die nun aufgeworfene Frage!

Der Professor sagt: Ja, gibt es. Aber das ist eine Frage der Technologie-Entwicklung gewesen, erst jetzt, mit der Möglichkeit zu schriftlicher Instant-Kommunikation durch SMS und Chat hat sich diese Sprachform entwickelt. McWhorter nennt sie "Texting".

Und - Texting ist überhaupt nicht: Schreiben. Es ist Verschriftung von Sprechen. Und das ist neu und anders. Man spricht von "fingered Speech", verfingertem Sprechen, wenn man so übersetzen darf. Texting mit Schreiben zu verbinden ist so, "als ob man die Musik der Rolling Stones schlecht findet, weil keine Geigen darin vorkommen."

Texting hat sogar das, was Sprachen brauchen: eine Struktur und, ja, eine Grammatik.

Eine typische Artikulationsform des Textings ist: *lol*. Es steht für "laugh(ing) out loud." Es wird überall eingesetzt, aber es ist wird seit Jahren nicht mehr so gebraucht, wie es mal eingeführt wurde. Niemand mehr "lacht laut heraus", wenn er *lol* gebraucht. Stattdessen wird *lol* als Sinnpartikel verwandt, der zwischen den (schriftlich miteinander) Sprechenden aushandelt, dass man sich in demselben Interpretations-Kontext befindet: *lol* ist ein Indikator. Und insofern ist es Teil einer Grammatik: es ordnet Sprache, damit Verständigung möglich ist. "Yo!", gesprochen und geschrieben, macht genau dasselbe, "Hey!" auch. Das "Hey!" aber steht für etwas Anderes: Es wird eingesetzt, wenn man im "Texting" zu einem anderen Gedanken, einem anderen Inhalt überleiten will. Wer also die SMS verfasst: "*lol*, es regnet, hey: ich mache eine Party" will damit nicht sagen, dass er im Regen tanzt, sondern, dass er eine Party macht, unabhängig vom Wetter.

Texting also ist nicht das Ende der Schrift, es ist verschriftetes Sprechen mit seiner ganz eigenen Grammatik, die es geben muss, denn beim Texting muss es ja schnell gehen, sonst würde man ja schreiben. Ein toller Vortrag!

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