Digitale Kultur:Tech-Konzerne formatieren die Wirklichkeit

Apple - HomePod Release 2017

Digitale Assistenten, wie hier Apples "HomePod", drücken sich zunehmend menschlich aus.

(Foto: picture alliance/AP Photo)
  • Pro Tag verarbeitet Google Translate mithilfe von künstlicher Intelligenz durchschnittlich 143 Milliarden Wörtern.
  • Während Maschinen immer mehr wie Menschen reden, kommuniziert der Mensch zunehmend in Maschinencode.
  • KI-Assistenen und Netzwerklautsprecher wie Google Home oder Amazon Echo verstärken diesen Effekt.

Von Adrian Lobe

Im Jahr 1971 wurde die erste Mail verschickt. Inzwischen ist daraus ein ernstes Problem erwachsen: Jeden Tag werden 270 Milliarden E-Mails auf der ganzen Welt versandt. Das sind ungefähr 72 Mails pro Person. Eine gigantische Informationsflut, mit deren Abarbeitung man kaum noch hinterherkommt.

Google glaubt für dieses Problem eine Lösung zu haben. 2015 hat der Suchmaschinenriese seinen E-Mail-Dienst Inbox um die Funktion "Smart Reply" ("intelligente Antwort") erweitert, die eingehende Nachrichten analysiert und standardisierte Antwortbausteine generiert. Wenn man zum Beispiel per Mail eine Absage für eine Party bekommt, bietet Google Floskeln aus dem Setzkasten an. Zum Beispiel: "Wir werden dich vermissen" oder "Tut mir leid zu hören". Der Nutzer muss keine Antwort mehr formulieren, sondern nur noch einen Knopf drücken. Der Algorithmus wird zur automatischen Schreibmaschine.

Mittlerweile werden zehn Prozent aller via Googlemail versandten Mails von Google-Robotern verfasst. Wohlgemerkt, Gmail hat über eine Milliarde aktiver Nutzer. Man muss sich vor Augen führen, was diese Zahlen eigentlich bedeuten. Google erlangt dadurch eine Sprach- und Wortgewalt, die es in der Geschichte in dieser Form noch nicht gab. Der Konzern zerlegt nicht nur Worte in ihre Einzelteile (Google Translate verarbeitet pro Tag mithilfe von künstlicher Intelligenz die unvorstellbare Menge von 143 Milliarden Wörtern), sondern er produziert auch Wörter.

Im "linguistischen Kapitalismsus" hat Google enormes Kapital ansammeln können

Der Kulturwissenschaftler Frédéric Kaplan hat dieses Geschäftsmodell als "linguistischen Kapitalismus" bezeichnet. Google sei es gelungen, eine Form von linguistischem Kapital zu akkumulieren und dieses Kapital in Geld zu transformieren, indem es ein algorithmisches Auktionsmodell für Keywords, also für Schlüsselwörter, organisiert habe.

Aus der anfänglichen Idee, das World Wide Web zu indexieren, ist ein kybernetisches Kontrollsystem geworden. Algorithmen scannen Suchanfragen (und damit verbalisierte Gedanken) und legen Nutzern per Autovervollständigung Worte in den Mund.

Google hat in diesem Jahr auch einen KI-Assistenten namens Duplex präsentiert, der selbständig Telefongespräche führen und Termine vereinbaren kann. Der virtuelle Assistent ist so programmiert, dass er Verlegenheitslaute wie "ähm" oder auch "hm" in das Gespräch einstreut und Kunstpausen (besser gesagt: künstliche Pausen) einlegt, um menschlicher zu wirken. Der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung weiß dann nicht, dass er eigentlich mit einem Roboter telefoniert. Während Maschinen wie Menschen reden, kommuniziert der Mensch zunehmend in Maschinencode.

Davon zeugen etwa die Sprachkommandos, mit denen Netzwerklautsprecher wie Google Home oder Amazon Echo bedient werden. "Füge 'Butter' zur Einkaufsliste hinzu." - "Alexa, weck' mich um 6 Uhr morgens mit Musik zum Aufstehen." Dieser Befehlston, das Sprechen in Imperativen, das einen pädagogischen Unterton hat und im erzieherischen Kontext mit Kindern verwendet wird, hat zunächst technische Gründe: Der Duktus muss sich der Maschine anpassen, da der Sprachsoftware eine spezifische Syntax einprogrammiert ist.

Nirgends ist das Phänomen so augenfällig wie bei Emojis

Weil mittels Programmiersprachen aber nicht nur Daten, sondern auch das Denken strukturiert wird, erwächst daraus eine Sprachmacht: Programmierer determinieren autoritativ, welche Sprachbefehle die Software versteht und welche nicht. Auf die Frage, "Siri, kennst du Alexa?" antwortet Apples Sprachassistentin übrigens: "Konkurrenzdenken ist nicht so wirklich mein Ding." Zwar ist diese Aussage ironisch gebrochen, doch ist der Sprechakt, der perlokutionäre Akt, dysfunktional, weil der beabsichtigte Effekt, die Suche nach Alexa, gar nicht eintritt.

Vom Philosophen Ludwig Wittgenstein stammt der Satz: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Nur was sich verbalisieren lässt, existiert auch. Bezogen auf die Technikwelt bedeutet das: Nur was sich in der Beschreibungssprache des Codes ausdrücken lässt, existiert auch. Die Konzerne formatieren die Wirklichkeit.

Nirgendwo ist dieses Phänomen so augenfällig wie bei Emojis. Jeden Tag werden sechs Millionen dieser Symbole auf der Welt verschickt. Man kann mit den Piktogrammen bei der Pizzakette Domino's Pizza bestellen oder Politikern seine Unterstützung signalisieren. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton twitterte im August 2015: "Wie fühlen sich eure Studienkreditschulden an? Sagt es uns in drei Emojis oder weniger."

Sprachforscher streiten, ob Emojis eine eigene Sprache bilden. Die Computerlinguistin Gretchen McCulloch argumentiert, dass Emojis das "digitale Äquivalent" von Mimik oder Gesten seien, welche Sprache eher ergänzen, aber nicht ersetzen. Wenn man ein Smiley verschicke, sei das so, als wenn man zusätzlich zum Gesprochenen unterstützend lächele.

Nur weil Emojis keine Syntax haben, folgt daraus nicht zwingend, dass sie keine Sprache darstellen. Die Elastizität der Bedeutungseinheiten - das als High-Five beliebte Emoji stellt eigentlich gefaltete oder betende Hände dar - spricht für den Sprachcharakter. Doch das Signum einer modernen Sprache, die Wandelbarkeit und Offenheit, ist bei Emojis gerade nicht gegeben. Die Zeichen sind wie Programmier"sprachen" ein geschlossenes System.

Über die Aufnahme von Emojis entscheidet das Unicode-Konsortium, ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Mountain View, dem Tech-Konzerne wie Apple, Facebook, Google, IBM und Microsoft angehören. Der Unicode-Standard, der von dem Gremium jedes Jahr herausgeben und in die Betriebssysteme implementiert wird, friert die Systematik und Semantik bis zur nächsten Beschlussfassung ein. Das digitale Fußvolk kann allenfalls Vorschläge unterbreiten. Dass eine kleine Elite ein Zeichensystem beherrscht, kennt man nur aus antiken Hochkulturen wie dem alten Ägypten und Mesopotamien. Und das waren keine demokratischen, sondern hierarchische Gesellschaften.

Es erinnert an George Orwells Dystopie "1984"

Der Weg vom Sprachmonopolisten zum Sprachpolizisten ist da nicht mehr weit. So haben Google, Apple und Twitter das Pistolen-Emoji in wohlfeilem Paternalismus durch ein Wasserpistolen-Emoji ersetzt, weil sie eine gewaltfreie Kommunikation programmieren und die Nutzer sprachlich entwaffnen wollen. Es erinnert ein wenig an George Orwells Dystopie "1984", wo Syme, der im "Ministerium für Wahrheit" an der Ausgabe des Wörterbuchs für Neusprech arbeitet, am Mittagstisch in der Kantine deklamiert: "Es ist eine herrliche Sache, dieses Ausmerzen von Worten." Aus Fiktion wird Wirklichkeit.

Es geht hier um nicht weniger als die Deutungshoheit über Zeichen und Symbole. Als Apples Software-Chef Craig Federighi die neuen "predictive emojis" seines Hauses vorstellte, welche die Gefühle der Nutzer antizipieren sollen, prophezeite er: "Die Kinder von morgen werden kein Verständnis der englischen Sprache mehr haben."

Wenn mathematische Formeln erzählen, braucht es schon gar keine Worte mehr. Das Individuum degeneriert zur Datenfolge. Man kann diese Sentenz auch als antiaufklärerisches, autoritäres Postulat deuten: Wer der Sprache nicht mächtig ist, kann logischerweise nicht widersprechen - und ist machtlos. Amazon-Manager David Limp geht sogar noch einen Schritt weiter: "Die Kinder von heute wachsen in einer Umgebung auf, ohne sich an den Tag erinnern zu können, wo sie nicht mit ihren Häusern sprachen."

Mensch und Maschine sprechen im Internet der Dinge eine Sprache: Programmiersprache

Im Internet der Dinge, wo vom Auto bis zur Zahnbürste Objekte miteinander kommunizieren, sprechen Mensch und Maschine eine Sprache: Programmiersprache. Alles wird der Grammatik des Codes untergeordnet. Wo in China Algorithmen Textnachrichten zensieren, werden in westlichen Demokratien Nutzer trivialisiert - mit der Folge, dass ihr Kommunikationsverhalten genauso kontrollierbar und steuerbar ist.

Indem Tech-Konzerne sprachliche Codes determinieren, implementieren sie Sprachregelungen und schränken durch technische Voreinstellungen den diskursiven Raum ein. In Diktaturen konnten Dissidenten die Zensur noch mit subversiven Wortspielen und Witzen umgehen. In der künstlichen Umgebungsintelligenz kann man schon gar keine Systemkritik mehr formulieren, weil jede Spracheingabe a priori systemkonform ist.

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