"Da 5 Bloods" - Film von Spike Lee:Gefühle der Rache und des Versagens

Da 5 Bloods Film 2020 Spike Lee Kritik

Einige der "Bloods" in der Disco in Vietnam.

(Foto: Netflix)

Aus einer Dschungel-Schatzsuche für vier Rentner macht der Regisseur Spike Lee einen hochpolitischen Film, der die George-Floyd-Proteste beinahe vorausahnt: "Da 5 Bloods" handelt vom Vietnamkrieg, von Traumata und schwarzer Wut.

Von Tobias Kniebe

Ein winziger Moment, er wirkt wie eingeschmuggelt. Ein Trupp afroamerikanischer Soldaten im Vietnamkrieg, geduckt im Hinterhalt, im hohen Schilfgras des Dschungels. Voraus sieht man Vietcong, die schwatzend näherrücken, bald werden sie ins Feuer der Amerikaner hineinlaufen. So weit, so klar, ein Standard des Kriegsfilms.

Aber plötzlich sind da Untertitel, die das Vietnamesische übersetzen, das Plaudern der todgeweihten Feinde. Einer erzählt von dem Schal, den die Frau ihm eingepackt hat, und wie er ein sehnsuchtsvolles Gedicht darin versteckt fand. Ein anderer spricht vom Kuss vor dem Abschied, da knattern die Gewehre, leichte Ziele, kurze Distanz. Kein Vietcong überlebt.

Spike Lees "Da 5 Bloods" geht dann weiter, als ob nichts gewesen wäre, aber da war eben doch etwas. Anonyme Ziele sind plötzlich menschlich geworden, sympathisch, verletzlich. Ihr Tod erscheint sinnlos, so sinnlos wie der ganze Krieg, so sinnlos wie den schwarzen Soldaten ihr eigener Einsatz erscheint - in vorderster Front für ein Land, das sie für frei und gleich erklärt hat und ihnen doch immer noch die elementarsten Bürgerrechte verwehrt.

Dies will ein emanzipatorischer Film sein. Ein Film des grundlegenden Zweifels an Obrigkeiten, Systemen der Ausbeutung und Unterdrückung, an gefährlichen Ideologien und Befehlen. Eine starke Antriebskraft, die aber von einer noch stärkeren Sorge überlagert wird: Das all dies zu sehr nach Geschichtsstunde klingen könnte, nach Hausaufgaben, die man nie gemacht hat, nach dem Gegenteil von Spaß.

Wie sollen alle Elemente dieses Films in einer wilden Mischung zusammengehen? Gar nicht

Und deshalb ist "Da 5 Bloods", von Spike Lee direkt für Netflix gedreht, noch sehr viel mehr: Eine schwarze Rentnerkomödie, in der man die "Brother"-Beschwörungen, Fist Bumps und High Fives kaum zählen kann; eine Schatzsuche im Dschungel, mit ein paar Wendungen und Zufällen, die jeder Wahrscheinlichkeit Hohn sprechen; ein Film über zähe schwarze Motherfucker, die tatsächlich viel vom Töten verstehen, wenn sie mit vietnamesischen Gangstern, oder noch schlimmer, Frosch- und Schneckenfressern (sprich: goldgierigen Franzosen) aneinandergeraten. Und schließlich ein Trauma-Verarbeitungsfilm der ganz ernsten Sorte, mit einer beinahe religiösen Sehnsucht nach Erlösung.

Wie soll das alles, in einer absolut wilden, zweieinhalbstündigen Mischung, zusammengehen? Gar nicht, gemessen an den üblichen Maßstäben für Kohärenz und Geschlossenheit. Und doch wird man das Gefühl nicht los, während man von einem Genre ins nächste geschleudert wird, vom Lachen ins Mitleiden, vom Kopfschütteln ins Nachdenken, dass dies der Film zur Stunde ist. Die Wut auf alle Formen der Unterdrückung ist mit Händen zu greifen, ebenso das Gefühl, dass jemand endlich für all die Verbrechen an den Schwarzen Amerikas bezahlen muss.

Das ist offenbar auch der Grundgedanke in dem Script von Danny Bilson und Paul De Meo, mit dem alles wahrscheinlich recht leichtfüßig begann: Fünf schwarze GIs stoßen im Dschungeleinsatz in Vietnam auf ein abgeschossenes US-Flugzeug mit einer Kiste Goldbarren an Bord, die sie vergraben, um den Schatz später zu bergen. Ihr hochpolitischer Anführer (Chadwick Boseman), geschult am Denken von Malcolm X, begreift das Gold als Reparationszahlung für die Sklaverei und alle folgenden Verbrechen. Leider stirbt er selbst noch an der Fundstelle.

In der Gegenwart treffen sich die vier überlebenden "Bloods" nun wieder in Ho Chi Minh City, um den Plan wahr zu machen - und zugleich die Gebeine des fünften Manns zu suchen, der ein ehrenvolles spätes Begräbnis in der Heimat erhalten soll. Warum sie damit fast fünfzig Jahre gewartet haben, bis die müden Knochen das erhoffte Gold kaum noch tragen können, sollte man in Plots dieser Art lieber nicht fragen.

Es geht schließlich um Kameradschaft, Erinnerungen, Spaß und Abenteuer, und für Spike Lee geht es auch um augenzwinkernde Kriegsfilmzitate, etwa Wagners "Walkürenritt" auf dem Soundtrack. Anmerkungen zur Wahrscheinlichkeit stören da nur, ebenso die Frage, warum die Schauspieler, die fast alle auf die Siebzig zugehen, in den Kriegsrückblenden auch als Zwanzigjährige auftauchen, ohne größere Anstrengungen der Verjüngung.

Zwei der vier "Bloods" widmet der Film gleich mehr Aufmerksamkeit, was den anderen eine dringende Warnung sein sollte - in so einem Drehbuch tritt man schnell mal ganz unzeremoniell auf eine Landmine, wenn man nicht genug Profil entwickelt.

Weniger Sorgen machen braucht sich da Otis (Clarke Peters), der besonnene Planer der Aktion. Er vertraut auf die Hilfe einer ehemaligen Geliebten in der Stadt, von der er, wie sich jetzt erst herausstellt, eine wunderschöne erwachsene Tochter hat. Noch mehr im Fokus aber steht Paul (Delroy Lindo), der eine rote "Make America Great Again"-Kappe trägt und gleich bekennt, Donald Trump gewählt zu haben.

Es ist das erste Anzeichen dafür, dass er seine drei Einsätze in Vietnam geistig nicht ganz unbeschadet überstanden hat. So volatil ist sein Zorn auf alles, dass sein Sohn (Jonathan Majors) ihm nachgereist ist und auf ihn aufpassen will - also besteht der Trek in den Dschungel dann wieder aus fünf Männern. Als das Gold dann tatsächlich gefunden ist, dominiert Pauls wachsende Paranoia das Geschehen, bis er sich schließlich von allen verraten fühlt und schon halb umnachtet allein weiterstapft.

Eine lange Einstellung auf Delroy Lindos schweißüberströmtes Gesicht, während er in einem gleichzeitig wirren und luziden Monolog zu sich selbst spricht, gehört zu den Momenten des Films, die sich in die Netzhaut einbrennen. Gefühle der Wut und der Rache, aber auch des Versagens und der eigenen Schuld zerfurchen qualvoll seine Züge. Er erscheint als ein Opfer, aber all die Schläge, die er einstecken musste, haben ihn auch gefährlich gemacht - wieder einmal wird hier der Dschungel zum Einstieg in das Herz der Finsternis. Und in die Vision der Toten: Chadwick Boseman, der auch schon der "Black Panther" war, erscheint hier einmal mehr im Modus des überirdisch erleuchteten Superhelden.

Nach diesem packenden Ausflug in die Tragödie nimmt Spike Lee dann wieder die Kurve zu einem leichtfüßigen, fröhlich-aktivistischen Finale. Am Ende reibt man sich die Augen und fragt, was man da eigentlich gesehen hat. Aber so schwer es auch fällt, diesen schillernden Filmbastard auf einen Begriff zu bringen - so richtig fühlt sich "Da 5 Bloods" gerade an.

Da 5 Bloods, USA 2020 - Regie: Spike Lee. Buch: Danny Bilson, Paul De Meo, Kevin Willmott, Lee. Kamera: Newton T. Sigel. Mit Delroy Lindo, Chadwick Boseman, Clarke Peters. Auf Netflix, 155 Minuten.

Zur SZ-Startseite
Martin Moszkowicz im Büro der Constantin Film in München, 2019

SZ PlusChef von Constantin Film im Interview
:"2021 wird ein sehr, sehr volles Kinojahr werden"

Martin Moszkowicz, der Chef von Constantin Film, spricht über die Zukunft des Spielfilms und wie sich Kinobesuche verändern werden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: