Spielzeuggeschichte:Das Wunder der Noppensteine

Lego figure is seen as construction continues in North America's first ever Lego Hotel currently being built at Legoland in Carlsbad

Die Geschichte einer denkwürdigen Legozentrik des eigenen Produkts, das sich fast logisch mit einem eigenen Reich verknüpft, beginnt im Legoland.

(Foto: Reuters)

Vor 50 Jahren wurde das erste Legoland der Welt eröffnet. Heute folgen die Parks wie alle anderen einer Ökonomie des schrillen Spektakels. Reicht der Legostein nicht mehr?

Von Gerhard Matzig

Et in Arcadia ego - der lateinische Satz, der so elegant rhythmisiert ist, besagt: Auch ich (war) in Arkadien. Dem Mythos, nicht aber der Geografie zufolge, wonach Arkadien eine griechische Landschaft umschreibt, ist von einem bukolischen Traum die Rede. Vom Lob des einfachen Lebens. Vom Glück des wenigen, das mehr ist. Deshalb war auch Goethe in Arkadien, wenn auch in der französischen Champagne. Evelyn Waughs Arkadien war jedoch Brideshead. Und was sagt der Deutschlehrer aus Bitterfeld, der in "Go Trabi Go" am Gardasee steht? "Auch ich in Arkadien."

Es wird Zeit, die Irrfahrt aus Mythos und Geografie zu beenden und darauf hinzuweisen, dass weder der Peloponnes noch die Champagne, weder Brideshead noch der Gardasee zum Legoland gehören. Sieben Freizeitparks gibt es insgesamt. Eines befindet sich in Großbritannien, zwei in den USA, eines in Malaysia und eines in Dubai. Sogar in Deutschland gibt es ein Legoland. Seit Mai 2002. In Günzburg. Doch das Ur-Lego-Arkadien feiert nun seinen 50. Geburtstag in Billund, Dänemark.

Dort hat der größte Spielzeughersteller der Welt (dänisch: "leg godt", spiel gut) seinen Sitz seit 1932. Die Firma des Holztischlers Ole Kirk Christiansen wurde so schnell erfolgreich, dass 1968, noch vor Woodstock, das erste Legoland der Welt als eine Art Peace-Festival der Klötzchen eröffnet werden konnte. Was auch immer sich heute "BMW-Welt", "Trump-Tower" oder dergleichen nennt: Die Geschichte einer denkwürdigen Legozentrik des eigenen Produkts, das sich fast logisch mit einem eigenen Reich verknüpft, beginnt in Billund.

7537 verstaubte Teile warten noch immer auf den Rest. Oder auf Chewbacca

Tischlermeister Christiansen war findig. Eigentlich stellte er Holzspielzeug her. Doch die Türme aus seinen Klötzchen waren instabil, da sich die Bausteine nicht verbinden ließen. Erst ein System aus Noppen (oben) und Hohlräumen (unten), verbunden mit Celluloseacetat, brachte es an den Tag: Man kann Steine fixieren und daraus alles bauen. Tower, Welt, Legoland. Im Reich des Spielens gehört der Legostein zu den Sternstunden, weil er das denkbar simpelste Vehikel der Fantasie ist. Die Fantasie, so formulierte es Einstein, sei dem Wissen überlegen - denn das Wissen ist begrenzt. Sieben gleichfarbige Vier-mal-zwei-Steine ergeben schon mehr als 85 Milliarden mögliche Kombinationen. Ein Wunder.

Wie viele Wunder, ging auch dieses zur Neige unter dem Stichwort "Digitalisierung des Kinderzimmers". Weil die Manager anfingen, der komplex simplen Magie ihrer eigenen Steine zu misstrauen, begann man, sich der Wandelwelt des elektrifizierten Spielens anzuschmiegen. Das führte in die Krise. Erfolgreicher, wenngleich befristet, war man mit der Franchise-Strategie, sich die großen Fiktionen von "Harry Potter" bis "Star Wars" einzuverleiben.

Wer je mit seinen Kindern unterm Weihnachtsbaum sitzend am "Star Wars Millennium Falcon" 7537 Teile zusammengenoppt hat, um schließlich bis in die Morgenstunden die letzten vier verschwundenen Teile per Familien-Ringfahndung vergebens einkreisen zu wollen, der weiß: Mit der Magie der Einfachheit oder gar mit Fantasie hat das Spiel nichts mehr zu tun. Bis heute steht der Flugfrachter, einmal zusammengebaut, unberührt als Staubfänger im Kinderzimmerregal und wartet womöglich auf Chewbacca. Oder auf die vier letzten Teile.

Ähnlich problematisch verlief auch die Entwicklung der Legoländer. Übrigens gehören die Vergnügungsparks seit 2005 nicht mehr zu Lego, sondern zur Merlin Entertainments Group. Die 106 Freizeiteinrichtungen des britischen Spezialisten für Themen- und Vergnügungsparks werden jährlich von etwa 63 Millionen Gästen besucht. Doch auch hier schien die Attraktivität der bunten Steine endlich. Weshalb auch die Legoländer aufrüsteten: Attraktionen und Fahrgeräte aller Art mussten in der Konkurrenz um Gästezahlen ihren Beitrag leisten. Mitunter sind Legoländer einfach nur noch Spaßoasen, die am Rande auch noch an Legosteine erinnern. Fast möchte man sentimental werden, da ist aus Günzburg zu erfahren: "Die mit Abstand beliebteste Attraktion im ganzen Park ist und bleibt das Miniland."

Das Miniland verkörpert sozusagen die Keimzelle und Hauptstadt eines jeden Legolandes. In Deutschland wurde mit mehr als 25 Millionen Legosteinen eine Welt im Miniaturformat originalgetreu nachgebaut. Zu sehen ist etwa der Berliner Reichstag oder auch die Allianzarena in München. Die Legoländer mögen heute alles in allem keine Arkadien der Einfachheit und der Fantasie mehr sein, sie folgen - wie andere Vergnügungsparks - einer Ökonomie des schrillen Spektakels. Aber solange das Wunder der Noppensteine noch einen Ort wie das Miniland hat, kann man sagen: Auch ich in Günzburg. Billund. Oder wo auch immer.

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