"Spielart"-Festival in München:Dschungelrumpeln

Lesezeit: 3 Min.

Für die Theater aus Afrika und aus Asien ist der Kolonialismus oft ein Thema, aber nie eine Ausrede.

Von Egbert Tholl

Nora Chipaumire ist der Knaller des Festivals. Schon bevor die Zuschauer die Muffathalle in München betreten, dröhnt ihnen infernalischer Lärm entgegen, durchsetzt von Wortkaskaden in vier Sprachen, wobei selbst der englische Teil kaum verständlich ist. Was man versteht, ist die Haltung, die Attitüde: Die schwarze Performerin aus Simbabwe, die längst in New York lebt, tritt beim Festival "Spielart" nicht an, um in Larmoyanz die Folgen des Kolonialismus in ihrer Heimat zu beklagen. Sie hat Stolz und Wut, und ihre Performance "Portrait of myself as my father" nennt sie "the ultimate manifesto about the black african".

Ihr ultimatives Manifest zu den Schwarzen in Afrika beruht auf vier Jahren Recherche in der eigenen Vergangenheit. Zum ersten Mal seit 40 Jahren besuchte Chipaumire das Dorf ihres Vaters, sie sagt, sie musste die Erde sehen, in der er begraben liegt, was vage an archaischen Totenkult gemahnt. Und doch ist ihre Darbietung, in der sie Momente des Lebens von Webster Barnabas Chipaumire nachzeichnet, die Rechtlosigkeit der Schwarzen, die nie ihr eigenes Land besitzen durften, keine Biografie der eigenen Familie. Aus der Beschäftigung mit der Geschichte der weißen Herrschaft in ihrem Land, bevor dieses 1980 unabhängig und Simbabwe wurde - zuvor hieß es Rhodesien -, wird eine Geschichte des schwarzen Mannes an sich.

Die Performerin präsentiert alle Klischees: Der Schwarze als Tier, als Sensation, als Sexobjekt

Dazu steigt sie mit zwei Kontrahenten in einen Boxring, bewehrt mit Stachelunterhose und einer American-Football-Ausrüstung, und dekliniert alle Klischees durch. Der Schwarze als wildes Tier, als körperliche Sensation, als Sexobjekt. Sie streift den "Rumble in the jungle", den Boxkampf zwischen George Foreman und Muhammad Ali 1974 in Zaire, führt ihren "Vater" an der Leine durch den Ring, überschwemmt das Publikum mit den bizarrsten "Nigger"-Komposita und fordert den absoluten "Nigger Base", dessen Hip-Hop-Dröhnen daran erinnert, dass beim Einlass der Gebrauch von Ohrstöpseln empfohlen wurde.

Zum zwölften Mal findet gerade "Spielart" in München statt, ein Festival der freien Theaterformen. Über die Jahre wurden hier viele internationale Gruppen und Künstler präsentiert, von denen einige längst an Stadt- und Staatstheatern arbeiten. Vielleicht auch daher rührte in diesem Jahr die Sehnsucht, sich stärker noch als in der Vergangenheit auf außereuropäisches Theater zu konzentrieren. So kam es zu den Schwerpunkten südliches Afrika und Asien. Unterstützt von Experten vor Ort gelang den beiden Kuratoren Tilmann Broszat und Sophie Becker die Zusammenstellung eines Programms, das in seiner Stringenz die Festivalmacher selbst ein bisschen überraschte. Denn nicht jede Produktion hatten sie zuvor gesehen, manches wurde von den Künstlern in einem nie endenden Arbeitsprozess völlig verändert. In der Gesamtschau aber entstand ein Festival, das hierzulande kaum bekannte Künstler zeigt, das wenig auf verführerischen Schauwert setzt und insgesamt wie ein großer Bühnenessay funktioniert. Mit vielen dann doch ziemlich heterogenen Bestandteilen.

Jaamil Olawale Kosoko in seiner Performance „#Negrophobia“. (Foto: Spielart)

Auch Jaamil Olawale Kosoko, New Yorker mit nigerianischen Wurzeln, untersucht den sexfixierten Blick auf den schwarzen Körper, bringt ein wenig Queerness in Gestalt der Tänzerin Imma mit dazu und offeriert jedem Weißen im Publikum die Chance, ein schlechtes Gewissen zu kriegen. Neo Muyanga überführt bestechend brillant traditionelle Musik Südafrikas in westliche Kunstmusik, Boyzie Cekwana wandert als trauriger König Lear (respektive als "Last King of Kakfontein") durch eine Welt, die - so kann man aus seiner Rede herausdestillieren - von den falschen Königen Trump (USA) und Zuma (Südafrika) beherrscht wird.

Manche Arbeit beschäftigt sich mit der Gegenwart im eigenen Land, etwa Mamela Nyamzas "De-apart-hate", das vom Ende der Utopie der "Regenbogen-Nation" Südafrika kündet. Aber stets gibt es einen Verweis auf die Kolonialzeit, selten plump und nie als Ausrede. So lässt Sankar Verkateswaran in "Criminal tribes act" zwei Vertreter unterschiedlicher Kasten von der strikten Trennung der Gesellschaft in einem Dorf berichten, ohne zu vergessen, dass die Briten das Kastensystem nur zu gerne als Mittel nutzen, um ihre Kolonialmacht in Indien zu festigen.

Und Mark Teh aus Kuala Lumpur feiert die staatlich verordnete, irrsinnig banal westliche Vorbilder kopierende, wunderbare Zukunft Malaysias als Plastiktrash. Wenn es nicht um die Wunden der Vergangenheit, um Kolonialkriege in Deutsch-Ostafrika, sexuelle Gewalt, aufgezwungene gesellschaftliche Systeme geht, dann um den Verlust der kulturellen Identität durch bildwütiges Kopieren westlicher Vorbilder. Dem gegenüber steht Albert Khoza, ein Sangoma, ein traditioneller Heiler aus Südafrika, der sich selbst in unverbrüchlicher Archaik als international tätiger Künstler versteht.

Mark Tehs Plastiktrash über die verordnete Idealzukunft Malaysias „Version 2020 – the complete futures of Malaysia Chapter 3“. (Foto: Franz Kimmel)

Freilich: Auch dem zentralen Diskurswochenende, das mit 20 Stunden Debatte die zum Verständnis vieler Arbeiten notwendige Informationen liefert, haftet etwas Spätkoloniales an: Fast keiner der Teilnehmer spricht in seiner Sprache, alle sprechen Englisch. Wie auch Achille Mbembe, Philosoph an der Universität von Johannesburg, der ein elaboriertes Szenario vom Untergang der Demokratien und Identitäten in einer digitalen Globalisierung entwirft. Nicht neu, aber mit Verve.

Noch mehr Verve beweist Nora Chipaumire während einer Podiumsdiskussion. Sie mache keine Exportversionen ihrer Arbeiten, die sie in Afrika genau so präsentiere wie im Westen. Ob das Publikum alles verstehe, sei ihr egal. "Was, glauben denn die Leute, sei afrikanisch? Ein bisschen Folklore? Ich bin Avantgarde."

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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