Süddeutsche Zeitung

Spiel:Schauspiel mit Joypad

Nie waren Videospiele näher am Film als in der "Uncharted"-Reihe. Mit einem furiosen vierten Teil endet die Serie, die den sympathischen Helden Nathan Drake um die ganze Welt gebracht hat.

Von Michael Moorstedt

Der Mann hat ein Händchen dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Innerhalb der ersten halben Stunde des Videospiels "Uncharted 4" findet sich der Protagonist des Spiels erst im Kugelhagel feindlicher Schergen auf hoher See wieder, dann in einem katholischen Internat und schließlich in einem heruntergekommenen südamerikanischen Knast.

Dieser Mann heißt Nathan Drake und ist genau der Typ liebenswerter Tunichtgut, den jeder Hollywood-Drehbuchautor zu erfinden versucht. Wäre nicht das Schulterholster mit Pistole, könnte man sich den Kerl auch in einem Werbespot von einer jungen, urbanen Modemarke vorstellen. Das Mundwerk sitzt so wie seine Knarre. Han Solo und natürlich Indiana Jones standen Pate. Es ist also kein Wunder, dass sich Uncharted eher wie ein Abenteuerfilm anfühlt als wie ein Videospiel.

Vor beinahe zehn Jahren veröffentlichte das Entwicklungsstudio "Naughty Dog" den ersten Teil dieser Serie. Damals war man sich in der Industrie sicher, dass Computer- und Konsolenspiele den Film als popkulturelles Leitmedium bald ablösen würden. Heute ist man gleichzeitig näher dran an diesem Ziel und doch weiter davon entfernt. Jene Menschen, die in den Motion-Capturing-Studios - dort, wo natürliche menschliche Bewegungen aufgezeichnet werden, um sie auf Computerfiguren zu übertragen - als Vorlage für die digitalen Charaktere dienen, fungieren mittlerweile auch als deren Sprecher. Da entwickelt sich eine merkwürdige Art von Hyper-Schauspielerei, die kaum noch von der Machart moderner Blockbuster zu unterscheiden ist. Auch die werden ja wie die Bewegungsaufzeichnungen für die Spiele beinahe ausschließlich vor dem Greenscreen gedreht. Auf der anderen Seitegeht es in den momentan populärsten Spiele entweder darum, repetitive Aufgaben zu erledigen, um dafür mit virtuellen Gütern entlohnt zu werden. Oder sie haben keinen Plot mehr, wie der Mega-Erfolg "Minecraft", eine Art digitale Sandkiste.

Drake dagegen ist auch im vierten und letzten Teil seiner Abenteuer immer rund um den Globus unterwegs, immer auf der Spur berühmter Entdecker - mal Namensvetter Francis Drake, mal Marco Polo, mal Lawrence von Arabien - und lässt dort geplünderte Grabmäler und zerstörte Ruinen zurück. Im aktuellen Teil spürt er dem Schatz des legendären Piraten Henry Every nach, und Uncharted bedient sich dabei recht ungeniert aus dem in Hollywood gängigen Charakterbaukasten: Sympathisch-trottelige Vaterfigur? Klar. Komplizierte Liebesbeziehung? Check. Lang verloren geglaubte Familienmitglieder, die unverhofft wieder auftauchen? Sowieso. Ein Plot der Kategorie "noch ein letzter Job", der an "Ocean's Eleven" oder die "Bourne"-Filme erinnert, rundet das Erfolgsrezept ab. Das geht in Ordnung. Uncharted will, wenn überhaupt, schließlich Popcorn-Kino sein und nicht Arthouse.

Das Spiel ist ein sogenanntes Third-Person-Spiel. Das bedeutet, die Kamera folgt dem Spieler schräg über Drakes Schulter versetzt, das gewährleistet einen guten Überblick. Auch hier zeigt sich wieder die Nähe zum Film, wenn etwa in Schlüsselmomenten plötzlich der Blickwinkel geändert wird, die Kamera ist nun zu seinen Füßen oder direkt vor ihm platziert, er läuft auf sie zu, verfolgt von irgendeiner tödlichen Gefahr - ein klares Zitat des ersten Teils von "Indiana Jones".

Die beinahe zwanghafte Fixierung auf den Film führt in diesem Fall dazu, dass es einige Momente gibt, in denen Spielmechanik und Geschichte nicht so recht zusammenpassen. So scheint im Uncharted-Universum etwa ein Naturgesetz zu existieren, dass auf Nathan Drakes Pfaden immer genügend praktische Ecken und Kanten platziert sind, entlang derer er die Fassaden emporklettert.

Außerdem gibt es unter jedem Vorsprung eine Kiste, auf die man klettern oder die man verschieben kann, um nach oben zu gelangen. Mechanismen, die in ihrer Offensichtlichkeit die Glaubhaftigkeit der Welt stören. Viel gravierender ist allerdings, dass der so sympathisch wirkende Drake, dieser digitale Jedermann, zum Massenmörder mutiert, sobald der Spieler die Kontrolle über ihn übernimmt. Die Computergegner werden im Dutzend abgeknallt, ihr Ableben kommentiert Drake hin und wieder mit flotten Sprüchen.

Dass der Plot bisweilen ins Übernatürliche abdriftet - Nazi-Zombies und Geheimgesellschaften spielten in den vorigen Teilen den Endgegner - stört den Hyperrealismus weitaus weniger. So etwas ist vielmehr genrekonform. Gegen ähnlich gestrickte Bösewichte musste ja auch schon Harrison Ford in den originalen "Indiana Jones"-Abenteuern antreten.

Was hingegen auf der Strecke bleibt, sind jene Freiheiten, die Videospieler in anderen zeitgemäßen Titeln serviert bekommen. Moralische Ambivalenz, nicht-lineare Plots und die Möglichkeit, Inhalte aktiv auszuwählen.

Am schönsten ist es, wenn man einfach nur dasitzen und zusehen darf

Die Programmierer von Uncharted und ähnlichen Titeln haben da ein Problem. Die von ihnen erbauten Welten werden immer realistischer. Noch nie sah ein Videospiel so gut, so lebensecht aus wie hier. Wasser, Schlamm und Blut spritzen physikalisch korrekt. Jedes Staubkorn, jedes Gestrüpp scheint ebenso liebevoll wie im glaubhaften Maße willkürlich platziert zu sein. Doch die virtuellen Dschungel, Ruinen und Wüsten, die Offenheit der Welt sind nur eine Illusion.

Man bewegt sich durch einen interaktiven Schlauch, das Drumherum ist Fassade. Das führt dazu, dass Drake, der sich gerade noch auf den von den Designern vorgesehenen Pfaden eine senkrechte Wand hochgeschwungen hat, im nächsten Moment nicht einmal mehr über beliebige hüfthohe Mauern springen kann - weil ihm eine von unsichtbarer Hand gebaute unsichtbare Wand den Weg versperrt.

Neil Druckmann, Creative Director des Entwicklungsstudios, behilft sich mit dem etwas holprigen Begriff der "linearen Weite", wenn es darum geht, diesen Zielkonflikt zu beschreiben. Man darf ein bisschen erforschen, bleibt aber immer im Korsett der geskripteten Szenen. Das Spiel wird zum Regisseur, und man selbst wird vor der Konsole mit dem Joypad in der Hand zum Schauspieler degradiert, der bloß die Anweisungen aus dem Off befolgt. Hat man eine Kletter- oder Schieß-Sequenz gemeistert, bekommt man ein weiteres Häppchen Plot als Belohnung serviert. Und so tut sich Uncharted, bei allem, was es richtig macht, schwer, eine wichtige Frage zu beantworten. Nämlich die, warum es überhaupt noch ein Videospiel ist - und kein Film. Am schönsten ist es dann, wenn man einfach nur dasitzen und zusehen darf.

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SZ vom 03.06.2016
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