Süddeutsche Zeitung

Spektakel:Pyromagisch

Warum man beim Auftritt des amerikanischen Popsängers Bruno Mars in der Münchner Olympiahalle einen der überragenden Entertainer der Gegenwart erleben konnte.

Von Andrian Kreye

Hin und wieder in den großen Momenten des Pop, wie am vergangenen Sonntag beim Konzert von Bruno Mars in der Münchner Olympiahalle, stellen sich keine Fragen mehr. Dann verschmelzen Musik, Show und Star das Zeit-Raum-Kontinuum zu einem Rausch der Masse im Hier und Jetzt. Die überlässt ihre Emotionen und ihr Bewusstsein dann ohne Hemmungen dem Regisseur des Abends. Es gibt nicht viele, die das beherrschen. Das ist aber einer der Gründe dafür, dass der Hawaiianer Bruno Mars zu einem der überragenden Entertainer der Gegenwart geworden ist.

Musikalisch kann man das mit jenen Phasen erklären, in denen er die Überwältigungsmechanismen seiner "24K Magic World Tour" einbremst, um entweder die fast unbegleitete Stimme wirken zu lassen, oder um ein Gitarrensolo zu spielen.

Seine Stimme hat ein emotionales Spektrum, das ähnlich wie seine Vorbilder im frühen Soul vom Verführerhauchen bis zur Inbrunst Spannungsbögen erzeugen kann, die auch ein Sportstadion wie die Münchner Olympiahalle in die Raserei treiben. Als Gitarrist wiederum hat er genauso wie als Bandleader ein Gespür dafür, wie er Virtuosität in den Dienst eines Songs stellt. Da steigert er den Druck vom Anhalten des musikalischen Atems bis zum Freisetzen größtmöglicher Energie seiner Band. Die schließt in ihrer Disziplin und Geschlossenheit an die JBs Ende der Sechzigerjahre an, als ihr Chef James Brown die Wut der Bürgerrechtsbewegung unter dem Deckmantel der Brutalerotik von Songs wie "Sex Machine" oder "Cold Sweat" in die Charts brachte. Nebenbei beherrscht Mars' Band die Choreografien der Motown-Zeit als Leistungssport.

Bruno Mars schließt in jüngster Zeit überhaupt immer deutlicher an große Vergangenheiten an. So fiel er beispielsweise auch Hörern auf, die seine ersten Hits wie "Just The Way You Are", "Grenade" oder "Marry You" nur beiläufig im Radio wahrnahmen. Das begann vor zweieinhalb Jahren mit einem Gastauftritt auf der Single "Uptown Funk" des britischen DJ-Produzenten Mark Ronson.

Der Größenwahn dieses Mannes ist eine völlig realistische Selbsteinschätzung

Der Song wurde die Blaupause für Mars' "24K Magic"-Album und -Tour. Im Vorfeld der Produktion hatte er gesagt, er wolle mit diesem dritten Album alles besser machen. Bessere Songs, bessere Show, bessere Videos. Es gehört viel Selbstbewusstsein zu so einer programmatischen Ansage. Echtes Selbstbewusstsein, nicht nur Posen, die Mars auch benutzt, mit dem ganzen Goldflitter, Versace-Schampus-Limousinen-Geprahle und breitbeinigen Gehabe, das er aus dem Hip-Hop übernommen hat. Wer allerdings Qualitätssprünge ankündigt, muss auch liefern.

Bruno Mars ist sich da seiner aber sogar so sicher, dass er in Anderson Paak einen der besten neuen Sänger ins Vorprogramm genommen hat. Der funktionierte als Anheizer perfekt, federte scheinbar schwerelos über die Bühne und demonstrierte, wie man mit den leicht verschleppten Akzenten der Offbeats aus dem Jazz musikalische Elektrizität erzeugt. Die knappe Stunde war dann schon auf einem so enormen Energielevel, dass man sich fragte, ob Mars das halten kann. Denn im Gegensatz zu Mars hat Paak auch noch sehr viele eigene und neue Ideen.

Bruno Mars' Größenwahn ist allerdings eine realistische Selbsteinschätzung. Er ist neben Lady Gaga einer der wenigen jüngeren Stars, die weder durch die Castinghölle des Fernsehens mussten noch Teil einer Boy- oder Girlgroup waren, wie Justin Timberlake, Robbie Williams oder Beyoncé, und er wurde auch nicht als Youtube-Wunderkind von einem professionellen Management auf Stadionniveau getrimmt wie Justin Bieber oder Shawn Mendes. Solche Biografien zementieren ein mangelndes künstlerisches Selbstbewusstsein, was später bis zur Depression führen kann.

Bruno Mars begann seine Laufbahn aber als Produzent und Hitschreiber, er kann Qualität also professionell beurteilen. Auch die eigene. Und wie man tief in die Vergangenheit greift, hat er nun vom Besten gelernt. Mark Ronson zeigte als Produzent mit Amy Winehouse und Adele, dass man die musikalischen Wurzeln nicht als nostalgisches Stilmittel ausschlachten darf, sondern in die Gegenwart holen muss, ganz egal ob es sich um Northern Soul (Winehouse), Torch Songs (Adele) oder Funk (Mars) handelt.

Hat man Ronsons und Mars' Vorbilder noch live erlebt, also die Funk-Acts der späten Siebzigerjahre wie The Gap Band, Roger Troutman & Zapp oder Rick James, liegt der Vergleich trotzdem nahe. Die Qualität der Vorbilder war es, die Aggressivität und Erotik des Funk elektrisch zu einem breiten Klangbild aufzupumpen, das wie eine Woge die Hörer erfassen und vor sich hertreiben konnte.

Bruno Mars nimmt diesen Effekt und legt in der zweiten musikalischen Ebene noch einen anderen darunter. Der stammt aus der Musik seiner Kindheit (er wurde 1985 geboren), dem New Jack Swing, einem Versuch, Soul mit den Elektrobeats des frühen Hip-Hop zu modernisieren. Weil die Technologie aber inzwischen sehr viel weiter ist als die spitzen Elektroklänge aus den ersten Schlagzeugcomputern und Synthesizern, wird die Vergangenheit live zum musikalischen Kraftwerk.

Und weil er nicht nur Musiker, sondern auch Entertainer ist, nutzt er Bühnenbild und Pyrotechnik, um diese Mischung aus Funk-Gewalt und New Jack-Swing-Spitzen auch optisch zu untermauern. Da bewegen sich die LED-Flächen mit der Geradlinigkeit alter Videospiele, die Offbeats treffen sich mit Feuerwerk und Funkenregen. Und wenn die Bühnentechnik dann dichte Wolken aus goldenem Konfetti ausstößt, dann ist das ein gelungener Schlussakkord, kein Kitsch. Weil der Abend eben auf höchstem musikalischen Niveau funktioniert, nicht nur als Show. Das muss man erst einmal können.

Bruno Mars "24K Magic World Tour", 17.5. Hamburg, 26.5. Berlin, 1.6. Frankfurt, 3.6. Wien

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Quelle:
SZ vom 16.05.2017
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