Spanische Geschichte:Der Streit zwischen Spaniern und Katalanen ist ein Konflikt der Kulturen

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Stierkämpfer und Kolonialherren die einen, Akrobaten und Händler die anderen: Die Gründe für das Unabhängigkeitsreferendum sind jahrhundertealt.

Von Thomas Urban, Tarragona

Am 1. Oktober sollen die Katalanen über die Loslösung von Spanien abstimmen. Regionalpräsident Carles Puigdemont lässt sich bejubeln, überall weht die Estelada, die katalanische Fahne mit den roten Streifen auf gelbem Grund. Wenig später dringen Uniformierte in den Regierungspalast in Barcelona ein, aufgrund eines Dekrets aus Madrid verhaften sie die führenden Köpfe der gerade erst ausgerufenen Republik Katalonien.

Dieses Szenario ist keineswegs ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft in Madrid sieht die Voraussetzungen für eine Festnahme Puigdemonts wegen Rebellion erfüllt. 1934 hat es sich ebenfalls in der ersten Oktoberwoche genau so zugetragen: Der Regionalpräsident Lluís Companys reagierte mit der Ausrufung der Republik Katalonien auf die Beschneidung der Autonomierechte durch Madrid. Er wurde verhaftet und mit einigen Mitstreitern zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach zwei Jahren kam er nach dem Sieg der Linken frei. Wenig später brach der Bürgerkrieg aus, Companys organisierte die Verteidigung Barcelonas gegen Franco. Kurz vor der Einnahme der Stadt floh er nach Frankreich. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Paris lieferte die Gestapo ihn nach Spanien aus, er wurde zum Tod verurteilt und am 15. Oktober 1940 hingerichtet. Heute wird er als katalanischer Nationalheld verehrt.

Zwei politische Kulturen im Konflikt

Während der Franco-Diktatur war nicht nur das Gedenken der katalanischen Republikaner verboten, es wurde auch das Katalanische aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Nach dem Tod Francos 1975 wurden all diese Verbote aufgehoben. Katalanisch, eine eigenständige romanische Sprache, dominiert heute in der Region; obwohl diese offiziell zweisprachig ist, wird das Spanische immer mehr verdrängt, was wiederum die Mehrheit der Spanier gegen die Katalanen aufbringt.

So haben sowohl das kollektive Gedächtnis als auch die Sprachenpolitik einen großen Anteil daran, dass die Katalanen sich als Nation verstehen, was indes für das Verfassungsgericht in Madrid inakzeptabel ist. Die Fronten sind auch deshalb so verhärtet, weil die konservative Volkspartei (PP), die die Zentralregierung unter Mariano Rajoy stellt, einer franquistischen Gruppierung entstammt, während die Regierung in Barcelona sich auf das Erbe der von Franco niedergerungenen Republik beruft.

Aber es ist auch die Konfrontation von zwei politischen Kulturen. Der Wohlstand der Katalanen beruhte auf Handwerk und Seehandel. In den Städten entwickelte sich ein selbstbewusstes Bürgertum, vergleichbar den Hansestädten und italienischen Stadtrepubliken. Eine Tradition des politischen Kompromisses und ein ausbalanciertes Machtsystem entstanden.

Spanien hingegen war eine Monarchie mit klarer Machthierarchie: König, Adel, Klerus und Bauern, die Frondienste leisten mussten. Nach der Entdeckung Amerikas beruhte die spanische Wirtschaft nicht auf Handel und Erfindergeist, so stellen es mit Vorliebe katalanische Historiker dar, sondern auf der Ausplünderung der Reiche der Azteken und Inkas. Die Gestaltung der Politik blieb bis in die Neuzeit einer kleinen Elite vorbehalten. Nach Meinung linksliberaler Politologen lebt dieses hierarchische Politikmodell in der PP fort. Dort sei, so sagen sie, die innerparteiliche Demokratie nur rudimentär ausgebildet. Auch gelte für sie die Devise: "Der Gewinner nimmt sich alles." Vor allem wenn es um die Verteilung von Posten und Haushaltsmitteln geht. Es sei kein Zufall, dass PP-Politiker in Korruptionsaffären verwickelt sind.

Nach katalanischer Ansicht verstehen die Spanier in Madrid Politik nur als Konfrontation. Symbolisch dafür stehe der Stierkampf. In Katalonien ist das Spektakel verboten, zum Ärger der Traditionalisten in Madrid. Stolz verweisen die Katalanen auf ihre (Gegen-) Tradition: die Castells, Türme aus Menschen, mehrere Etagen hoch, Ergebnis eines Höchstmaßes an Konzentration und Koordination. In Spanien aber amüsiert man sich über diesen "komischen" Sport, bei dem es nicht um das unmittelbare Kräftemessen geht.

Zu den Forderungen der Katalanen nach dem Recht auf Selbstbestimmung fiel dem früheren König Juan Carlos nur ein Wort ein: "Hirngespinste." Allerdings hatte das Wort des Jetset-Königs in Barcelona nie großes Gewicht, schließlich war es Franco persönlich, der ihn auf den Schild gehoben hatte. Seinem ernsthafteren Sohn Felipe VI. ist allerdings bei den Katalanen auch kein Glück beschieden. Denn hier meldet sich wieder das kollektive Gedächtnis.

Der König ließ Barcelona belagern, brandschatzen und die städtische Elite köpfen

Mit seinem unmittelbaren Vorgänger in der Nomenklatur fing das katalanische Unglück an: Im Spanischen Erbfolgekrieg hatten die Katalanen auf Seiten der Habsburger gestanden. Der Sieger war Felipe V. aus dem Hause Bourbon, ein Enkel des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Er ließ 1714 das widerspenstige Barcelona belagern, einen Teil der Stadt brandschatzen und Mitglieder der städtischen Elite köpfen. Und er schaffte die autonomen Rechte der Katalanen ab. So schallt Felipe VI. bei Auftritten in Barcelona immer wieder der Ruf entgegen: "Weg mit dem Bourbonen!" Besonders im Camp Nou, dem Stadion des FC Barcelona, musste er heftige Pfeifkonzerte über sich ergehen lassen. Die FCB-Fans rollen in jedem Heimspiel genau nach 17 Minuten und 14 Sekunden eine riesige Estelada aus, zum Gedenken an all die Demütigungen, beginnend mit 1714, die die Katalanen durch die Spanier erdulden mussten. Dazu gehört auch, dass zwar das Baskenland nach dem Ende der Franco-Zeit seine historischen Steuerprivilegien zurückerhalten hat, nicht aber Katalonien. Über Geld denkt man dort, es müsse zusammengehalten werden, die Katalanen gelten als die Schwaben Spaniens.

Doch die Verfechter der Sezession von Spanien haben ein Problem, das unlösbar ist: Zwischen Spaniern und Katalanen lassen sich keine klaren Grenzen ziehen. Ein Drittel der Einwohner der Region sagt, sie seien Katalanen, das zweite Drittel bezeichnet sich als Spanier, und im dritten Drittel will man beides sein. Der Nationalheld Lluís Companys hatte dies verstanden: Er wollte Katalonien nie völlig abspalten, sondern sah es als Teil einer Bundesrepublik Spanien.

© SZ vom 29.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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