Porträt des Architekten Souto de Moura:Umarme die Zeit

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"Ich bevorzuge Gebäude mit einer leisen Stimme": Manchmal reißt der portugiesische Architekt Eduardo Souto de Moura seine eigenen Bauten ein. Zu Besuch bei einem Furchtlosen.

Von Laura Weissmüller

Irgendwo hier muss es sein. Google Maps ist sich ganz sicher. Doch da ist nur eine lang gezogene, stark verwitterte ockergelbe Steinmauer, fensterlos noch dazu. Außerdem erscheinen der Parkplatz und die Betonriegel ringsum nicht unbedingt wie die angemessenen Nachbarn für das Erstlingswerk eines Pritzker-Preisträgers, immerhin handelt es sich dabei um die wichtigste Auszeichnung, die es in der Architektur zu holen gibt. Eduardo Souto de Moura hat sie im Jahr 2011 erhalten. Die Casa das Artes, ein Kulturzentrum, das man zunehmend verzweifelt im einsetzenden Nieselregen von Porto sucht, entwarf der Architekt Anfang der Achtzigerjahre in seiner Heimatstadt.

"Ich mag es nicht, wenn ein Gebäude lauthals schreit: ,Ich bin ein Denkmal!'", wird Souto de Moura bald darauf in seinem Büro in Porto sagen. Wobei ,sagen' die Stimmlage des 67-jährigen Architekten unzureichend beschreibt. Bei dem Wort ,Denkmal' krächzt er laut los. Den Notizblock der Journalistin hat er da längst zu seinem gemacht. Mit wilden Kreisen skizziert er, was er verachtet: marktschreierische Architektur, die sich nicht sensibel in ihre Umgebung einfügt. "Ich bevorzuge Gebäude mit einer leisen Stimme", flüstert er gut gelaunt. Im Sitzen sieht Souto de Moura mit seinen grauen buschigen Augenbrauen und dem breiten Kreuz wie ein freundlicher Riese aus, aber wenn er sich erhebt, ist er erstaunlich klein.

Tatsächlich muss man Gebäude von Souto de Moura nicht selten suchen. Eines seiner frühen Wohnhäuser in Vieira do Minho versteckt sich hinter einer verfallenen, grün bemoosten Steinmauer. Die kleine Kapelle, die er für die Architekturbiennale 2016 auf der Insel San Giorgio Maggiore entwarf, ließ er ebenfalls überwuchern und den Stein verwittern. "Eigentlich habe ich immer das gleiche Haus entworfen", sagt Souto de Moura.

Das stimmt natürlich nicht, wie seine bislang größte Retrospektive zeigt, die nun fast ein Jahr lang in der Casa da Arquitectura in Portos Nachbarstadt Matosinhos zu sehen ist. Die Spannweite der Projekte reicht vom skulpturalen Fußballstadion in Braga und dem Masterplan für die funktionale Metro in Porto über ein inkatempelartiges Museum, die Casa das Histórias Paula Rego in Cascais, bis hin zu seinem technoiden Entwurf des Staudamm Foz Tua. Vom gleichen Haus kann also nicht die Rede sein, vielleicht aber von einer bestimmten Haltung, mit der sich der Architekt jedem Projekt nähert.

Portugal widmet Souto de Moura eine Retrospektive: Modelle, unzählige Zeichnungen, dazu Texte, großformatige Fotos - vieles unveröffentlicht

Die Ausstellung basiert auf einer Schenkung. Souto de Moura hat dem Architekturzentrum im Frühjahr große Teile seines Archivs vermacht, darin über 600 Modelle, 8500 Zeichnungen und zahlreiche Texte und Fotos zu den Projekten. Der Architekt und langjährige Mitarbeiter von Souto de Moura, Nuno Graça Moura, hat aus dem zumeist unveröffentlichten Material mit Francesco Dal Co eine anschauliche Retrospektive kuratiert, in der jedes Projekt durch großformatige Fotografien, einem Modell und vor allem Souto de Mouras kraftvolle Skizzen vorgestellt wird.

"Eduardos Werk ist das interessanteste, das man gerade in der Architektur studieren kann", sagt Dal Co. Starke These, aber das Wort des Venezianers hat Gewicht. Er ist einer der renommiertesten Architekturhistoriker. Dal Co lehrte in Yale, ist Professor für Architekturgeschichte in Venedig, leitete dort mehrere Jahre die Architekturbiennale, publizierte Monografien vieler Architekturstars der Moderne und ist seit 1996 Herausgeber von Casabella, einem der prestigeträchtigsten Architektur- und Designmagazine überhaupt.

"Die Schönheit an allen Gebäude von Souto de Moura ist, dass sie keine Angst haben vor der Zeit, die vergeht", so Dal Co. Also darf Moos an der Fassade wachsen, Regen und Wind die Mauern verwittern lassen (weswegen man die ockergelbe Steinmauer auch nicht als Rückseite der Casa das Artes erkannt hat). Klassische Alterserscheinungen, die beileibe nicht allen Häusern so gut stehen wie denen von Souto de Moura. Ein Entwurf muss darauf ausgerichtet sein, dass er alt werden darf. Sonst bleibt nur die Abrissbirne.

Dass der Portugiese selbst damit gut umzugehen weiß, zeigt ein Projekt in Braga. Seine Markthalle dort hatte sich überlebt, prompt machte sie Souto de Moura nach ihrem Abriss zur schmückenden Ruine für das neue Kulturzentrum, das er an die Stelle der Markthalle setzte. Es dürfte nicht viele Architekten geben, die sich mit einer derartigen Freude über die Reste ihrer eigenen Häuser hermachen.

Wer Souto de Mouras Werk für minimalistisch hält, der sollte einen Blick auf seine Skizzen werfen. Etwa bei der Casa das Artes in Porto. Auf der Skizze tummeln sich diverse Vertreter der Hochkultur, ein Amor sitzt am Treppenaufgang, es gibt die Statue einer Venus und den Torso einer anderen antiken Figur. Befindet man sich dann selbst vor dem Eingang, kann man von all dem kulturgeschichtlichen Zierrat nichts mehr finden. Dafür erlebt man das Kunststück, wie aus einer simplen Steinmauer eine derart mondänen Bühne entwickelt werden kann, dass sogar der Kleinkinderchor, der an diesem Nachmittag hier probt, eine glamouröse Aura erhält.

Seine Arbeit gleicht einem guten Grappa: Man schmeckt all das, was verloren ging

"In der Arbeit von Souto de Moura geht es um Reduktion", sagt Dal Co. Das Ergebnis sei ein Destillat, vergleichbar "mit einem guten Grappa: Wenn man den trinkt, schmeckt man all das, was beim Herstellungsprozess verloren ging". Gut möglich, dass dieses Entfernen von dem, was einen beim Entwurf inspiriert hat, aber auch Souto de Mouras ursprünglichem Berufswunsch geschuldet ist. An der Escola Superior de Belas Artes der Universität von Porto studierte er zunächst Bildhauerei, bevor er zur Architektur wechselte.

"Ich entwerfe immer das gleiche Haus": der Pritzker-Preisträger Eduardo Souto de Moura. (Foto: Alfredo Cunha)

Oder an seinem großen Vorbild Ludwig Mies van der Rohe. Reduktion auf das Wesentliche hieß dessen Credo. Tatsächlich erinnert die Casa das Artes ein wenig an Mies van der Rohes Pavillon in Barcelona, diesem Jahrhundertwerk aus simpel, aber genial gesetzten Mauern. "Ich mag Mies, also kopiere ich ihn", sagt Souto de Moura, nicht ohne Stolz: "Ich bin ein Kopist." Das Gleiche wie jemand zu machen, sei zwar lächerlich, aber "wenn man den Geist von etwas kopiert, ist das intelligent". Schließlich kopiere man dann nicht das Abbild, sondern die Gedanken.

So gesehen kopiert Souto de Moura sehr viel. In seinem Architekturbüro hängt ein vergilbtes Poster von dem irischen Schriftsteller Samuel Beckett und eines des amerikanischen Minimal-Art-Künstlers Donald Judd. "Bücher sind die besten Freunde von Eduardo", hatte der Kurator Dal Co gesagt. Tatsächlich war Souto de Mouras "Ich habe immer das gleiche Haus entworfen" eine Anlehnung an Thomas Bernhard, der behauptete, er schreibe immer das gleiche Buch. Souto de Moura verehrt Bernhard, seitdem er mal in Salzburg gearbeitet hat. Den Jazz von Miles Davis dagegen liebt er, weil der Musiker sich fortwährend verändert habe und "nie zufrieden war".

Souto de Moura: "In der Zeichnung von Problemen liegt schon der Schlüssel für die Lösung."

Ist Souto de Moura denn jemals zufrieden? "Natürlich nicht. Wenn ich zufrieden wäre, wäre ich ja blöd." Die tiefen Augenringe hat er, weil er noch in der Nacht vor der Eröffnung zwei Projekte in die kleine Kabinettausstellung getragen hat. Neben der Retrospektive mit dem entsprechenden Pathos - Hochglanzfotos, perfekt ausgeleuchtet, vor weißer Mauer - hat der Architekt eine Art Miniversion seines Büros nachgebaut. Er will dort selbst in den nächsten Monaten arbeiten, sich mit Kunden treffen oder die Fragen der Besucher beantworten. Ein Stararchitekt zum Anfassen sozusagen. Lapidar sind Fotos und Pläne laufender Projekte dort an die Wand gepinnt. Seine Helden hängen gerahmt daneben, Miles Davis, Donald Judd, der portugiesische Dichter Fernando Pessoa.

Und natürlich Álvaro Siza. Er war es, der das internationale Spotlight überhaupt auf die zeitgenössische Architektur Portugals gerichtet hat. Ein Land, das über die Jahrhunderte als Peripherie Europas wahrgenommen wurde. In dem in Lissabon eine andere Kultur entstehen konnte als in Porto: In der Hauptstadt das Königshaus, der Adel, Fado, in der Hafenstadt Porto ein autonomes Bürgertum, das selbst in der faschistischen Diktatur manches möglich machte. Bis heute gilt die Architekturfakultät von Porto als die beste des Landes. Die wichtigsten Architekten Portugals kamen von dort: Fernando Távora, Álvaro Siza, Souto de Moura.

"Siza ist mein Meister. Er ist mein Vater in der Architektur", sagt letzterer. Schon als Student hat er für den knapp 20 Jahre älteren Architekten gearbeitet. Gab es ein Problem bei einem Projekt, musste der jüngere es zeichnen: "In der Zeichnung von Problemen liegt schon der Schlüssel für die Lösung", sagt Souto de Moura. Doch als er seinen ersten Wettbewerb gewann, warf Siza ihn raus. "Wenn du Architekt sein willst, kannst du bei mir nicht mehr arbeiten", sagte er und machte dem jungen Kollegen Beine. Mit Erfolg, wobei: Wer heute Souto de Moura in seinem Büro besucht, sieht am Klingelschild auch den Namen des Kollegen. Siza arbeitet ein Stockwerk über Souto de Moura. Der Ältere hat das Haus hoch über dem Fluss Douro entworfen. Und der Jüngere wäre nicht Eduardo Souto de Moura, wenn er nicht kleine Details darin verbessert hätte. Eine Türklinke, die Lampe. Auch in Sizas Werk versteckt sich also eine Arbeit von Souto de Moura.

© SZ vom 09.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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