Süddeutsche Zeitung

Soundtrack des White Trash:Albtraumhafter Kitsch

Unbeholfener Rap zu ollen Trance-Sounds - "Die Antwoord" kokettiert mit der hässlichen Seite des weißen Südafrika und stellt die Definition des Fake in Frage. Im Internet avanciert die Combo zum Hype.

Paul-Philipp Hanske

Gerade als man mit Genugtuung die ersten guten Popplatten dieses Jahres zur Kenntnis nahm, von etablierten bis legendären Bands wie Hot Chip, Midlake oder Massive Attack, da stellte sich schon dieses leicht enervierende Gefühl ein, dass es mal wieder Zeit für etwas Neues wäre, für etwas wirklich Aufregendes.

Und noch ehe man sich dieses Wunsches voll bewusst wurde, war es auch schon da. In Form mehrerer Musikvideos einer südafrikanischen Band namens Die Antwoord. Der Name heißt "Die Antwort" auf Afrikaans, der Sprache der weißen Minderheit in Südafrika, was angesichts deren geschichtlicher Rolle eher negativ konnotiert ist. Das passt aber gut ins Konzept, denn das Personal von Die Antwoord gibt sich alle Mühe, das Publikum zu verwirren.

White-Trash-Suburbia

Da ist der Rapper mit dem albernen Namen "Ninja", ein ausgemergelter Junkie-Look-a-Like mit verwaschenen Tätowierungen und stechendem Blick. Ihm zur Seite steht eine beängstigend schmale Frau mit seitlich ausrasierten Haaren, genannt Yolandi, und ein apathischer übergewichtiger DJ. Und sie machen Außergewöhnliches.

Ihre Musik partizipiert an dem zuletzt sehr angesagten Ghetto-Rave, jener internationalen Spielart elektronischer Musik, bei der tiefe Bässe, altmodisch peitschende Elektrobeats mit Sirenengeheul und regionalen Anleihen vermischt werden. "Zef" nennen sie das, was auf Afrikaans so etwas wie "Proll" heißt.

Die Antwoord klingt insofern bemerkenswert, als sie schamlos kitschige Trance-Sounds aus den frühen neunziger Jahren adaptiert. Dazu rappt besagter Tunichtgut Ninja: unbeholfen, ein bisschen wie der berüchtigte Weißbrot-Rapper Vanilla Ice.

Und doch hat es etwas Faszinierendes, wie er rasant-holperig und mit viel rollenden R Afrikaans und Englisch mischt. Ist seine Komplizin Yolandi am Mikrophon, dann klingt es, als stoße ein hyperaktives Kind Verwünschungen in einer nur ihm bekannten Sprache aus.

Das eigentlich Irritierende aber sind die Videos, etwa das zu dem Song "Zef Side". Es ist an sich nicht ungewöhnlich: Man sieht die Band in einem heruntergekommenen Wohngebiet herumhängen, grimmig schauen und tanzen.

Es sind die kleinen Effekte, die das Interesse wecken: der spastische Tanz des Rappers, der nur eine "Dark Side Of The Moon"-Boxershort trägt; der alte Mann mit den amputierten Beinen, der seinen Rollstuhl im Takt wiegt; der plötzliche Blick der Sängerin in die Kamera - irgendetwas mit ihren Augen stimmt nicht - der diese eigentlich ungeheuer attraktive Frau wie einem Albtraum entstiegen erscheinen lässt.

Die Videos von Die Antwoord changieren zwischen ausgestellter Peinlichkeit und hintergründiger Unheimlichkeit. Und genau diese Unschärfe macht sie so fesselnd. Das alles zusammen ergab in den letzten zwei Wochen einen tüchtigen Internet-Hype. Die Antwoord-Videos geisterten durch Blogs und Netzmagazine und ausgewiesene Spürnasen wie der US-DJ und Produzent Diplo schrieben Elogen auf die Band. Auf den Erfolg im Netz folgt nun ein Album und eine Tour durch Europa und Amerika.

Dass es jedoch mit der Legende, der zufolge sich die Combo in einer heruntergekommenen White-Trash-Suburbia zusammenfand und der autistisch dreinblickende DJ "Hi-Tek" an seinem häuslichen "PC-Computer" die Beats zusammenschraubte, nicht so ganz stimmen konnte, war von Anfang an klar.

Dafür sah die Sängerin zu gut aus, dafür war das Outfit der Band zu ausgesucht originell, dafür waren die Videos und die Musik zu professionell produziert. Vor einigen Tagen nun "enthüllten" Leser des Internet-Magazins Videogum, dass es sich bei den Mitgliedern von Die Antwoord um Komiker aus dem südafrikanischen Fernsehen handle. Die Nachricht hat sich im Netz noch nicht allzu weit verbreitet. Es ist jedoch anzunehmen, dass viele Fans die Empörung der investigativen Aufdecker teilen.

Es steht also die Frage im Raum, was eigentlich ein Schwindel im Pop ist, ein Fake. Längst ist es ein Allgemeinplatz, dass Pop wegen seiner Inszeniertheit per se eine Art von Fake ist. Nur naive Fans glauben, dass Gangsta-Rapper Schwerverbrecher und norwegische Black-Metal-Gruppen ritualmordende Satanisten sind. Darüber hinaus gab es immer wieder Bands - und beileibe nicht die unbedeutendsten - die Kunstprodukte waren. Die Monks etwa wurden von zwei deutschen Kunststudenten erfunden, die Sex Pistols von einem cleveren Modemacher.

Schwere Kränkung für den Pop

Auf der anderen Seite war bisher auch immer klar, dass Popprodukte, die eine eindeutige mediale Inszenierung sind, etwa die Fake-Band Spinal Tap im gleichnamigen Film oder die Kunstfigur Ali G, zwar lustig, bestenfalls aber eben gut nachgemacht sind. Das ist im Fall von Die Antwoord ganz anders.

Natürlich macht die Band musikalisch nichts radikal Neues. Im Genre Ghettorave jedoch ist ihr Beitrag durchaus originell. Und die Irritation, die die Band mit ihrem unheimlich-uneindeutigen Stil, mit ihrer albtraumhaften Körperinszenierung, mit ihrem Kitsch auslöst, ist eben auch real.

Dass dieses unbestreitbar attraktive Stück Pop nun nicht Ausdruck einer tatsächlichen Subkultur, sondern vielmehr von der Kulturindustrie ausgedacht ist, ist zwar eine schwere Kränkung für die Genie-Ästhetik des Independent-Pop. Aber man kann den Fall Die Antwoord auch positiv interpretieren. Zeigt sich doch darin, dass Pop vor allem eins ist: ein unberechenbares System.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2010/kred
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