Soundexperte:Das große Rauschen

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Die Website "Conserve the Sound" ist ein digitales Archiv der Klänge. Jan Derksen über den Sound von Jahrzehnten.

Interview von Annika Säuberlich

Jan Derksen ist einer der Betreiber der Webseite "Conserve the sound", die vom Aussterben bedrohte Geräusche sammelt, solche von Telefonen mit Wählscheibe zum Beispiel, von Modems, mechanischen Schreibmaschinen und Flipperautomaten.

SZ: Herr Derksen, sind Sie Nostalgiker?

Jan Derksen: Das fragen die Leute gerne. Aber Nostalgie bedeutet ja, dass man etwas vermisst und sich aus diesem Schmerz eine Vergangenheit zurückwünscht. Wir verstehen uns eher als Dokumentaristen.

Warum konservieren Sie Sounds?

Wir wollen, dass die Menschen mit geschärften Sinnen und offeneren Ohren durchs Leben gehen. Daher die Idee, Geräusche zu archivieren - die übrigens gar nicht so neu ist. Das wurde schon in den Siebzigern gemacht, nur unter schwierigeren Bedingungen, weil die Sounds noch nicht digital verfügbar waren.

Was braucht ein Geräusch, damit es in Ihre Sammlung aufgenommen wird?

Wir haben keine strikten Aufnahmekriterien. Wir bekommen viele Ideen zugeschickt, aber die Geräusche sollten eine Art Gemeingültigkeit haben. Sie sollten also simpel genug sein, damit viele Menschen sie kennen. Zum anderen sollten sie aber auch ihre Zeit ein Stück weit widerspiegeln. Geräusche können schließlich für einen gewissen "Grundsound" eines Jahrzehnts oder einer Epoche stehen.

So wie die Dampfmaschine für die Industrialisierung steht?

Ja. Aber nicht nur die technische Entwicklung, sondern auch Materialität, Ästhetik und Design spielen hier mit rein. Zunächst wollten wir nur Gegenstände aufnehmen, die ausgestorben sind, wie zum Beispiel das Wählscheibentelefon. Dann haben wir gemerkt, dass Sounds im Laufe der Jahre auch durch eben diese Faktoren geformt wurden: Rasierer aus den Fünfzigen klingen anders als Rasierer heute. Das ist zunächst mal materialabhängig. Aber auch das Thema Sounddesign spielt eine Rolle. Dinge werden heute verstärkt auch auf ihren Klang hin gestaltet, das war früher noch nicht so. Sounds sind ein wichtiger Bestandteil eines allumfassenden Markenerlebnisses geworden.

Haben Sie einen Lieblingssound?

In unserer Sammlung ist der für mich aktuell spektakulärste Sound wohl der von einem Propellerflugzeug aus den Dreißigerjahren. Das mag aber auch damit zu tun haben, dass wir selber mitgeflogen sind und ein Interview mit dem Kapitän führen konnten.

Wenn Sie den Klang heute hören, erinnern Sie sich an den Flug?

So ist es. Das ist der Aktivierungscharakter von Geräuschen: Man fühlt sich sofort in die jeweilige Situation zurückversetzt, wenn man ein bestimmtes Geräusch hört. Wir bekommen deshalb jede Menge Nachrichten von Leuten, die begeistert sind, dass sie sich wieder an ihre Kindheit erinnern können. Das hilft sogar Demenzpatienten.

Was können Geräusche besser als zum Beispiel Fotos?

Geräusche sprechen eine noch viel emotionalere Ebene an, sie wirken unmittelbar. Wobei wir bei unserem Projekt gemerkt haben, dass das Ganze auch visuell funktionieren muss. Wir hatten erst geplant, alles rein akustisch zu machen und in eine Blackbox zu packen, sodass man sich wirklich nur die Geräusche anhören kann, ohne von irgendwelchen optischen Reizen abgelenkt zu werden. Aber im Internet müssen die Dinge auch gut aussehen, sonst werden sie in dieser sehr visuellen Welt nicht wahrgenommen.

Die Geräuschlandschaft verändert sich. Einerseits können die Menschen mehr ausblenden, andererseits wird vieles schriller. Wie sieht die Zukunft der Geräusche aus?

Die Frage beschäftigt uns auch, aber eine richtige Antwort haben wir darauf noch nicht gefunden. Ich glaube, die Tendenz ist, dass es um uns herum noch lauter wird. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass wir mehr Menschen auf dem Planeten werden, die mehr Geräusche produzieren. Gerätschaften werden vielleicht leiser. Ich glaube aber, dass dieses große weiße Grundrauschen noch deutlich lauter werden wird.

Ist das für Sie der Sound der Gegenwart? Das große Rauschen?

Ja, das kann man so sagen. Und es wird alles künstlicher. Ein großes artifizielles Rauschen.

Angenommen, Sie dürften sich ein Geräusch aus der heutigen Zeit aussuchen, das nie aussterben soll, welches wäre das?

Ich hoffe, dass uns die Naturgeräusche erhalten bleiben. Das ist sogar mein eigentlicher Liebling, unabhängig von unserer Sammlung: das Geräusch von Blättern, die im Wind rascheln.

© SZ vom 11.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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