Soul-Sängerin Y'akoto:"Auf Angst mit Angstmache zu antworten, ist keine Lösung"

Lesezeit: 5 Min.

Y'akoto, hier im Februar 2017 in Hamburg: "Wir schlürfen jeden Morgen unseren Kaffee und gleichzeitig regen wir uns darüber auf, dass Leute aus den Anbaugebieten des Kaffees in unser Land wollen." (Foto: dpa)

Als Deutsch-Ghanaerin bezieht Y'akoto klar Stellung zur Flüchtlingsfrage. Auf ihrem neuen Album kontert die Soul-Sängerin Rassismus und Bequemlichkeit mit einem persönlichen Revolutionssong.

Interview von Paul Katzenberger

Sie weiß, von was sie spricht, wenn es um das Thema Integration geht: Y'akoto wurde 1988 als Tochter einer Deutschen und eines Ghanaers in Hamburg geboren und wuchs bis zum elften Lebensjahr in Ghana auf, bevor sie nach Deutschland zurück kam. Inzwischen lebt sie je zur Hälfte in Hamburg und Paris. Ihr neues Albums "Mermaid Blues" erscheint am 31. März.

SZ.de: Auf Ihrem Album "Moody Blues" von 2014 haben Sie bereits die Flüchtlingsfrage in dem Lied "Off the boat" aufgegriffen. Darin geht es um einen Flüchtling, der auf dem Meer stirbt. Ist das Lied "Reception" - zu Deutsch "Empfang" - auf der neuen Platte "Mermaid Blues" nun das Gegenstück dazu?

Y'akoto: "Reception" ist mein persönlicher Revolutionssong. Es heißt darin: "Global chaos, but we stay tough." Wenn ich von "globalem Chaos" spreche, dann meine ich damit alle Tumulte dieser Welt, ob in gesellschaftlicher, sozialer oder ökologischer Hinsicht. Das ist alles eins, und das sind alles wir. "We stay tough" steht für die Gegenbewegung. Eine Revolution ist immer eine Gegenbewegung.

Dann gehört die Flüchtlingsthematik für Sie da mit hinein?

Natürlich. Menschen sind immer in irgendeiner Hinsicht auf der Suche. In der Menschheitsgeschichte gab es immer wieder Gründe zu migrieren. Das heißt, dort hinzugehen, wo wir finden, was das Leben ausmacht: Frieden und ökonomische Möglichkeiten. Dieses Thema durchzieht jedes meiner bisherigen drei Alben.

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Ihr erstes Album "Babyblues" ist von 2012. Damals war das Flüchtlingsthema noch nicht in aller Munde.

Das stimmt, aber schon damals bin ich viel herumgekommen in Afrika und Europa. Ich bin schon seit Langem der Meinung, dass wir im Westen auf einem sehr hohen Ross sitzen. Wir grenzen uns ab und gleichzeitig profitieren wir von den Ressourcen, die uns selbst gar nicht zur Verfügung stehen. Wir nehmen gern das Öl, machen die Heizung an, fahren Auto und nutzen Handys, ohne uns Gedanken darüber zu machen, wo das alles herkommt.

So ist unser Wirtschaftssystem. Waren sollen in der Globalisierung Grenzen möglichst ungehindert überqueren, Menschen hingegen nicht.

Und das ist doch ein Paradox: das eine mit großer Selbstverständlichkeit zu nehmen und das andere abzulehnen. Wir schlürfen jeden Morgen unseren Kaffee und gleichzeitig regen wir uns darüber auf, dass Leute aus den Anbaugebieten des Kaffees in unser Land wollen. Was ist, wenn plötzlich beides nicht mehr von dort zu uns kommt? "No time to fake it", heißt es in "Reception". Wir sollten endlich aufhören, so zu tun, als ob unser Wohlstand Normalität ist.

Wie lässt sich ein solches Nachdenken anstoßen?

Das ist ein langer Prozess. Für mich finge der mit der Schulbildung an. Da herrschen nach meiner Beobachtung erhebliche Mängel.

In welcher Hinsicht?

Wie wir über andere Menschen denken, wird uns in Schule schon beigebracht. Ich habe mehrere Schulsysteme kennengelernt. In Ghana war ich sowohl auf einer lokalen als auch auf einer Schweizer Schule und hier in Deutschland auf einem staatlichen Gymnasium. Überall habe ich beachtliche Defizite festgestellt. Es wird wenig Wissen über die imperiale Geschichte Europas und die Kolonialisierung vermittelt. Es wird nicht thematisiert, worauf unser Reichtum basiert. Nach wie vor blockieren wir außerdem den direkten Wissenstransfer aus den ehemaligen Kolonien: Während meiner Tanzausbildung wurde zum Beispiel kein Gastprofessor aus Afrika eingeladen, als es um den afrikanischen Tanz ging. Es gibt genügend afrikanische und arabische Intellektuelle, nur wo sind die?

In Deutschland vergleichsweise selten. Inwiefern begegnet Ihnen hier als schwarzer Frau Rassismus?

Ich habe schwarze Freunde, die mit ihrem ausländisch klingenden Namen keine Wohnung bekommen. Für meine Mutter war es schwierig, mich auf einem Gymnasium anzumelden. Gerade haben die Vereinten Nationen einen Bericht veröffentlicht, der genau das bestätigt. Die UN-Forscher untersuchten den Rassismus, dem Menschen mit afrikanischer Herkunft in Deutschland ausgesetzt sind, und fanden unter anderem heraus, dass Lehrer Schwarzen hierzulande häufig empfehlen, ihre Kinder nicht auf weiterführende Schulen zu schicken.

Aus welchem Grund sollte Ihnen der Besuch des Gymnasiums verwehrt werden?

Weil Deutsch nicht meine erste Sprache war, sondern Englisch. In Deutschland wird sehr stark darauf geschaut, wie gut du die Sprache beherrschst. Danach wird deine Bildung bemessen. Mit dieser Haltung schneiden wir uns aber ins eigene Fleisch. Denn die Sprachkenntnisse sagen per se nichts über die Bildung aus.

Sie leben mittlerweile zur Hälfte in Paris. Ist die Situation dort anders?

In Frankreich ist die ethnische Diversität viel größer als in Deutschland. Das kann dafür sorgen, dass man sich in einem Schutzvakuum unter Seinesgleichen bewegt. Wenn du nicht willst, musst du der Mehrheitsgesellschaft gar nicht gegenübertreten.

Aber Ghettos sind nicht die geeignete Antwort auf Rassismus.

Sicher nicht. Aber auch wenn ich als Angehöriger einer Minderheit offen für die Mehrheitsgesellschaft bin, geht es mir besser, wenn es um mich herum noch andere Menschen wie mich gibt. Auf meinem Gymnasium in Hamburg hatte ich leider zwar keine schwarzen Lehrer, dafür gab es drei, vier schwarze Mitschüler, mit denen ich mich austauschen konnte. Als ich aber zum Beispiel in Stockholm gearbeitet habe, kam ich mir oft vor, als sei ich die Einzige. Ich fühle ich mich wohler, wenn mein Umfeld so bunt ist wie in Paris.

Wie empfinden Sie als Angehörige einer Minderheit den Argwohn gegenüber Muslimen, der nach den Anschlägen von Paris gewachsen ist?

Ich grenze mich als Schwarze bewusst nicht von den Muslimen ab. Denn ich betrachte die Voreingenommenheit ihnen gegenüber als dasselbe Problem, mit dem andere Minderheiten konfrontiert sind. Das ist wie beim Thema Feminismus. Da sage ich auch immer, dass Männer die besten Feministen sind. Denn es ist notwendig, dass wir uns alle einsetzen. Ich habe einen Freund, der ist Italiener, und der wird immer für einen Araber gehalten. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, werden wir manchmal mehrmals am Tag von der Polizei kontrolliert.

Die Sorge, dass Dschihadisten erneut einen Anschlag ausüben, ist ja auch verständlich.

Die Angst ist groß, und natürlich ist es nachvollziehbar, dass massiv aufgepasst wird. Doch es löst bei mir mindestens genauso viel Angst aus, wenn ich morgens in meinem Viertel Croissants hole und dabei Soldaten mit geladenen Waffen begegne. Und ich beobachte auch, dass in der arabischen Community Angst herrscht. Auf Angst mit Angstmache zu antworten, ist keine Lösung.

Wie könnte man der Angst vor Terror besser begegnen?

Man sollte hier im Westen zum Beispiel Menschen zu Wort kommen lassen, die von den Arabern als Vorbilder betrachtet werden können. Ich kann nicht verstehen, warum Islam-Experten, die in Deutschland oder Frankreich auftreten, zum großen Teil gar keinen islamischen Ursprung haben. Stattdessen wird da ein Deutscher präsentiert, der vielleicht gerade ein Austauschjahr im Libanon absolviert hat - jetzt mal überspitzt ausgedrückt.

Allerdings werden die Medien, in denen solche authentische Kommentatoren auftreten könnten, von jungen männlichen Muslimen gar nicht wahrgenommen. Und das sind in der Regel die Täter.

Ganz genau. Das sind die Täter, zumindest meistens. Und da kommen wir an einen Punkt, der häufig nicht gesehen wird: Junge Männer genießen in der arabischen Kultur Privilegien, und das geht schief. In jeder Gesellschaft, in der ein Geschlecht bevorzugt und ihm das Gefühl gegeben wird, dass es alles darf, züchtet man ein gesteigertes Geltungsbedürfnis. Man hat jetzt herausgefunden, dass sich narzisstische Menschen schnell ungerecht behandelt fühlen. Und was passiert, wenn du dich ungerecht behandelt fühlst? Du willst Dich rächen. Deswegen bräuchten wir auch hier dringend die richtigen Vorbilder: aufgeklärte muslimische Männer und Frauen. Und die sollte man schon in den Kitas einsetzen. Irgendjemand, der diesen Schülern sagt: "Hey, du brauchst dich nicht zu radikalisieren, um zu zeigen, dass du wütend bist."

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