Ausstellung von Joaquín Sorolla in Madrid:Wenn das Meer wie Quecksilber leuchtet

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Seine Gemälde leuchten auch den dunkelsten Saal aus: Joaquin Sorolla: "En las rocas" (1905). (Foto: Patrimonio Nacional)

Madrid ehrt den Maler Joaquín Sorolla mit einer Ausstellung im Königspalast. Einige seiner leuchtend hellen Gemälde sind dort zum ersten Mal zu sehen.

Von Karin Janker

Dass gerade er das Malen im Dunkeln lernte, ist im Nachhinein kaum zu glauben. Für Joaquín Sorolla, Spaniens "Meister des Lichts", begann die Malerei als Doppelleben: Tagsüber strebte er dem Willen seines Ziehvaters gemäß einem Leben als Schlosser zu, nachts besuchte er die Zeichenstunden der Kunstakademie Escuela de Artesanos in seiner Heimatstadt Valencia. Es sollte einige Jahre dauern, bis der 1863 geborene Maler schließlich sein künstlerisches Zuhause fand, draußen im Licht: Die Malerei au plein air wurde sein Metier, das er fortan ohne Kompromisse und mit enormem Schaffensdrang betrieb. Bis heute sind Sorollas Gemälde in der Lage, jeden noch so dunklen Saal auszuleuchten, so viel Licht strahlen sie aus.

"Ich habe in Auftrag gegeben, dass man mir zwei Boote mit Segeln ans Meer bringt", schreibt er 1907 von seiner Arbeitsstätte am Strand an seine Frau Clotide. Er wolle jene Effekte einfangen, die das morgendliche Gegenlicht kreiert, kündigte er ihr an. Und das tat er: Auf dem Gemälde, das daraufhin am Strand von Valencia entstand, ist es, als trieben die Fischerboote auf Quecksilber, das von rasiermesserscharfen Wellen durchfurcht ist.

Der Schatten des Todes über dem Gesicht der Tochter: das Porträt lässt einen nicht mehr los

Ganz anders ist es auf dem im selben Jahr gemalten Porträt seiner ältesten Tochter María in den königlichen Gärten in Segovia: Das weiche Sonnenlicht, abgemildert durch die Blätter der Bäume, unter denen María steht, vergoldet Gesicht, Hut und Kleid der zarten jungen Frau. Sorolla war so fasziniert vom Lichtspiel in diesem Park mit seinen zahlreichen Teichen, dass er mehr als zwei Dutzend Gemälde dort angefertigt hat. Eines zeigt den jungen König Alfonso XIII., androgyn und blässlich in seiner Husarenuniform. Doch das Porträt, das einen nicht mehr loslässt, ist jenes von seiner Tochter María. Woher stammt nur dieser melancholische Trotz in ihrem Blick?

Bisher kaum je öffentlich gezeigt: Joaquín Sorolla: "María enferma" (1907). (Foto: Patrimonio Nacional)

Es ist der Gesichtsausdruck einer Überlebenden: Wenige Monate zuvor war die siebzehnjährige María an Tuberkulose erkrankt. Sorolla malte die Kranke. Auf einen Kissenberg gebettet und in dicken Pelz gehüllt, liegt sie im Schatten eines Sonnenschirmes, hinter ihr die schneebedeckten Gipfel der Sierra de Guadarrama nördlich von Madrid. María schaut den Betrachter auf dem Gemälde direkt an, ihr Blick ist tief, eindringlich. Hier hat ein Vater gemalt, in Sorge um sein Kind. Und auch hier drückt das Licht aus, was Worte kaum nachzumalen imstande sind: Violett-wächsern schimmert da Marías Gesicht, ihre großen Augen blicken müde, verschattet von dem großen dunklen Hut. Es ist der Schatten des Todes, unter dem sie hier liegt.

Das Porträt der kranken María war eines von Sorollas liebsten Bildern. Er sollte es nie verkaufen, sondern behielt es und hängte es sich in sein Atelier, wo er es jeden Tag sehen konnte. Dass nun auch das Publikum dieses eindrucksvollste einer ganzen Reihe von Porträts zu sehen bekommt, verdankt es einer fulminanten Ausstellung im Madrider Königspalast. Die Schau umfasst 24 Gemälde, von denen sich einige in Privatsammlungen befinden und bisher selten oder noch nie öffentlich zu sehen waren, darunter eben jene "María enferma", die kranke María.

Spanien feiert in diesem Jahr gleich zwei große Jubiläen: den 50. Todestag Picassos und den 100. Todestag Sorollas. Wobei die Feierlichkeiten des offiziell ausgerufenen Picasso-Jahres das Sorolla-Jahr erwartungsgemäß in den Schatten stellen. Sorolla galt lange als gefällig, als einer, der zwar enorme Erfolge eingefahren hat und um 1900 einer der am besten verkaufenden Maler der Welt war. Aber eben als oberflächlich. Eine Unterstellung. Sorollas Malerei vertritt eine leicht als Oberflächlichkeit missverstandene phänomenologische Sicht auf die Welt. Für ihn ist die Oberfläche die Wahrheit. Der Madrider Ausstellungstitel "A través de la luz" ist daher so passend wie schwer zu übersetzen: Er bedeutet "durch das Licht hindurch", aber auch dank des Lichts oder "mit Hilfe des Lichts".

Im Königspalast erweist man - wiederum mit Hilfe des Lichts - Sorolla Reverenz: Noch bevor als Herzstücke der Ausstellung die Räume mit Sorollas leuchtenden Gemälden warten, empfangen zwei dunkle Säle die Besucher. Hier verwandeln raumhohe LED-Bildschirme an allen vier Wänden Sorollas Bilder in - nun tatsächlich - pures Licht. Eine Animation im Stile der Laterna magica, die zu Sorollas Lebzeiten große Erfolge feierte, bringt Bewegung in die Gemälde. Der Effekt auf den Betrachter ist der einer Verzauberung: Staunend wie ein Kind steht man inmitten des Raumes und dreht sich, während um einen herum die Bilder ins Tanzen geraten.

Ist das naiv? Spektakelhaft? Nicht, wenn man begreift, dass es Sorolla nicht um das Stillstellen von Licht ging, sondern genau ums Gegenteil: um die Erkenntnis, dass die Welt, die uns umgibt, nichts ist als Licht. Das Gleißen, das Flimmern, das Glänzen, das Strahlen, das Funkeln - und alles, was sonst unseren Sehnerv erreicht. Der Mensch sieht schließlich keine Gegenstände oder Farben, er sieht Licht, das von diesen reflektiert wird. Sorollas großes Thema, seine Komplizin und seine lebenslange Herausforderung, war das Licht in Bewegung und damit das Leben selbst. Auf seinen Bildern hört man das Meer rauschen, den Wind die Röcke bauschen und die Kinder in den Wellen planschen. Seine Malerei ist selbst eine Form von bewegtem Licht, eine Form von Kinematographie.

Sorolla a través de la luz. Bis 30. Juni. Palacio Real, Madrid.

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