Sophie Scholl - Die letzten Tage:Ein Traum vom Licht

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Sophie Scholl als verklärte Heldin: Regisseur Marc Rothemund und Hauptdarstellerin Julia Jentsch zeigen die Widerstandskämpferin als moderne Märtyrerin.

Fritz Göttler

Ziemlich lässig geht es los, verhalten schwungvoll, amerikanischer Swing, in goldenen warmen Tönen. Sophie Scholl lauscht vor dem Radioapparat, mit einer Freundin, in ihrer Münchner Studentenbude.

Fabian Hinrichs und Julia Jentsch als Hans und Sophie Scholl (Foto: Foto: AP)

Amerikanische Standards gehörten - allen offiziellen Parolen entgegen - durchaus zum Alltag, zum Lebensgefühl in der Nazizeit, von Jazz bis Coca-Cola, bei den Jugendlichen, den Bürgerlichen, den Intellektuellen.

Gleich darauf muss Sophie los, nun ruft die Pflicht. In einem dunklen Atelier trifft sie den Bruder Hans und seine Freunde. Die Weiße Rose ist am Werk, junge Studenten, die die Bevölkerung aufrütteln wollen mit ihren kühl gedrechselten Flugblättern - es ist der Februar 1943, nach Stalingrad, und der Sieg der Alliierten und Zusammenbruch des Nazi-Terror-Regimes, so meinen sie, nur noch eine Frage von ein paar Wochen.

Das hat etwas von einem Kinderspiel, anfangs, was die jungen Leute da treiben, die Männer zumal - Sophie macht einfach mit, folgt dem Bruder. Man sieht sie Sätze in die Schreibmaschine hacken, die kleine Druckerpresse betätigen.

Die Flugblätter falten und in Umschläge stecken, Führer-Marke drauf. Als ein Rest an Flugblättern bleibt, entschließt Hans sich, diese am nächsten Tag in der Uni zu entsorgen. Ein heikles Unterfangen, aber Hans ist starrköpfig. und Sophie wird mit von der Partie sein.

Man kriegt gezeigt, woher dieser Widerstandsgeist kommt - Sophie schreibt einen Brief und hört dazu Schubert, das Forellenquintett - und schreibt, was dieses Stück ihr bedeutet.

Quirlige Klavierkaskaden, eine Vorstellung von Klarheit und Frische, von einer Reinheit des Denkens und Fühlens, in der Härte und Sanftheit miteinander gehen können.

Julia Jentsch, die die Sophie spielt, ist in dieser ersten halben Stunde von einer zauberhaften Unbefangenheit, ihr subversives Treiben hat einen erotischen Unterton.

Koboldhaft huscht sie auf den Gängen des Lichthofs in der Uni hin und her, bückt sich kurz, um einen Stapel Blätter hinzulegen, wirft einen Blick zur Seite, ob die Luft rein ist und was der Bruder macht, auf der anderen Seite. Das Ganze ist als kleines Suspensestück inszeniert.

Verklärte Heldin im Gestapo-Kerker: Julia Jentsch als Sophie Scholl (Foto: Foto: AP)

Eine Sophie Scholl für die junge Generation von heute - der Film inszeniert ihr Schicksal wie einen Thriller. Die Naivität, die er hier entwickelt, wird später teuer bezahlt, mit Pathos und Sentimentalität.

Es gibt sogar ein kurzes "Was wäre gewesen, wenn..." Die beiden sind fertig mit ihrem Werk, sind schon am Gehen, alles ging gut - dann fällt Hans ein letzter übriggebliebener Stapel ein. Schon geht es wieder hoch, auch Sophie ist wieder dabei, sie legen die Blätter rasch auf die Brüstung, sind schon wieder am Gehen, da wendet Sophie sich zurück, ein Schubs, die Blätter flattern in den Lichthof.

Es ist eine Aktion, die keinen Sinn macht, nur Gefährdung bringt - es ist, als wäre Sophie in diesem Moment Opfer einer Obsession geworden, eines Traums vom Licht, von strahlender Weite ...

Das Spiel ist nun aus, es kommt zu Denunziation, Verhaftung, Verbringung ins Gestapo-Hauptquartier. Das Reich schlägt zurück. Ein anderes Spiel beginnt, nach anderen Regeln.

Gestapo-Protokolle aus dem Stasi-Archiv

Anders als Michael Verhoeven und Percy Adlon in ihren Sophie-Scholl-Filmen der Achtziger konnte Marc Rothemund für seine Version erstmals auf die Protokolle zurückgreifen der Verhöre, die der Gestapo-Mann Mohr mit Sophie durchführte - sie waren im Archiv der Staatssicherheit der DDR unter Verschluss gehalten worden.

Es ist eine unerbittliche Partie, von beiden Spielern - der des Hochverrats und der Wehrkraftzersetzung beschuldigten jungen Frau und dem immer am Rande der Skepsis und des Zynismus wandelnden Verhörers - mit gleicher Konsequenz geführt, und mit einer wahnwitzigen, traumwandlerischen Sicherheit. Beide tricksen, schwindeln, punkten mit starken Pointen.

Ein Raum, in dem eigene Gesetz gelten sogar für Licht und Schatten, die Inszenierung einer Inszenierung, bis ins kleinste Detail. Schon die Bewegung, mit der Mohr sein Zigarettenetui aufklappt, ist unsagbar elegant, und natürlich präzise auf den Effekt berechnet, den das auf Sophie haben soll.

Das schwache Geschlecht, hatte Mohr gesagt, als er kam, um Sophie zu verhaften - das klang damals ein wenig beziehungslos und rätselhaft. Aber unmerklich hat der Film inzwischen Sophie zum Zentrum des Widerstands gemacht.

Und das Verhör gewinnt in seiner ersten Hälfte seine Stärke daraus, dass hier nicht nur Überzeugungen und Bekenntnisse an sich in den Raum gestellt werden, sondern diese immer auch funktional sind, als Waffen wirken in einem Zweikampf. Später, wenn dann die Angeklagten vor dem Freisler-Tribunal landen, wirft der als Erstes einen schnellen Seitenblick auf Sophie - die beiden sind die Pole, um die die Verhandlung kreist, er in seiner roten Robe, sie in ihrer roten Strickjacke.

Hans und Sophie Scholl (Foto: Foto: dpa)

Es ist ein Leichtes, sich für diese kämpferische Sophie zu begeistern - es ist noch einmal ein "Was wäre, wenn ..."-Effekt, dass der Gestapo-Verhörer, ein Spezialist mit 26 Jahren Berufserfahrung, ein paar Stunden von Sophie düpiert werden konnte. "Eine unglaubliche Leistung", sagt Marc Rothemund.

Ähnliches hat man auch von den Protokollen im Prozess gegen Jeanne d'Arc gesagt, die mit ihrer Mädchen-vom-Lande-Naivität sich behaupten konnte gegen die Verklausulierungen der scholastisch geschulten Mönche und Bischöfe in Rouen.

Nach der ersten Stunde geht dem Film irgendwie die Luft aus, er wechselt vom Thrill der Verhöre in eine Art Schulfernsehprogramm. In einem Crash-Kurs nehmen der Kommissar und das Mädchen - in strikten Positionen verharrend, hier Ordnung, dort Gewissen - die bekannten Themen des nationalsozialistischen Unrechtsstaats durch.

Der Antisemitismus. Die Judendeportationen. Die Konzentrationslager. Die Erschießungen im Osten. Die Euthanasie. Fred Breinersdorfer ist, als Drehbuchautor, von diesem Zeitpunkt an sichtlich überfordert, verwechselt Sentiment oft mit Sentimentalität.

Die manchmal fast brechtische Distanzierung des Verhörs verschwindet, nun werden Schauspieler-Szenen für Julia Jentsch erfunden, die alles zeigen soll, was eigentlich nicht darstellbar ist: Einsamkeit, Unsicherheit, Todesangst, die Sehnsucht nach dem Licht und der Sonne, Sophie allein in der Zelle, wenige Minuten vor der Hinrichtung.

Es ist ein merkwürdiges Fluidum nun um sie, lauter fürsorgliche Wesen. Sie ist entrückt, die grausame Naziwelt draußen hat aufgehört zu existieren.

SOPHIE SCHOLL - DIE LETZTEN TAGE, D 2005 - Regie: Marc Rothemund, Buch: Fred Breinersdorfer. Kamera: Martin Langer. Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek. Schnitt: Hans Funck. Mit: Julia Jentsch, Fabian Hinrichs, Alexander Held, Johanna Gastdorf, André Hennicke, Florian Stetter, Jörg Hube. X Verleih, 116 Minuten.

© SZ vom 23.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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