Rockmusik:Haltung, Baby

Rockmusik: "Song of Surrender": Im besten Fall Soundtrack für Kaffeerösterketten, im schlimmsten Fall das neue Album von U2.

"Song of Surrender": Im besten Fall Soundtrack für Kaffeerösterketten, im schlimmsten Fall das neue Album von U2.

(Foto: Dean Lewins/dpa)

Auf ihrem neuen Album reduzieren "U2" 40 Songs aus ihrem Gesamtwerk zu Miniaturen. Was bleibt da von ihren Stärken als Könige der großen Gesten?

Von Andrian Kreye

Man will ja fair sein zu einer Band, die man immer mochte, auch wenn alle anderen sie furchtbar fanden. U2 also, die mit "Joshua Tree" die Überwältigungsmechanismen des Rock perfektionierten, die den Orgelpunktbass einführten, der seither die Rockmusik dominiert, und deren Stadionkonzerte ein Rausch sind. Ihr neues Album "Songs of Surrender" (Interscope) ist allerdings so etwas wie die Crystal Pepsi der Rockgeschichte, falls sich noch jemand daran erinnert, wie der Limonadenkonzern vor dreißig Jahren versuchte, mit einer durchsichtigen Cola den Purismus-Zeitgeist in den Griff zu kriegen. Es ist das Dokument einer Selbstüberschätzung. 40 Songs aus ihrem Gesamtwerk haben sie auf akustische Miniaturen aus Gitarren, Klavieren und ein wenig Synthie-Gehauche reduziert. Das ist eigentlich eine Marotte aus den niedersten Niederungen der Nostalgie, dass man bewährte Rockbretter in Folk-, Jazz- oder Bossa-Nova-Versionen einspielt. Zwinker- und Schmunzelmusik. Im besten Falle taugt das als Soundtrack für Kaffeerösterketten.

Im schlimmsten Falle ist es dann eben das neue Album einer Band, die viel zu fest von der Ergebenheit ihrer Fans überzeugt ist. Oder hat es damit zu tun, dass der beste U2-Song von Johnny Cash aufgenommen wurde? Der verwandelte die Powerballade "One" vor 23 Jahren über ein paar spartanischen Gitarren und einem Klavier in eine markerschütternde Hymne der Verzweiflung und Erlösung. So viel Tiefgang gelang den Stars aus Irland selbst nie. War auch nicht ihre Aufgabe.

Ihre Stärke war es immer, dass sie das Pathos und das Melodiegespür des Stadionrock von Bands wie Journey, Foreigner oder Boston durch jene Zeiten retteten, als Punk und Hip-Hop mit Do-it-yourself-Ästhetik und heißem Zorn dem Bombast ein Ende setzten. U2 beherrschten ihre Instrumente, sie konnten Songs schreiben und Bono hatte eine Stimme, die er in eine Inbrunst steigern konnte, mit der er die Konkurrenz irgendwo auf den hintersten Rängen der immer größeren Stadien ließ, die seine Band bespielte.

U2 hatten sich ihre großen Gesten von der heiligen Messe der katholischen Kirche abgeschaut

Der Trick war einfach. Als Katholiken waren die vier in Irland mit den Überwältigungsmechanismen der heiligen Messe aufgewachsen. Ihre Songs und Shows waren nach diesem Muster eine endlose Abfolge von Versenkungsmomenten und Monstercrescendi, die sie so perfekt beherrschten, dass man sich kaum zu entziehen vermochte. So konnte der Stadionrock dann auch die Zerstörungskräfte des Punk überstehen, weil die Energie solch einer Kommunion so heftig sein kann wie ein Sprung in den Moshpit. Und jetzt?

Bonos Stimme ist ohne Hall und Effekt ganz in den Vordergrund gemischt. Das klingt, als fahre er einen Bugatti mit angezogener Handbremse über eine Gokart-Bahn. Über die gesamte Strecke der 40 Songs bleibt die Dynamikkurve flach. Die Askese des Protestantismus funktioniert aber nicht im Kontext ihrer großen Gesten des Katholizismus, die die DNA ihrer Songs sind.

Auch in den Texten gibt es ein paar Änderungen. "Walk On" war im Original der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gewidmet, deren Rolle im Völkermord an den Rohingya ihrer Rolle in der Geschichte ihres Landes Myanmar eine finstere Wendung gab. In der neuen Fassung gilt die Hymne Ukraines Präsident Wolodimir Selenskij ("And if the comic takes the stage and no one laughs. Does a dance on his own grave for a photograph"). Den Gassenhauer "Where the Streets have no Name" haben sie auf die Klimakatastrophe umgedichtet: "Every desert rose is a cry for rain". Haltung, Baby. Daran hat es ihnen noch nie gemangelt. Die meisten haben U2 aber nicht deswegen, sondern trotzdem gehört.

Falls U2 mit ihrem neuen Album den Beweis liefern wollten, dass ihre Songs in dieselbe Liga der Unverwüstlichkeit wie die von Bob Dylan, den Beatles oder Elton John gehören, ging das nicht auf. Nach rund drei Stunden Zwangsminimalismus bleibt vor allem Ermüdung. Als Nächstes treten U2 eine sogenannte Residency im Venetian Hotel in Las Vegas an, wie die Dauergastspiele dort heißen. Passt zum Album. Las Vegas ist schon seit einiger Zeit das Hospiz der Popkultur, in das Stars ihre Songkataloge zum Sterben bringen.

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