Berühmt geworden ist Karl Ove Knausgård mit den sechs Bänden der Reihe "Min Kamp", in denen er minutiös sein Leben erzählt. Das Werk hat er vor geraumer Zeit abgeschlossen und eine etwas kleinere Reihe begonnen, die ihren Takt statt aus dem Leben des Autors aus dem Gang des Jahres nimmt. Nach den Bänden "Im Herbst", "Im Winter" und "Im Frühling" ist jetzt "Im Sommer" erschienen. Es ist dicker als die vorangegangenen, wie ja auch in die langen skandinavischen Sommertage mehr hineinpasst als in die Tage der anderen Jahreszeiten.
Schon in deren ersten Bänden war es, auch wenn man die Aufrichtigkeit und Gründlichkeit von "Min Kamp" zu schätzen wusste, doch wohltuend, wie der Autor nicht mehr nur mit sich selbst rang, sondern sich, deutlich entspannter, dem natürlichen Rhythmus seiner neuen Heimat im ländlichen Südschweden überließ. Immer noch sind es die unscheinbaren Dinge, die ihn faszinieren; doch fasst er sie nunmehr in ihrem Gattungscharakter auf. Die Textstücke heißen jetzt "Rasensprenger", "Haut", "Marienkäfer", "Schaum" oder "Spielplätze". Und immer wieder leitet ihn die Verblüffung, dass es all dies schon lang gibt, aber er es erst jetzt richtig wahrnimmt.
Swimmingpool:Spring doch rein!
Ein Pool in Form einer Gitarre oder so groß, dass man darauf segeln kann: In der Badespaßarchitektur gibt es nichts, was es nicht gibt. Ein Bildband feiert jetzt den Swimmingpool als Sehnsuchtsort.
"Mir ist nie wirklich bewusst gewesen", so fängt das Buch an, "dass ich einen Rasensprenger besitze (...)". Nicht der Rasensprenger an sich weckt das Erstaunen, den er vielmehr seit seiner Kindheit als Inbegriff des Sommers kennt, sondern dessen Besitz; und wenn er der Tätigkeit dieses einfachen Geräts zuschaut, wie der Wasserstrahl glitzernd in der Sonne aufsteigt und gleich darauf bald nach der einen, bald nach der anderen Seite wehend herabsinkt, wie eine winkende menschliche Hand, dann bedenkt er in seiner Beziehung zu dem archetypischen Ding seine veränderte Stellung im Leben. "Die Tatsache, dass ich heute selbst Herr über einen Rasensprenger bin und ihn anschließe und an verschiedenen Stellen in meinem eigenen Garten aufstelle, sollte mir deshalb etwas bedeuten, nicht unbedingt viel, aber doch ein bisschen, da das Leben, das ich damals nur beobachtete - das Leben der erwachsenen Männer und Frauen -, nun zu meinem eigenen geworden ist, zu etwas, das ich nicht länger von außen betrachte, sondern von innen ausfülle." Das tausendfach in identischer Form produzierte Gartenutensil ist in diesem einen Exemplar seins und macht ihm klar, im gewiss nicht verfrühten Alter von fast fünfzig Jahren, dass er auf die andere, die erwachsene Seite übergetreten ist.
Ein Kosmos, in dem alles kraft bloßer Existenz einander zugeneigt ist
Knausgård ist niemals absichtlich poetisch; die poetischen Qualitäten seines Schreibens ergeben sich als Neben-, geradezu als Abfallprodukt der Genauigkeit seines Schauens und Grübelns. Birken stellen in Skandinavien ja nun nicht gerade eine Rarität dar. Aber Knausgård behandelt sie als etwas Besonderes, mit kreatürlicher Höflichkeit. "Im monochromen Reich des Waldes, in dem fast alles grün ist oder das Grün betont, wie etwa der gräuliche Farbton der Fichtenrinde, stechen die Birken mit ihrer weißen Borke heraus, und so kommt einem leicht der Gedanke, dass sie einer feineren Art angehören, einer Art Adel der Bäume, stramm und elegant, nervös und schön." Er meint, sie gleichen mehr einem Pferd als einem Baum, und wenn der Wind in ihre Blätter fährt, einem Schwan oder Segel. Obwohl Knausgård Linné und Darwin anführt und er die harten Fakten der Wissenschaft also anerkennt, hegt er zärtliche Empfindungen für das eigentlich Unbeseelte: Erschließt sich doch auf diese Weise ein Kosmos, in dem alles kraft bloßer Existenz einander zugeneigt ist.
Das Birken-Kapitel, vier Seiten lang, beginnt mit den Birken im Allgemeinen, geht dann über zu jener speziellen Birke, die vor seinem Haus steht und unter der er seinen Wagen parkt, und führt ihn schließlich zu den Birken seiner Kindheit und Jugend, deren süßen abgezapften Saft er und seine Kumpel tranken, auf die sie aber nie kletterten, weil der Stamm so glatt war und sich erst so hoch verzweigte - vielleicht auch aus Ehrfurcht vor der makellosen Rinde. Dann schweift der Gedanke vom bloß Persönlichen zur hohen Lebensdauer des Baums und zuletzt zur Stammesgeschichte der Gattung, die nach Millionen Jahren zählt. Und so geht es mit allen Dingen und Wesen, die in ihrer knappen emblematischen Kontur aufgerufen werden: den Wölfen; den Tränen; dem Küchenmixer.
Quer zu diesen Ding-Essays steht das "Tagebuch", in dem der vierfache und von seiner Frau getrennte, also auf erhebliche Strecken alleinerziehende und entsprechend geplagte Vater über seinen Alltag berichtet. In diesen Passagen, die fast die Hälfte des Buchs ausmachen, gleicht der neue Zyklus am ehesten dem alten, "Min Kamp". Aber auch hier erfolgt die Wendung weg vom Ich und auf ein Anderes zu; als Adressat erscheint seine jüngste Tochter, die er mit "Du" anredet.
Diese Tochter ist noch nicht aus den Windeln heraus und knüpft gerade erste Kontakte zur Sprache. Es geht glanzlos von Akt zu Akt, es wird eingekauft und gekocht, der Vater kutschiert die Kinder in der Gegend herum, wenn sie zu ihrer Mutter oder ihren verschiedenen Verabredungen müssen, das Fernsehen gewährt öde Erholung. Jedes Kind hat entsprechend seinem Alter andere Bedürfnisse und eine andere Art herumzuquengeln, die älteste Tochter befindet sich schon am Rand der strapaziösen Pubertät, die jüngste steht noch dem strampelnden Ursprung nah, vernünftig reden lässt sich mit beiden nicht. Der Liebe, die nicht thematisiert wird und schweigend da ist, tut es keinen Abbruch.
Das Ganze ist nicht mehr so ausführlich gestaltet wie in "Min Kamp", wo die Lektüre einer Badezimmerreinigung ungefähr so lang dauerte wie der Vorgang selbst. Aber es lässt dennoch Knausgårds Erlebnis- und Schreibprinzip erkennen. "Ich liebe Wiederholungen. Sie verwandeln die Zeit in einen Ort, verwandeln die Tage in ein Haus, in dem die Wiederholungen Wände, Böden und Decken sind." Zeit als solche ist eine Funktion des Todes, denn sie zehrt unsere hiesige Frist auf wie der Funke die Zündschnur. Zeit jedoch, die gezwungen wird, mehrmals das Gleiche zu zeitigen, biegt von der gnadenlosen Geraden in die Kreisbahn ein, geht in den Raum über, ins Haus, in etwas, worin man sich daheim fühlt. Dass dies gelingen kann, ist Knausgårds inständiges Credo. Er hat es sich mit diesem Zyklus der Jahreszeiten so leicht gemacht, wie es seinem schwerblütigen, aber offenen Temperament nur überhaupt möglich ist.
Ein Wort noch zu den Illustrationen von Anselm Kiefer, mit dem Knausgård freundschaftlich verbunden ist. Kiefer wirkt in den gigantischen Formaten, zu denen er im Lauf seiner Kunst gefunden hat. Dass er sich hier zu den kleinen Aquarellen bereitgefunden hat, die das Buch begleiten, stellt gewiss einen Freundschaftsdienst dar, den man umso höher einschätzen muss, als der Künstler sich und seine Eigenart darin fast völlig verleugnet. Gut sind sie nicht; aber rührend.