Süddeutsche Zeitung

Netzkolumne:Prügelei der Plattformen

Influencer-Berühmtheiten schlagen sich in Schaukämpfen die Nasen blutig, aber eigentlich kämpfen die Firmen dahinter.

Von Michael Moorstedt

An einem Abend Mitte Juni trafen sich eine Reihe von Internet-Berühmtheiten. Die einen waren Eingeweihten hauptsächlich von Youtube bekannt, die anderen eher von TikTok. Sie parkten ihre Luxusautos vor einer Halle, zogen Boxhandschuhe an, stiegen in einen Ring und begannen dann sich gegenseitig, die Visagen zu polieren. Nach einer Reihe blutiger Nasen und einem Haufen zweifelhafter Beinarbeit stand der Sieger fest.

Das Spektakel lässt viele Deutungsmöglichkeiten zu. Zum Beispiel die, dass der Internet-Influencer jetzt endgültig zur zeitgemäßen Version des römischen Gladiatoren geworden ist. Oder die, dass die Menschen, die im Internet mit ihrem Leben hausieren gehen, sich auf der Suche nach verwertbarem Content für das unersättliche Publikum wortwörtlich an die Schmerzgrenze - und darüber hinaus - begeben.

Die Episode kann gleichzeitig aber auch als Stellvertreterkrieg zwischen den Internetplattformen selbst interpretiert werden. Denn es tobt eine unerbittliche Schlacht um Aufmerksamkeit. Nur wer die bekanntesten Namen auf seine Seite zieht, wird mit Klicks durch die Nutzer belohnt. Längst werden die publikumswirksamsten Internet-Stars mit hochdotierten Exklusivverträgen gelockt, die in ihrer Höhe denen von Fußballprofis kaum noch nachstehen.

Immer öfter werden bekannte Gesichter von der Konkurrenz abgeworben

Microsoft etwa ließ es sich vor einiger Zeit kolportierte 30 Millionen Dollar kosten, um einen Videospielstreaming-Star exklusiv auf seiner damals neuen Plattform Mixer auftreten zu lassen. Dumm nur, dass man den Dienst kurz darauf mangels Interesse einstellte. Gleiches versuchte man bei Instagram. Als die Kurzvideofunktion Reels eingeführt wurde, wurden bekannte Gesichter bei der Konkurrenz abgeworben.

Wurden solche Deals bis vor Kurzem noch hinter geschlossenen Türen ausgehandelt, hat man inzwischen jegliche Subtilität abgelegt. Zum Beispiel Mark Zuckerberg. "Um mehr Menschen zu helfen, ihren Lebensunterhalt auf unseren Plattformen zu verdienen, werden wir bezahlte Online-Events und Fan-Abonnements, Abzeichen und unsere kommenden unabhängigen Nachrichtenprodukte bis 2023 kostenlos halten", schrieb der Facebook-Chef unlängst auf dem Firmenblog. "Und wenn wir eine Umsatzbeteiligung einführen, wird diese geringer sein als die 30 Prozent, die Apple und andere nehmen."

Passenderweise stellte Zuckerberg auch eine neue interne Funktion vor, die vorrechnet, wie viel mehr Geld man bei Facebook im Vergleich zur Konkurrenz verdient. Gerade Apple steht für seine mehr oder weniger halsabschneiderischen Bezahlmodelle unter verschärfter Beobachtung. Schon ist von der "Apple-Steuer" die Rede. Neu ist, dass diese jetzt nicht mehr nur bei Firmen einbehalten wird, sondern immer öfter auch bei Einzelpersonen. Wer nicht mitmacht, wird einfach aus dem Apple-Ökosystem rausgeschmissen.

Der Streit um die unterschiedlichen Bezahlvorgänge ist nur die letzte Schlacht in einem länger andauernden kalten Krieg zwischen den beiden Firmen. Apple führt neue Privatsphäre-Einstellungen ein, die Facebooks Werbegeschäfte bedrohen, Facebook fährt eine weltweite Image-Kampagne gegen den Rivalen und schaltet ganzseitige Anzeigen in internationalen Medien. Da wäre es eventuell doch einfacher, nochmal ein paar Influencer in den Ring zu schicken. Die könnten die Fehde dann ein für alle Mal ausfechten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5327616
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kni
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.