"Slow West" im Kino:Der Western wird zum Witz

Slow West mit Michael Fassbender

Klinge am Hals: Michael Fassbender (oben) und Kodi Smit-McPhee in "Slow West".

(Foto: Prokino)

Desperado Michael Fassbender hilft einem verträumten Jungen. Oder ist er doch ein Verräter?

Von Doris Kuhn

Wenn ein Film mit Blick in den Sternenhimmel beginnt, während jemand die Namen dieser Sternbilder flüstert und dabei so tut, als würde er sie mit Pistolen abschießen - dann ist das für einen Western ein eher ungewöhnlicher Anfang.

Nichtsdestotrotz wird in "Slow West" die Geschichte eines Jungen erzählt, der in einen Western hineingerät, während er im Jahr 1870 durch Colorado reitet. Der Junge ist aus Schottland gekommen, um nach seiner Liebsten Rose zu suchen, ausgerüstet mit einem Kompass, einem Handbuch für Reisende, mit Poesie. Er ist ein 16-jähriger Träumer, also der exakte Gegenentwurf zum klassischen Westerner, und das ist für das Genre vorerst eine schöne Idee.

In Rückblenden erfährt man aus seiner schottischen Vergangenheit: Es gab einen Toten, eine Anklage, seine Freundin Rose musste in die Neue Welt fliehen, in die der Junge ihr jetzt nachreist, hartnäckig, wie Träumer eben sind. Er kennt ihren Aufenthaltsort, das gibt ihm in der fremden Wildnis ein festes Ziel.

Für 2000 Dollar springt halb Colorado aufs Pferd

Was er nicht weiß, ist die Tatsache, dass 1870 auch Nachrichten schon um die Welt reisen: Rose wird gesucht, ein Kopfgeld von 2000 Dollar ist auf sie ausgesetzt, halb Colorado ist für diese Summe gerade aufs Pferd gesprungen. Gleich zu Beginn findet der Junge sich in einer Schießerei wieder, bei der klar wird, dass Regisseur John Maclean neben der Liebe zu Rose noch andere Themen verhandeln will - und zwar die großen Mythen der Westerngeschichte: Ehemalige Bürgerkriegssoldaten machen sich über einen Indianerstamm her. Wie Geister rennen Verfolger und Verfolgte durch den Wald, wie Geister nimmt der Junge sie wahr, ohne zu verstehen, was passiert.

Später wird er auf osteuropäische Immigranten stoßen, die an der ihnen versprochenen Landnahme scheitern, weil sie statt des kleinen Hauses in der Prärie nur den Hunger finden, der sie in die Kriminalität treibt, wie zuvor schon zu Hause. Danach wird der Junge einen Dokumentaristen treffen, der die Vergangenheit schriftlich festhält. Für seine Geschichte allerdings haben diese Sequenzen weder Notwendigkeit noch Konsequenz. Sie bleiben Einsprengsel, mit denen Maclean andere Western zitiert, als wolle er dem Zuschauer seine Top Ten des Genres vorführen.

Um derart klassische Motive zu überstehen, braucht der Junge Hilfe. Also trifft er Michael Fassbender, den Desperado, der ihn beschützen wird. Für Geld allerdings, nicht aus Nächstenliebe. Fassbender ist hauptsächlich bemüht, verwegen dreinzuschauen, mal mit, mal ohne Zigarillo im Mund. Das ist schade, denn gerade Fassbender kann innere Bewegung in allen Schattierungen sichtbar machen. Hier aber findet die innere Bewegung nur Ausdruck in der Erzählerstimme, mit der er den Film begleitet.

Denn der starre Mann wird natürlich gerührt von der Unschuld des Jungen, mit dem er reitet, und so wirkt "Slow West" manchmal wie ein Coming-of-Age-Film für beide Seiten: Der Junge lernt vom Mann die Gewalt, der Mann lernt vom Jungen das Gefühl.

Von allen verraten

Nur: Fassbender hat sich dem Jungen angeschlossen, weil auch er das Kopfgeld für Rose will. Er hintergeht den Jungen, aber schlimmer ist, dass auch der Regisseur den Jungen hintergeht: Ob es ein Priester mit Gewehr im Geigenkasten ist oder ein Trupp Schurken, die so artifiziell daherkommen, als müssten sie den Kommentar zu ihrer Rolle gleich mitliefern: Der Regisseur sorgt dafür, dass der Junge weder Personal noch Umgebung versteht. Er bleibt ein Narr.

Die Position des Träumers, die so vielversprechend erschien, kehrt sich gegen ihn, manchmal bis zum gespielten Witz. Selbst die Kamera macht Mätzchen auf seine Kosten, und spätestens dann ist der Anspruch auf einen ernst zu nehmenden Western, der anfangs so dringlich etabliert wurde, verspielt.

Erstaunlich ist der Erfolg von "Slow West" trotz dieser Attitüden: Der Film erhielt den Hauptpreis beim Sundance Festival, auf dem Münchner Filmfest herrschte Begeisterung. Vielleicht geht es dem Publikum längst nicht mehr um die alte Mythenmaschine Western, um dessen Grenzen oder Tradition. Vielleicht reicht es, wenn Integrität und Feindschaft, Liebe und Verrat mal wieder mit Pistolen verhandelt werden. Denn das funktioniert in "Slow West" äußerst effizient.

Slow West, UK/NZL 2015 - Regie, Buch: John Maclean. Kamera: Robbie Ryan. Mit Kodi Smit-McPhee, Michael Fassbender. Prokino, 84 Minuten.

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