Sloterdijk-Roman:Eine Farce, gemixt aus Philosophie und Pornografie

Frankfurter Buchmesse

Peer Sloterdijk heißt einer aus der "Fünferbande" in Peter Sloterdijks Roman, in dem sich Spötterei und Fleischeslust verbinden.

(Foto: Regina Schmeken)

Mit "Das Schelling Projekt" hat Peter Sloterdijk einen Briefroman geschrieben - ohne einen Funken Ernst, aber voll sprühender Einfälle.

Buchkritik von Hannelore Schlaffer

Die banalste Absicht, die man Peter Sloterdijk unterstellen könnte, wäre die, dass er mit seinem neuen Buch eine Kritik des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebs verfolge und nichts als das. Zwar soll sich das "Schelling-Projekt", das eine "Fünferbande" aus hochintelligenten und kompetenten Fachkollegen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, kurz DFG, dieser "Anlaufstelle für Mainstreamer und Abzocker", zur Begutachtung vorlegt, "von dem Unfug, den man an den Universitäten als Exzellenzcluster feiert", grundsätzlich unterscheiden und endlich einmal zeigen, was die eigentlichen Fragestellungen der Wissenschaft sein könnten. So gibt denn auch über die gesamten 250 Seiten des Buches hinweg das Projekt mancherlei Anlass zum Spott auf die Kollegen, zu Satiren auf ihre Methoden und zu Gehässigkeiten über wissenschaftliche Kurzsichtigkeit.

Doch ist Sloterdijk kein David Lodge, der in seinen Romanen mit ein wenig Humor über die Routine des wissenschaftlichen Alltags hinwegzutrösten sucht. Die bissige Kritik am Anfang des Buches eröffnet nur eine aus Philosophie und Pornografie gemixte Farce, die so scharf gewürzt ist, dass sie zur Lektüre verführt. Jeder Happen dieser Speise macht Appetit auf den nächsten, doch was ist, so fragt sich der Genießer, die Konsistenz des Ganzen?

Kritik ist auf jeden Fall der Grundtenor des Buches, das Aussagen nur zulässt, wenn sie so pointiert wie möglich formuliert sind. In der "Fünferbande" hat sich ein Cluster zusammengetan, dessen Exzellenz jede von der DFG erdenkliche weit überschreitet. Wie aber aus Solisten kein stimmiges Orchester wird, so auch hier aus den fünf Genies kein Wissenschaftsquintett, dessen Projekt fasslich wäre.

Man kann "die Hormone von Adam und Eva nicht mit dem Spaten ausgraben"

Am ehesten dürfte man Sloterdjiks Werk, dessen Esprit nicht hoch genug zu rühmen ist, eine sehr verspätete Form des Briefromans nennen - oder besser noch eine Briefedition aus den Vorlassen der fünf Partner. Es versammelt die Statements aller Beteiligten über das Thema, das sie avisieren, und Vorarbeiten für den Antrag bei der DFG; diese ufern zu langen Abhandlungen aus und sind umstellt von korrigierenden Beiträgen der Mitdenker, die sich nicht scheuen, auch ganz persönliche Erlebnisse in das Projekt einzubringen, falls diese eine Richtigstellung der Thesen bewirken könnten.

Die Texte sind übers Internet versandte Dateien. Ob ihres gedanklichen Gewichts und der geistreichen Formulierung werden auch sie zu einer Kritik, nämlich der gewöhnlichen Kommunikation im Netz, bei der die Sprache nicht selten unter das Niveau der gesprochenen Alltagssprache hinabsinkt. Briefe bleiben die Abhandlungen dennoch und trotz aller institutionellen Tendenz wegen der Spontaneität des Ausdrucks und der Persönlichkeit des Standpunkts. Das vor allem ist der Grund, weshalb der Leser viel Konzentration aufbringen muss. Im Brief nämlich kann jeder Schreiber ein Thema anschlagen und darüber räsonieren ohne jegliche Vorbereitung, denn sein Partner kennt ihn ja und seine Absichten, er durchschaut seine Gedanken seit Langem und versteht Anspielungen einzuordnen. Der Leser hingegen, der fremd in den Briefwechsel eintritt, hat Mühe, diesen Zusammenhang aus flüchtigen Hinweisen zu rekonstruieren.

Dem Autor Sloterdijk freilich bietet dieses Konzept subjektiven Schreibens die Chance, ohne auf die Einheit der Handlung achten zu müssen, all seine Geistreichigkeit dem einen oder anderen Brieffreund in die Feder zu diktieren. Spürbar ist die Nähe des "Schelling-Projekts", das sich im Untertitel als "Bericht" ausgibt, zu Sloterdijks aphoristischem Tagebuch "Zeilen und Tage". Doch bleibt, über den Witz hinaus, das Ziel der Fünferbande so ziemlich im Unklaren. In etwa geht es der Briefgemeinschaft um die Erforschung des geschlechtlichen Körpers in der Ur- und Vorgeschichte. Damit verfolgt Sloterdijk ein weiteres Mal ein Problem, das ihn in ähnlicher Weise schon in früheren Werken beschäftigte, etwa im ersten Band der Trilogie "Blasen", und gibt ihm - wohlwissentlich und mit Humor - eine archäologische Vertiefung.

Die fünf, die nun gemeinsam in die Urgeschichte eintauchen, sind sich der Schwierigkeit ihrer Arbeit bewusst; Sekrete nämlich, die über Geschlechtlichkeit und Sexualität etwas aussagen könnten, sind in diesen vormedizinischen Zeiten nicht zu finden, man kann "die Hormone von Adam und Eva nicht mit dem Spaten ausgraben", denn "vom Sublimsten ist nichts übrig geblieben". Dennoch soll eine "Paläo-Endokrinologie" versucht werden und der Neugier einen Schritt weiterhelfen, die das Spiel der Hormone im adamitischen Zustand des Menschen zu durchschauen hofft.

Die Skurrilität des Projekts unterläuft die Kritik

"Spurenlosigkeit ist die erste Tatsache der Naturgeschichte", gegen die hier angedacht wird. Der gelegentliche Fund der Beckenschaufel einer Frau, so wissen diese Archäologen, sagt gar nichts, sobald es um die Erforschung der inneren Sekrete und ihrer Wirkung auf das Verhältnis der Geschlechter geht. Die Fünferbande sucht dennoch die nach urtümlichen "femininen Mustern sexuierte Person" und tauft die Traumfrau ihrer Forschung auf den Namen Eva-Lilith-Hannelore.

Durch die Skurrilität des Projekts wird die anfängliche Kritik an der DFG unterlaufen; sie hätte für solch eine Schrulle kein Geld bewilligt. Man darf annehmen, dass Sloterdijk bewusst mit der Selbstwiderlegung kokettiert, zumal er durch die Reverenz, die er dem Philosophen Schelling erweist, die Fragwürdigkeit des Projekts ein weiteres Mal illuminiert: Es gehe um eine "spekulative Physik", "mit Schelling als unserem Schutzheiligen". Der Vorläufer der angestrebten "globalen Gynäkologie" sei eben dieser deutsche Philosoph: "Das umrissene Projekt nimmt seinen Ausgang von der weitgehend unbemerkten Tatsache, dass Schelling als der Urheber des logischen Feminismus angesehen werden muss. Seine frühreife Naturphilosophie (. . . ) identifizierte die Natur als eine geistnahe Gebärkraft."

Das Buch hat keinen Funken Ernst, doch es sprüht vor Einfällen

Dass hier nicht der Wissenschaftler, sondern der Spaßmacher spricht, dürfte evident sein. Das Projekt ist ein Witz, die spekulativen Thesen sind bunt wie Bälle, von Clowns in die Luft geworfen. Das Buch hat keinen Funken Ernst, doch es sprüht vor Einfällen. Da es nun einmal um ein lustvolles Flanieren durch die Promenaden des Geistes geht, auf denen sich allerdings ziemlich viele Incroyables aufhalten, tut es nichts, wenn die Mitarbeiter in das Projekt auch persönliche Erfahrungen einbringen. Die fünf haben sich auf einen "Subjektivitätsvertrag" geeinigt, um mit ihm den Abstieg in die Urgeschichte durch persönliche Erfahrungen an gegenwärtige Situationen zu adjustieren. Auch dies ist eine Parodie auf die Wissenschaft, denn Objektivität ist das höchste Gebot der Wissenschaft und das Ethos eines jeden Forschers.

Sloterdijk aber weiß den Vertrag seiner fünf Figuren wohl zu schätzen, bietet er ihm doch die Gelegenheit, seine Farce mit einem nicht unbeträchtlichen Quantum Pornografie zu würzen. Schon die Namen der Projektteilnehmer geben der Fantasie Stoff zu lüsternen Erwartungen, sie heißen: Stutensee, Freygel, zur Lippe, Mösenlechzner und Peer Sloterdijk. Für alle gilt in etwa, was eine Bekennerin gesteht: "Ich vögle meist mit offenen Augen, anders als die Mehrzahl der Frauen", das heißt, um die Lust zu steigern, mit hellstem Verstand. Im Team entsteht ein "mehrpoliger Erzähl-Potlach", wobei die Projektemacher, männliche wie weibliche, sich, wie einst die Männer in archaischen Kulturen, durch die Erzählung erotischer Exzesse zum Kampf stimulieren. So zieht denn auch die Fünferbande mit derartigen "Wahrheitsspenden" in den Krieg gegen eine verrottende Wissenschaft.

Wer die Pornografien, mit deren Ausschmückung Sloterdijk mehr bietet als mancher Autor des 16. Jahrhunderts, als Werbekrieg um Lesekunden versteht, hat recht und auch wieder nicht. Wer sie genießt, wird selbst zum Beweis für die Notwendigkeit des "Schelling-Projekts". Denn wenn sogar Gelehrte - und auf wen sonst als auf sie sollte diese raffinierte Konzeption, diese gewitzte Diktion gemünzt sein - durch solche Geschichten zu fangen sind, dann ist es höchste Zeit für eine Archäologie der feuchten Sekrete, denen offensichtlich bis heute kein Geist, und sei er noch so trocken, zu widerstehen vermag.

Freilich wäre es auch zu einseitig, wollte man die Pornografie als alleinige Legitimation des Projekts verstehen. Aus dem vielstimmigen "Bericht" mag sich jeder Leser seine eigenen Passagen und eine zusammenfassende Lesart von Sinn und Unsinn herstellen. Für die Vereinigung aller Aspekte aus Satire, Ernsthaftigkeit, Spötterei und Fleischeslust lässt sich am Ende nur ein kompetenter Leser denken: Peter Sloterdijk.

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