Philosophie:Der Gutbürgerschreck

Lesezeit: 3 Min.

Atemlosigkeit, Sprunghaftigkeit, Unterhaltsamkeit: Slavoj Žižek. (Foto: imago stock&people)
  • Der Philosoph Slavoj Žižek wird 70.
  • Er ist ein hyperaktiver, oft hypernervöser und immer humorvoller Kritiker der selbstgerechten linksliberalen Eliten des Westens.
  • Passt seine Paradaerolle als Gutbürgerschreck noch in eine Zeit, in der das Böse leider längst nicht mehr nur auf der guten Seite steht?

Von Jens-Christian Rabe

Die obligatorische Frage, was er an seinem 70. Geburtstag am 21. März tun wird, hat Slavoj Žižek vor einigen Wochen schon selbst in seiner Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beantwortet. Er wird natürlich nicht feiern, weil ihn in seinem Alter Geburtstage zu sehr an den Tod erinnerten. Vielmehr wird er den ganzen Tag an einem neuen Hegel-Buch arbeiten, das im kommenden Jahr anlässlich von dessen 250. Geburtstag erscheinen soll: "Ich werde versuchen, gar nicht als Person zu existieren, sondern als ein Werkzeug der Verwirklichung dieses Buches." Typisch Žižek. Aus dem Text spricht ein ziemlich unphilosophischer Trotz dem Tod gegenüber. Für weisen Gleichmut gibt es die langweiligen Philosophen.

Žižek fürchtet den Tod nicht als den, der ihm sein Leben nimmt, sondern als den, der ihm seine Arbeit nimmt. Das ist der ultimative Horror der hypernervösen Ideologiekritikmaschine namens Slavoj Žižek, weshalb er im wesentlichen Teil der Kolumne konsequenterweise auch nicht über den sentimentalen Geburtstagskram schreibt, sondern über die Bande seines aktuellen Lieblingswitzes lieber ein Werkzeug der Verwirklichung von Ideologiekritik ist.

Das bedeutet bei ihm aber immer vor allem Kritik an denen, die er "leftist liberals" nennt, also den eigenen Leuten, der selbstgerechten linksliberalen Elite des Westens. Die Geburtstagskolumne handelt dementsprechend davon, wie er auf einer Theoretiker-Konferenz erlebte, dass politisch allzu korrekte weiße Linke die "christlich-jüdische Tradition für all unsere Übel verantwortlich machten", dann aber ziemlich genervt guckten, als ein schwarzer Aktivist aufstand und seinerseits die Black-Muslim-Bewegung kritisierte. Worum sich die Linksliberalen, so Žižeks Pointe, offenbar wirklich sorgten, seien nicht die Nöte der Anderen, sondern dass diese Anderen ihren eigenen Begriff von Universalität formulierten, der sich dann von dem ihrer weißen hegemonialen Kultur und Politik unterscheidet.

Wo stehen wir? Bei Žižek natürlich nie dort, wo wir zu stehen glauben

Sein Lebensprojekt ist die Aufdeckung dieser inneren Widersprüche des liberalen Projekts, womit er es allerdings nicht zerstören, sondern vollenden helfen will. Denn trotz allen notorischen Kokettierens mit Linksradikalismen ist Žižek natürlich ein Linksliberaler par excellence und also auch ein beinharter Moralist. Nur eben bitte auf keinen Fall aus dem falschen Grund, dem Glauben, von Haus aus auf der richtigen Seite zu stehen. Das enorme publizistische Werk, das dabei mittlerweile entstanden ist, dürfte er vermutlich selbst nicht mehr überblicken. Die Wikipedia-Bibliografie führt im Moment allein 48 englischsprachige Erstveröffentlichungen seit 1989. Es sind einige sehr einprägsame Titel darunter, etwa "The Sublime Object of Ideology", "Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!" oder "Was Sie immer schon über Lacan wissen wollten, aber Hitchcock nicht zu fragen wagten". Wirklich konzis zu erklären, worum es aber in einem Žižek-Buch im Unterschied zum Beispiel zum Žižek-Buch, das davor erschien, im Einzelnen genau geht, dazu dürften auf dieser Welt nur wenige Menschen in der Lage sein. Žižeks Bücher - ebenso wie seine unzähligen Vorträge und seine Filmauftritte, etwa in den beiden sehenswerten Dokumentationen "The Pervert's Guide to Cinema" und "The Pervert's Guide to Ideology" - sind nämlich eher je aktuelle Ausschnitte aus dem niemals endenden Ideologiekritik-Text, an dem Žižek ununterbrochen zu schreiben scheint.

In Deutschland wird als nächstes "Wie ein Dieb bei Tageslicht - Macht im Zeitalter des posthumanen Kapitalismus" erscheinen, in den USA gibt es schon das nächste über die Relevanz des "Kommunistischen Manifests". Gemeinsam haben sie aber nicht nur eine mitunter enervierende gedankliche Atemlosigkeit, sondern eben auch diese oft unwiderstehliche Unterhaltsamkeit, die daraus entsteht, dass Žižek sich weder für die Volten der Tagespolitik noch für Witze oder sonstige popkulturelle Ereignisse (bevorzugt Hollywood-Blockbuster) zu schade ist.

Im Zweifel ist ihm alles Material, um lustig und scharfsinnig die Frage "Wo stehen wir?" zu klären. Und weil auf oft originelle Art am Ende die Antwort immer "Nicht dort, wo wir glauben zu stehen" lautet, ist sehr zu wünschen, dass Žižek noch eine gute Weile weiterarbeitet, auch wenn er in Zeiten von Trump und Rechtspopulismus seine Paraderolle als Gutbürgerschreck nicht mehr ganz so überzeugend spielen kann. Das Böse steht leider längst nicht mehr nur auf der guten Seite. Žižeks jüngste Ansichten darüber, dass der neue selbstbewusste Feminismus die Erotik zwischen Mann und Frau zerstöre, leider auch nicht. Sie klingen eher seltsam altbacken-maskulistisch. Mal sehen, was im April das unter dem Titel "Happiness: Capitalism vs. Marxism" angekündigte Duell mit dem kanadischen Konservativen und Chef-Maskulinisten Jordan Peterson bringt.

© SZ vom 21.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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