Süddeutsche Zeitung

"Skin" im Kino:Raus aus seiner Haut

  • Der Film "Skin" zeigt den Ausstieg eines jungen Mannes aus dem Nazi-Klan White Supremacy - eine Geschichte nah an der gegenwärtigen Stimmung in den USA.
  • Das Drama aus der US-Naziszene ist der erste englischsprachige Spielfilm des israelischen Regisseurs Guy Nattiv.
  • Besonders die Performance des Hauptdarstellers Jamie Bell wirkt in dem Filmdrama elektrisierend.

Von Annett Scheffel

Bryon Widner sitzt im Bad, nackt und nass und mit kahlrasiertem Schädel, auf dem geschlossenen Toilettendeckel. Als hätte er nirgends einen anderen Platz gefunden, an dem er für einen Moment Ruhe hat von diesem Leben zwischen Hass und Gewalt, in das er hineingewachsen ist, und an dem er - bis jetzt - nie gezweifelt hat. Manifestiert hat sich dieses Leben auch auf seiner Haut. Gesicht und Körper sind über und über bedeckt mit Runen, Hakenkreuzen und anderen kruden Codes, die in seiner rechtsterroristischen Splittergang als Orden für Gewalttaten verteilt werden. Auf seiner Brust prangt in martialischen Lettern: "Blood & Honour".

Sein Ziehvater hat ihn gerade von der Polizei abgeholt. Die hatte ihn verhaftet, weil er nach einem Naziaufmarsch einen jungen afroamerikanischen Gegendemonstranten fast zu Tode geprügelt hatte. Jamie Bell spielt diesen Moment der Rückkehr in seine Skinhead-Ersatzfamilie mit beeindruckender physischer Präsenz, Selbsthass und der Angespanntheit eines zweifelnden jungen Mannes, die man dem einstige Kinderstar gar nicht zugetraut hätte.

Die Figur des Bryon Widner basiert auf einer wahren Geschichte, die Guy Nattiv bereits in einem dokumentarischen Kurzfilm festgehalten hat. Dramaturgisch bisweilen etwas holprig, aber - vor allem dank Bells Auftritt - auch elektrisierend, erzählt der israelische Regisseur nun in seinem ersten englischsprachigen Spielfilm die Geschichte dieses schwierigen Entrinnens noch einmal ausführlicher. Für Bryon Widner bedeutete sie nicht nur den Abschied aus dem rechten Milieu, sondern aus dem einzigen Dasein, das er je gekannt hatte. Der "Vinländer's Social Club", in den ihn sein demagogischer Ziehvater Fred unter Zuhilfenahme von viel Alkohol, Drogen, kaltschnäuziger Gewalt und ideologischer Hetze einst eingeführt hat, haust auf einem heruntergekommenen Bauernhof in Amerikas Herzland. Von hier aus plant Fred mit seinen befehlshörigen Anhängern kleine und große Aktionen. Einmal fahren sie stundenlang durch die Nacht, um am anderen Ende von Ohio eine Moschee abzufackeln. Aussteigen ist eine Option, die in den Statuten des "Social Club" alles andere als vorgesehen ist.

Das einzige Dasein, das er je gekannt hat, manifestiert sich auf seiner Haut

"Skin" passt erschreckend gut in unsere Zeit und die gegenwärtige Stimmung Amerikas, wo die noch vor ein paar Jahren erstaunlich unsichtbare Masse der White Supremacists, der Wütenden und gewaltbereiten Ewiggestrigen, immer deutlicher hervortritt, wie etwa bei den Ereignissen von Charlottesville 2017. Ein tätowierter Neonazi auf der Leinwand ist längst nicht mehr das fremdartige Schreckgespenst, das Edward Norton vor gut zwanzig Jahren in "American History X" spielte, sondern ein Ausdruck bizarrer Normalität.

Man muss es Nattiv hoch anrechnen, dass er auch davon erzählen will, wie diese Dynamiken funktionieren, mit denen junge Leute ideologisch verführt werden. Leider ist gerade die Inszenierung dieses Handlungsstrangs, die in Gestalt des Neueinsteigers Gavin abgehandelt wird, dramaturgisch eher unelegant. Etwas ungelenk mutet bisweilen auch die Liebesgeschichte mit der alleinerziehenden Mutter Julie an, die Bryon endgültig zum Ausstieg bewegt und den Film in der zweiten Hälfte etwas zu sehr in Richtung eines konventionellen Melodramas gleiten lässt. Mehr hätte man sich dagegen von dem afroamerikanischen Aktivisten Daryle Jenkins gewünscht, der Bryon ebenfalls hilft.

Stark ist der Film in den Momenten, in denen er sich auf den langwierigen und schmerzvollen Prozess der Transformation konzentriert. Bryons tätowierte Haut ist hier eine Metapher für seine innere Verwandlung, aber auch ganz konkret der Schauplatz einer äußeren: Nattiv gliedert seinen Film, indem er die Handlung immer wieder mit Szenen unterbricht, in denen in einer qualvollen Prozedur ein Tattoo entfernt wird. Die Kamera folgt dem stöhnenden Bryon auf die Operationstische seiner zahllosen Behandlungen, und sie folgt den knallenden Schüssen des Lasergeräts, das die Zeichen seines alten Lebens aus der geröteten Haut brennt. Der Takt der Laserschüsse und das Zischen der versehrten Haut hallen so schmerzhaft in den Ohren nach, dass diese Szenen zu den intensivsten gehören, die "Skin" zu bieten hat - trotz aller Gewaltorgien, die man sonst noch sieht. Es sind Szenen, die zum Kern der Geschichte weisen: Die Abnabelung von einem alten Leben tut mehr weh als alle Schläge der Welt.

Skin, USA 2018 - Regie und Buch: Guy Nattiv. Kamera: Arnaud Potier. Schnitt: Lee Percy, Michael Taylor. Mit: Jamie Bell, Danielle Macdonald, Bill Camp, Kylie Rogers, Mike Colter. 24 Bilder, 117 Min.

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SZ vom 02.10.2019/sloh
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