Süddeutsche Zeitung

Ausstellung zu nordischem Design:Ganz schön praktisch

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Demokratisch, effizient, naturverbunden: Eine Schau in Stockholm zeigt, warum "Scandinavian Design" erst die USA und dann die Welt eroberte.

Von Thomas Steinfeld

Die Zahl der Varianten, in denen sich eine halbwegs vorzeigbare Wohnung einrichten lässt, scheint sich in jüngerer Zeit vermindert zu haben. Wohin man auch blättert, begegnet man einem Stil, der den Namen "Mid-century modern" trägt: einfache Formen, ergonomische Konzepte, helle Hölzer und Oberflächen. Benannt sind die Möbel nach ihren Schöpfern, und die meisten von ihnen kommen aus dem europäischen Norden: Entworfen wurden die Dinge von Dänen wie Hans Wegner und Poul Kjærholm, von Schweden wie Bruno Mathsson oder Nisse Strinning, von Finnen wie Alvar Aalto und seiner Frau Aino. Wer sich mit den von ihnen gezeichneten Gegenständen umgibt, scheint nichts falsch machen zu können: Die Besitzer offenbaren Geschmack, ohne dass es dabei allzu persönlich würde, sie bekunden einen Sinn für Zweckmäßigkeit, und wohlhabend sind sie offenbar auch. Aus allen drei Gründen dürfte dieser Stil auch unter den Vermietern von möblierten Wohnungen für Touristen mit gehobenen Ansprüchen so beliebt sein.

Im Stockholmer Nationalmuseum ist gegenwärtig eine Ausstellung zu sehen, die der frühen Internationalisierung dieses Einrichtungsstils gewidmet ist, der dann programmatisch als "Scandinavian Design" figurierte, wobei Finnland eingeschlossen ist. Genauer geht es um den Export des Stils in die Vereinigten Staaten. Auf dessen Höhepunkt in den Fünfzigern und frühen Sechzigern verbanden sich amerikanische Vorstellungen von Modernität mit nordischen Formidealen auf eine so feste Weise, dass das Hauptquartier der Vereinten Nationen am East River in New York, auf dem Gelände eines aufgegebenen Schlachthofs errichtet, auch zum Symbolbau einer globalen ästhetischen Bewegung wurde: Der Saal etwa, in dem der Sicherheitsrat tagt, wurde von einem norwegischen Architekten entworfen. Umgekehrt wurden die amerikanischen Botschaften in Oslo und Stockholm zu ikonischen Darstellungen von Weltoffenheit und Transparenz. Es mag sein, dass es den Kuratoren der Ausstellung tatsächlich um die Entwicklung eines Designs und eines großen Exporterfolgs geht. Zugleich aber zeigt die Schau, in welchem Maße diese gemäßigte Form der Moderne zu einer Geschichte der politischen Repräsentation gehört. Und zwar nicht nur weil sich das "Office of War Information", eine im Zweiten Weltkrieg betriebene Propagandaagentur der Vereinigten Staaten, für die Verbreitung des nordischen Stils einsetzte. Die Organisation ging später in der CIA auf.

In der Stockholmer Ausstellung wird vielmehr ein langer Bogen geschlagen, vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Achtziger, unter vermutlich bewusster Aussparung der historischen Vorläufer des nordischen Stils, also etwa der "Arts and Crafts"-Bewegung oder des Bauhauses. So entsteht der Eindruck, man habe es mit einer Genealogie zu tun, die sich gleichsam von selbst ergeben habe. Und gewiss, die Einwanderer aus den nordischen Ländern brachten ihr Handwerk mit. Aber das taten die Immigranten aus Irland, Italien, Deutschland oder den osteuropäischen Ländern auch. Doch saßen John F. Kennedy und Richard Nixon im September 1960 auf dänischen Stühlen, als die Kandidaten für das Amt des amerikanischen Präsidenten zum ersten Mal im Fernsehen gegeneinander stritten. Sie taten es nicht nur weil Kennedy unter Rückenschmerzen litt oder weil Waren aus den nordischen Ländern als politisch unbelastet gelten durften. In den Sitzgelegenheiten spiegelte sich vielmehr der Geist eines gesellschaftlichen Aufbruchs, in dem die Geschichte einem neuen Sinn entgegenzugehen schien: demokratisch, effizient, naturverbunden und dem Neobarock des Stalinismus unmittelbar entgegengesetzt.

Die Protagonisten der neuen Bewegung gehörten zu einem Milieu des demokratischen Reformismus

Die Geschichte des nordischen Designs hatte drei, vielleicht vier Jahrzehnte vorher begonnen, als sich zunächst dänische Architekten und Gestalter einem Meublement zuwandten, dem ein romantischer Neoklassizismus vorausgegangen war und aus dem dann die Einrichtung eines neuen, ebenso klassenlosen Wohnens werden sollte. Gestaltet wurde auf der Grundlage eines schlichten, aber sorgfältig ausgeführten und haltbaren Handwerks. Gearbeitet wurde, soweit möglich, mit heimischen Materialien - Teakholz zählte dazu, weil es im Schiffsbau weit verbreitet war -, angepasst an die Erfordernisse der Serienproduktion. Und wenn die Protagonisten der neuen Bewegung nicht alle Sozialisten waren, so gehörten sie doch zu einem Milieu des demokratischen Reformismus, bis hin zu Poul Henningsen, dem Gestalter einiger der meistverbreiteten Leuchten des 20. Jahrhunderts, und Arne Jacobsen, dem Schöpfer eines weltweit beliebten Stuhls namens "Serie 7" und eines womöglich noch bekannteren Sessels, der als "das Ei" bekannt ist. Im September 1943 flohen die beiden, von dänischen Faschisten bedroht, nach Schweden.

"Populuxe" nennt der amerikanische Historiker Thomas Hine diese Bewegung, in der sich Pioniergeist mit Volkspädagogik und Fortschrittsglaube mit scheinbar egalitärem Konsum verbanden. Vom dazugehörigen Anspruch auf Klassenlosigkeit ist wenig geblieben, zumal wenn es um die Werke der namhaften Gestalter geht: Stattdessen wurde das Mobiliar, beginnend in den Neunzigern und nunmehr rubriziert als "Design", zum Selbstausdruck einer globalen Elite, die sich dadurch auszeichnet, dass sie überall auf der Welt auf dieselbe teure Einrichtung stößt. Vielleicht ist es die Erinnerung an vergangene Hoffnungen, die solchen Menschen am weiß geölten Birkenholz reizt, vielleicht ist es die Idee einer ebenso übersichtlich wie wohlwollend geordneten Welt, in der dem Einzelnen auf seinem Weg zu einem besseren Selbst keine Beschränkungen auferlegt werden, am allerwenigsten durch ein stilistisch forderndes Mobiliar. Vielleicht sind diese Möbel aber auch deswegen so begehrt, weil sie einem mobilen Lebenswandel entgegengekommen.

In den Vereinigten Staaten jedenfalls ist der Stil, den man heute "Mid-century modern" nennt, auf Dauer nicht heimisch geblieben. Am Ende der Ausstellung werden Werke nordischer Gestalter aus den Siebzigern und Achtzigern gezeigt, ein Wandteppich zum Beispiel, der einen verzweifelten jungen Vietnamesen zeigt, und eine amerikanische Fahne, auf der die Sterne durch Totenkreuze ersetzt sind. Aus politischen Gründen dürfte sich das skandinavische Design indessen nicht aus den Vereinigten Staaten verabschiedet haben. Eher schon waren die Ideale des demokratischen Reformismus so brüchig geworden, dass sich darauf zunehmend weniger ideologische Gemeinsamkeiten gründen ließen. Dem Erfolg des skandinavischen Designs tat dieser Rückzug indessen keinen Abbruch: Als Markenartikel gingen diese nur scheinbar zeitlosen Möbel später in die Sphären des symbolischen Konsums ein, und als solche erhielten sie bald auch eine Geschichte, der man eine ebenso große wie nostalgische Ausstellung widmen kann.

Scandinavian Design & USA . Nationalmuseum Stockholm. Bis 9. Januar 2022. Der Katalog, auf Schwedisch und Englisch verfasst, kostet umgerechnet 30 Euro.

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