Skandalroman "Axolotl Roadkill":Helene und die Brotgelehrten

Der Fall Hegemann zeigt: Das Feuilleton schreibt nur noch füreinander, jeder will der Gescheiteste und Arroganteste sein. Der Leser ist den Kritikern egal. Aber er kann sich wehren.

Elke Heidenreich

"Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" Das war das Thema von Schillers Antrittsvorlesung in Jena, 1789. Was ist und zu welchem Zwecke betreibt man Literaturkritik? Schiller unterschied zwischen dem Brotgelehrten und dem philosophischen Kopf.

Elke Heidenreich, Helene Hegemann, Axolotl Roadkill; AP

Elke Heidenreich, 67, Autorin und Moderatorin. Von 2003 bis 2009 präsentierte sie die Sendung "Lesen!", bis 2008 im ZDF und bis Ende 2009 im Internet.

(Foto: Foto: AP)

Der Brotgelehrte sei unfähig, Geisteszusammenhänge interdisziplinär zu erkennen - und würde er sie erkennen, so würde er sich, ganz "Sklavenseele im Reiche der Freiheit", furchtsam abwenden. Der philosophische Kopf hingegen könne Zusammenhänge erfassen und die Dinge sinnvoll zusammenführen.

Jede Zeitung hat ihre Brotgelehrten, die schreiben in den Feuilletons die Kritiken. Schnell, wenn sie gerade über Oper, Theater, Konzert berichten müssen, mit etwas mehr Zeit, wenn es um ein neues Buch geht.

Außer natürlich, es geht um ein sehr auffälliges Buch oder um das eines Lieblingsautors eines bestimmten Kritikers! Etwa von Michel Houellebecq oder von einer sehr melancholisch aussehenden Dame aus Berlin mit Pelzkrägelchen. Oder von Martin Walser, immer wieder Walser. Oder von einer Siebzehnjährigen, hui, dann wollen alle die Ersten sein und schreiben alles ganz schnell. Das ist dann ein Virus, eine Art Hysterie, denn keiner denkt mehr richtig nach, und alle schreiben sie eigentlich dasselbe. Adjektive gleichen sich, alles ist exorbitant und so noch nie gelesen.

Im Fall Hegemann haben nun fast alle ein wenig geirrt, nur Weidermann in der Sonntags-FAZ und Mangold in der Zeit beharren noch darauf, es sei eben doch ein schönes und wichtiges Buch, und man könne nun nicht ...

Was soll Kritik? Ich finde, sie soll in erster Linie tatsächlich erzählen, um was es in einem Buch geht, damit der geneigte Leser entscheiden kann, ob ihn das, was nun folgt, eigentlich interessiert. Dann soll sie sich kritisch mit dem Text auseinandersetzen, ihn einordnen oder abgrenzen und ein Fazit ziehen. Möglichst ohne selbstverliebte Schnörkel. Das Ganze sollte objektiv sein, was natürlich nicht geht, weil der/die Kritiker(in) ja ein Subjekt ist und Meinungen hat.

Wenn ich mal ein Buch schreibe, wird zum Beispiel recht oft die Person kritisiert, die man aus dem Fernsehen kennt und unter Umständen nicht ausstehen kann - und nicht das Buch, das ist zwar komisch, hat aber mit Literaturkritik nichts zu tun. Aber gut, wurscht.

In meiner Sendung "Lesen!" habe ich sechs Jahre lang nur Buchempfehlungen, also Lesetipps gegeben. Das war keine Literaturkritik und so auch nicht gedacht. Die Kritiker nun dachten, sie hätten etwas Originelles herausgefunden und krähten sechs Jahre lang: "Kritik ist das aber nicht!" Nein, warum auch, ihr Schlaumeier, das macht ja ihr schon, die Brotgelehrten.

Ich sehe mich da eher als wenn schon nicht philosophischen, so doch freien Kopf, der zum Lesen verführt, mit mehr Leidenschaft als Kritik, und auch mit sehr viel mehr Erfolg übrigens, wenn ich das mal eben fröhlich einstreuen darf. Das hat alles prima funktioniert, bis das ZDF die Sendung zugunsten weiterer Koch- oder Comedy-Exzesse leider rausgeschmissen hat.

Auf der nächsten Seite: In Zeiten des Internets wären Feuilletonisten besonders gut zu gebrauchen. Aber sie bleiben lieber: unter sich.

Der Leser ist eh wurscht

Jeder Kritiker hat seine Masche. Jeder hat seine Lieblinge, oh ja, und seine Feindbilder, die kein Bein auf seinen persönlichen Boden kriegen. Das macht die Sache nicht gerade brauchbar. Es lohnt kaum noch, Kritiken zu lesen, verbale Schlachten zu verfolgen, Hymnen und Verrisse, Lob und Häme sich reinzuziehen. Es lohnt nur noch, Bücher möglichst selbst zu lesen.

Das Feuilleton schreibt füreinander und gegeneinander, man zeigt sich, wer der Gescheiteste, Schnellste, Arroganteste ist - und der Leser ist eh wurscht, so scheint es mir zu sein.

Schon lange freue ich mich nicht mehr über gute und leide nicht mehr unter schlechten Kritiken, und vielen Kollegen geht es wie mir. Damit meine ich nicht nur meine eigenen Bücher, sondern auch Bücher, die ich liebe oder nicht liebe, und die von Kritikern gelobt oder hingerichtet werden. Es interessiert mich einfach nicht mehr. Ich wittere zu viele eitle Hahnenkämpfe hinter den Kulissen und weiß auch von solchen. Und ich sehe nur noch selten Respekt vor der Arbeit eines Autors.

Jede Verallgemeinerung ist falsch, so auch diese. Es gibt andere, es gibt gründliche und ehrliche und aufrichtige Kritiker, deren Ego hinter dem des Künstlers, des Autors tatsächlich zurückzubleiben versteht. Die meisten aber verachten den Leser bestimmter Bücher als Simpel und schreiben nur für ihresgleichen.

Bei der Gruppe 47, sagte Joachim Kaiser mal, konnte man auch als Kritiker durchfallen, nicht nur als Autor. Marcel Reich-Ranicki hatte damals keine guten Karten, was man so hört. Das Internet mit seinen vielen Möchtegernkritikern verändert die Kritik-Landschaft zusätzlich.

Wer heute jung ist und unter jahrelanger Qual ein Buch schreibt, kann sich sicher sein, auf Amazon von irgendeinem Gimpel, dem die Nase des Autors nicht passt, unter falschem Namen eine verpasst zu kriegen. Wie gut könnte man da die Feuilletons gebrauchen! Aber die Feuilletons bleiben, statt zu vermitteln und einzuordnen: unter sich.

Sehr viele neue Bücher werden hier gar nicht besprochen, weil man vor allem jene besprechen will, die die anderen auch gerade besprechen. Dabei wird oft vergessen, was ein Literaturkritiker eigentlich stets bedenken sollte. Reinhard Baumgart, ein großer Kritiker, hat es so formuliert:

"Ich jedenfalls meine, man muss seinen Gegenstand, bevor man ihn abfertigt, auch darstellen, was meist wesentlich schwieriger ist als das Formulieren von Urteilen. Also in den gravitätischen Worten des alten Goethe: Man soll erst einmal sagen und zeigen, was ein Autor sich 'vorgenommen' hat, dann überlegen, ob das 'einsichtig' und 'vernünftig' war, und erst drittens dann entscheiden, ob er das Intendierte erreicht hat. Immer noch, für mich, die allerbündigste Anweisung für das kritische Geschäft."

Was hatte Helene Hegemann sich vorgenommen? Uns eins in die Fresse zu hauen. Hat sie geschafft. Nun, sie hat dabei abgeschrieben. Ein fleißiges Mädchen. Bei Harald Schmidt, vergangene Woche, wurde uns zudem auch ein seltsam gestörtes Mädchen vorgeführt. Sie will zur Bundeswehr, um ihre Ruhe zu haben. Die einen Kritiker gucken jetzt doof aus der Wäsche. Und die anderen platzen vor Selbstgerechtigkeit. Als hätten sie alles schon vorher gewusst. Was sie nicht getan haben.

Ein kranker Betrieb. Noch ein kleiner Tipp? Lesen! Guten Büchern kann dieser Betrieb nämlich nix anhaben.

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