Skandal-Skulptur in Nürnberg:Was zählt, ist auf dem Rasen

Der Künstler Olaf Metzel übt den Tribünensturz: Seine Skulptur "Auf Wiedersehen" besteht aus getürmten Stadionsitzen und soll den "Schönen Brunnen" in Nürnberg umhüllen. Die Stadt läuft Sturm dagegen. Ein Interview mit dem Künstler.

Aufruhr in Nürnberg: Gegen Olaf Metzels Skulptur "Auf Wiedersehen", die zur WM-Zeit für acht Wochen die Replik des gotischen Schönen Brunnens umhüllen wird und derzeit aufgebaut wird, richtet sich dort erheblicher Protest; auch Kulturreferentin Julia Lehner ist in die Kritik geraten. Die 17 Meter hohe Skulptur, in die auch 780 Stadionsitze eingearbeitet werden, ist Teil des WM-Kulturprojektes "Das große Rasenstück" in Nürnberg. Der documenta-Teilnehmer Metzel hat immer wieder mit spektakulären Großskulpturen von sich reden gemacht.

Skandal um Metzel

Tribünensturz: So soll Olaf Metzels Skulptur "Auf Wiedersehen" aussehen. Sie wird im Sommer den Schönen Brunnen in Nürnberg umhüllen.

SZ: Können sie den Unmut der Leute verstehen?

Olaf Metzel: Ich habe gestern mit vielen Jugendlichen hier gesprochen; die sind richtig begeistert. Ich glaube, das ist ein Generationenkonflikt. Es regen sich viele Rentner auf. Wann waren denn bitte die Leute jung, die jetzt protestieren?

SZ: Spielen Sie jetzt auf die Beschimpfungen ihrer Skulptur als "entartete Kunst" an, auf die Begriffe "Scheiterhaufen" und "verbrennen"?

Metzel: Nein, das kenne ich ja von früheren meiner Arbeiten. Wenn man Kunst im öffentlichen Raum macht, muss man damit rechnen. Ich dachte natürlich, wir sind in Deutschland ein bisschen toleranter geworden, souveräner. Alle. Jeder. Aber dem ist nicht so. Das ist auch kein spezifisch Nürnberger Phänomen.

SZ: Die Nürnberger scheinen schon konkret ein Problem mit Ihrer Arbeit zu haben. Sie haben sich ja auch einen Tourismus-Magneten ausgesucht, den Schönen Brunnen. Warum in aller Welt dort?

Metzel: Er hat eine spannende Geschichte. Es gab den Neptunbrunnen auf dem Marktplatz, gestiftet von einem jüdischen Kommerzienrat, der von den Nazis entfernt und dann woanders wieder aufgestellt wurde. Dann sah ich die Fotos, wie der Schöne Brunnen im Krieg ummantelt war und ringsherum die Stadt in Schutt und Asche fiel. Der Rathausplatz ist ja so etwas wie die Gute Stube hier.

SZ: Ummantelt wird der Brunnen jetzt auch, aber auf andere Weise.

Metzel: Ich bin ja eingeladen worden zur Ausstellung "Das große Rasenstück". Dieser Platz ist doch ein Warenkorb der Alltagsästhetik, mit den Blumenkübeln und so weiter. So sehen im Grunde alle Innenstädte aus. Das einzige Juwel, das sie noch haben, ist der Brunnen. Zur WM werden hier Großbildleinwände aufgestellt, und es werden 10000 oder 20000 Leute rumlaufen. In dieser Situation muss man sich die Skulptur vorstellen.

SZ: Sprich, die Skulptur ist am Ende sogar ein Schutz des Brunnens?

Metzel: (lacht) So meine ich das nun auch wieder nicht. Es heißt doch immer, die Touristen könnten ihren Schönen Brunnen nicht mehr sehen. Gestern sagte mir ein Einheimischer, der im Mai heiratet: Klasse, endlich mal ein neues Hintergrundmotiv. Der war happy.

SZ: Aber wie bezieht sich die Skulptur inhaltlich auf den Brunnen?

Metzel: Im Grunde bezwecke ich nichts anderes, als die Vermüllung der Städte ins Bild zu setzen, in zugespitzter Form. Ich nehme dafür Stadionsitze. Die Replik des Brunnens wird ein Teil meiner Installation. Ihr wird keine Gewalt angetan; diese existiert nur als Bild. Nach unten hin verdichtet sich die Struktur, dort findet man Treppenelemente, massive Betonklötze. Daraus entsteht ein vollkommen neues Bild. Es ist auch ein Bild unserer Zeit - und die Arbeit steht nur acht Wochen lang. Das wird auch immer vergessen.

SZ: Sie verwenden Schalensitze aus dem alten Berliner Olympiastadion, das für die Olympischen Spiele 1936 entstanden ist, in Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage. Da drängen sich geschichtliche Assoziationen auf.

Metzel: Schauen Sie sich mal die Hooligans an: Was haben die denn für Flaggen? In Italien steht in den Zeitungen, dass sie sich kurzschließen mit den Deutschen und Engländern. Die interessieren sich gar nicht mehr fürs Fußballspiel, kommen auch gar nicht mehr in die Stadien rein. Das sind die Freunde der dritten Halbzeit. All diese Dinge zusammengenommen ergeben für mich ein Bild. Ich will gar nicht interpretieren, ich lege eigentlich nur eine Art Mosaik oder Puzzle zusammen.

SZ: Es scheint, als hätten Sie von vornherein mit Entrüstung gerechnet. Wie bei ihrer Berliner Skulptur "13.4.81", einem Turm aus Absperrgittern, der sich auf Straßenkrawalle bezog. Die Arbeit löste 1987 einen Skandal aus, die Polizei musste sie vor Demonstranten schützen.

Metzel: Das war in der Tat intendiert: Die Polizei muss vor den eigenen Barrikaden stehen; oben vom Turm herab werden noch Flugblätter geschmissen. Das sind jedoch Bilder der Zeit, die sich verselbständigen, worauf man auch keinen Einfluss mehr hat, und erst am Ende ergibt sich ein Gesamteindruck.

SZ: Sie haben einmal gesagt, Sie produzieren Volkskunst. Wenn die Volksseele überkochen sollte, was dann? Würden Sie dann das Angebot des Lenbachhauses annehmen, die Skulptur nach München zu holen?

Metzel: Die Arbeit ist auf den Schönen Brunnen bezogen, und es gibt für mich kein worst case scenario. Ich vertraue auf die Nürnberger Kulturpolitik. Ulrich Maly ist als Oberbürgermeister der Stadt ein echter Gewinn. Der wäre auch einer für München.

SZ: Kann es sein, dass es auch eine Aversion gegen das WM-Kulturprogramm gibt, gegen zu viele Künstler, die jetzt auch in Sachen Fußball machen?

Metzel: Ich bin ja selbst Fußballfan. Auch ich bin überfüttert. Schon das WM-Motto der Stadt: "Nürnberg kickt." Das tut richtig weh. Dann dieser Kunstkitsch à la Heller... Man muss in eine ganz andere Richtung denken. Diese blaugrauen Sitzelemente werden mit dem Beton eine monochrome Anmutung haben. Der goldene Brunnen wird durchscheinen. Und man darf dort weiterhin den Ring drehen und sich etwas wünschen. Augenblicklich gibt es hier eine Hysterie. Nun mal wieder back to the roots! Das ist eine temporäre Veranstaltung im Rahmen einer Ausstellung. Aber sie findet eben nicht im white cube statt. Sie wird übrigens vom DFB gesponsert.

SZ: Der Unmut der Leute könnte sich auch gegen "Kunst im öffentlichen Raum" insgesamt richten. Berechtigt?

Metzel: Ja, zum Teil. Deswegen bin ich in meiner Arbeit auch auch sehr vorsichtig und versuche, wenn überhaupt, eine gezielte Setzung zu erreichen. Wenn man so will, ist diese Skulptur der tödliche Pass. Aus dem Fußgelenk.

SZ: Sie wollen den Konflikt auf jeden Fall bis zum Ende durchstehen?

Metzel: Ich habe ja früher selbst Fußball gespielt, linksaußen. Wenn ich sagte, Trainer, nimm' mich raus, ich kann nicht mehr, sagte der: Du bleibst so lange drin, bis eine Ecke von rechts kommt. Die Ecken habe ich immer angetäuscht, dann in den Rücken der Abwehr gespielt, und der Ball war drin. Danach durfte ich runter.

Interview: Holger Liebs

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