Süddeutsche Zeitung

Siri Hustvedt im Interview:"New York ist das echte Amerika"

Lesezeit: 2 min

Nach Trumps Sieg diskutiert Amerika über die weiße Arbeiterschicht. Hat die intellektuelle Elite sie zu lange ignoriert? Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt.

Von Kathleen Hildebrand

Wer eine berühmte Schriftstellerin interviewen will, liest wochenlang nichts anderes als ihre Texte. Romane in Siri Hustvedts Fall, aber auch Dutzende Essays über Männer, Frauen, Kunst. Es war schnell entschieden: Mit Siri Hustvedt muss man über Frauen reden. Sie hat genauso oft aus weiblicher wie aus männlicher Perspektive geschrieben. Ihr jüngster Roman, "Die gleißende Welt", handelt von einer alternden Künstlerin, die sich aufgrund ihres Geschlechts nicht ernst genommen fühlt. Und: Siri Hustvedt ist mit dem ebenfalls sehr berühmten Schriftsteller Paul Auster verheiratet, neben dem man es erstmal schaffen muss, wahrgenommen zu werden.

Aber dann platzt diese Wahl in die Vorbereitung. Donald Trump - kann man da mit einer politisch denkenden amerikanischen Intellektuellen über irgendetwas anderes sprechen? Ob es okay sei, wenn man im Interview mit ihr über die Lage des Planeten reden wolle, fragt man sie also am Abend vor dem Interview, auf dem Empfang nach ihrer ersten Tübinger Poetik-Vorlesung, für die Hustvedt gerade in Deutschland ist. Sie sagt: "Ich glaube, das müssen wir", und erzählt von der Demonstration in Washington, zu der sie und ihre Familie fahren werden: Am Tag nach Donald Trumps Vereidigung im Januar wollen tausende Frauen dort für ihre Rechte demonstrieren.

Siri Hustvedt kennt die Ansichten und Gefühle der Amerikaner vom Land

Siri Hustvedt gehört zu genau jener linksliberalen New Yorker Elite, die sich seit der Wahl fragt: Wie konnten wir diese Stimmung übersehen? Sind wir zu weit weg vom "echten Amerika"? Haben wir die "white working class" ignoriert? Andererseits: Siri Hustvedt ist in Minnesota aufgewachsen, einem US-Bundesstaat, der nur extrem knapp die Demokratin Hillary Clinton gewählt hat. Sie kennt die Ansichten und Gefühle der Amerikaner vom Land.

Die gerade aktuelle Selbstkasteiung der Intellektuellen ist jedenfalls nicht Siri Hustvedts Sache. Sie sagt: "Ich finde, New York ist das echte Amerika. 40 Prozent der New Yorker sind in einem anderen Land geboren. Die Stadt repräsentiert, was ich für das Beste an Amerika halte: Inklusion und Diversität."

Was aber macht man nun mit der Erkenntnis, dass Millionen amerikanischer Wähler aus Regionen jenseits der großen Städte sich für einen Präsidenten entschieden haben, der etwas ganz anderes repräsentiert? "Wir müssen rassistische und misogyne Haltungen nicht deshalb anerkennen, weil Leute sie eben haben." Und dann erzählt Siri Hustvedt die Geschichte ihrer Großmutter, die sie geliebt hat, der sie aber durchaus zugetraut hätte, Donald Trump zu wählen. "Ich will meine Großmutter nicht als Monster darstellen. Sie hatte merkwürdige Ansichten und hat doch trotz ihrer Vorurteile gelernt, meinen jüdischen Ehemann zu lieben."

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