Süddeutsche Zeitung

Sinnlos im Universum:"Wir fliegen ins All, um bessere Autos zu bauen. Das kann es nicht sein."

Früher, ja früher, da hatten die Kosmonauten einen Colt dabei, wenn sie ihr Gefährt verließen. Man wusste ja nie, wen man antreffen würde. Heute wird man kaum mehr als Hausmeister-Utensilien bei ihnen finden. Ein Interview mit dem Schriftsteller Hans-Arthur Marsirske zur Zukunft der Raumfahrt.

Das Space Shuttle treibt als Flickenteppich durchs All, die bemannte Raumfahrt ist auf den Hund gekommen. Höchste Zeit, mit einem kosmischen Enthusiasten über die Zukunft des Menschen im All zu sprechen. Hans-Arthur Marsiske, Soziologe, Wirtschaftshistoriker, Autor und Journalist, veröffentlichte vor kurzem unter dem Titel "Heimat Weltall. Wohin soll die Raumfahrt führen?" (edition suhrkamp) eine Kulturgeschichte der Weltraumfahrt und ihrer Visionen.

SZ: Herr Marsiske, in ihrem Newsletter erklärte die Nasa vor kurzem, dass man mit nanomolekularer Technik bald Türme ins Weltall bauen könnte. Am selben Tag zeigten die Nachrichten, wie die Nasa mit dem Space Shuttle an Kacheln und Schaumstoff scheitert. Gibt es nicht ein groteskes Missverhältnis zwischen dem Zustand der Raumfahrt und den Visionen, mit denen sie angegangen wurde?

Marsiske: Und wie. Spätestens mit dem Absturz der Columbia dürfte dem Letzten klargeworden sein, dass es so nicht weitergeht. Alles wird beschämend halbherzig betrieben. Keiner traut sich zu sagen: Wir geben das Projekt der Raumfahrt auf. Andererseits weiß auch keiner, wo es hingehen soll mit uns im All. Also wurschtelt man weiter, bastelt eine Raumstation, die als Forschungslabor deklariert wird, das den Menschen auf der Erde nützen soll. Wir fliegen also heute ins All, um hier unten bessere Autos zu bauen. Das kann es nicht sein.

SZ: Warum zeigte die Nasa so wenig Entschlossenheit, das veraltete Shuttle zu ersetzen?

Marsiske: Es gibt kein klares Ziel. Will man zum Mars? Zum Mond? Zu anderen Sternen? Bob Zubrin, der Präsident der Mars Society, die versucht, mit privaten Geldern eine bemannte Mission zum Mars hinzukriegen, sagte einmal, es gebe zwei Modi, wie man Raumfahrt betreiben könne: Den Apollo-Modus und den Shuttle-Modus. Beim Apollo-Modus wird ein Ziel gesetzt und man schaut, wie man es erreicht. Beim Shuttle-Modus gibt es ein Budget und man kann Anträge stellen, Gremien bilden und diskutieren. Insofern ist die Raumfahrt ein Abbild unserer Politik, die sich auf buchhalterische Gelderverwaltung beschränkt.

SZ: George W. Bush hat mit seinem Versprechen, zum Mars zu fliegen, wieder utopische Würze reingebracht. Er hat seine Marspläne im Wahlkampf verkündet. Können Sie sich vorstellen, dass ein deutscher Politiker sich mit Weltraumprojekten zur Wahl profilieren würde?

Marsiske: Nein. Die sind durch die Bank dagegen. Das Problem an der Raumforschung ist natürlich, dass man in riesigen Zyklen denken muss. Wir haben diesen endlosen Weltraum und hier unten ist alle paar Monate Landtagswahl. Für eine vernünftige Weltraumpolitik bräuchte man 30-Jahres-Zyklen. 1992 lief in den USA nach siebenjähriger Vorbereitung das Seti-Programm an, das nach außerirdischer Intelligenz suchen sollte. Ein Jahr später brachte ein Senator ein Gesetz durch, das die staatliche Finanzierung verbot, weil noch nichts gefunden wurde. Bis dahin waren nicht mal 0,1 Prozent der geplanten Beobachtungen durchgeführt worden. Die Arbeitsgruppe schrieb, das sei, als hätte Isabella Columbus zurückgerufen, als sich seine Schiffe noch in Sichtweise der spanischen Küste befanden.

SZ: In Ihrem Buch "Heimat Weltall" schreiben Sie, dass die Weltraumfahrt eine antikopernikanische Wende bewirkt habe. Wie meinen Sie das?

Marsiske: Ausgerechnet die Technologie, die es uns erlaubt, unseren Planeten zu verlassen, stellt ihn in den Mittelpunkt wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Apollos Bilder von der Erde waren eine größere Errungenschaft als die Mondlandung selbst.

SZ: Wieso das denn?

Marsiske: Zum ersten Mal sinnlich wahrzunehmen, wie begrenzt und klein diese Kugel in dem schwarzen Raum schwebt und wie dünn die Atmosphäre ist... Das waren vorher abstrakte Erkenntnisse. Diese Bilder haben ein Innehalten bewirkt. Die Umweltschutzbewegungen sind erst richtig in Gang gekommen. Kurz nach den Apollo-Flügen legte der Club of Rome seinen Bericht über die Grenzen des Wachstums vor, Greenpeace wurde gegründet, James Lovelock formulierte seine Gaia-Hypothese von der Erde als Organismus...

SZ: Michael Collins, Pilot des Apollo-11-Mutterschiffes, sagte später, Apollo sei "wahrscheinlich die einzige größere menschliche Expedition gewesen, bei der keine Waffen mitgeführt wurden."

Marsiske: Bei Apollo stimmt das auch. Aber Alexej Leonow hatte eine Pistole an Bord der Woschod. Leonow war der erste Weltraumspaziergänger, aber die Pistole hatte er nicht im All dabei. Die Amerikaner sind im Wasser gelandet, die Russen aber auf dem Festland. Leonow wollte sich gegen Wölfe schützen, falls sie in der Taiga warten müssten.

SZ: Wenn man in den Nachrichten hört, dass das Shuttle an die ISS andockt, klingt das nach tadelloser Zusammenarbeit. Gibt es denn im Weltall keine interkulturellen Missverständnisse?

Marsiske: Nicht zwischen Amerikanern und Russen. Allerdings kriegen die Russen solche Verwerfungen ganz allein hin: Als Svetlana Saitskaja auf der Saljut 7 ankam, begrüßten sie die Männer mit Blumen und einer Schürze und sagten, sie solle jetzt bitte Essen kochen.

SZ: Was wären die wichtigsten Eigenschaften eines zukünftigen Astronauten?

Marsiske: Dieselben wie heute: Mitgefühl, Verständnis und die Fähigkeit zu kommunizieren. Anatoli Beresowoj sagte nach seinen 211 Tagen auf der Saljut-7 es gehe da oben darum, "unendlich geduldig zu sein". Das gilt für alle größeren Raumexpeditionen noch vielmehr. Der Flug zum Mars hat ja nur Sinn, wenn wir da bleiben wollen. So wie bei Apollo, also hochfliegen, Fußspuren knipsen und zurück, das wird es nicht nochmal geben. Die Marsmission wird es nur geben mit permanenter Besiedlung.

SZ: In den Sechzigern plante man die Menschen wie Maschinen ein. Sie schreiben von einer Akzentverschiebung hin zum Menschen in allen Planungsebenen.

Marsiske: Bei Apollo mussten die Astronauten nur funktionieren. Bei längerfristigen Aufenthalten im All aber reicht das nicht mehr. Die Japaner wollen in ihrem Modul einen Teeraum einrichten, einen Ort der Ruhe, in den man sich zurückziehen kann. Die haben extra Tokioter Kunststudenten damit beauftragt, die Teezeremonie für die Schwerelosigkeit neu zu definieren. Man kann sich ja weder hinknien noch den Tee in Tassen füllen. Das muss man dreidimensional anders gestalten.

SZ: Bis zu Ridley Scotts "Alien" von 1979 glichen die Kosmonauten aseptischen Laboranten oder Militärs. Bei Scott aber waren sie Malocher in einer Art fliegender Fabrik unterwegs, alles ist runtergewohnt und dreckig.

Marsiske: Das macht - abgesehen von dem tollen Monster - den größten Reiz des Filmes aus. Ridley Scott war da den Nasa-Planern vielleicht voraus.

SZ: Wieviel hat die Weltraumfahrt überhaupt literarischen und filmischen Utopien zu verdanken?

Marsiske: Unendlich viel. Arthur C. Clarke ist Gründungsmitglied der International Astronautical Federation. Der 36000 Kilometer hohe Turm ins All, den Sie eingangs erwähnten, stammt aus Clarkes "Fahrstuhl zu den Sternen" von 1979. Clarke sagte damals auf die Frage, wann die Idee realisiert werden würde: Wahrscheinlich 50 Jahre, nachdem alle aufgehört haben zu lachen.

SZ: Umgekehrt gibt es Wissenschaftler und Astronauten, die sich an Science-Fiction-Literatur versucht haben.

Marsiske: "Das Marsprojekt", das Wernher von Braun in amerikanischer Kriegsgefangenschaft schrieb, soll unterirdisch sein, was den Plot betrifft und die Figuren. Aber er hat da schon 1947 genau beschrieben, wie man das machen könnte mit der Marslandung.

SZ: Seti sucht inzwischen mit privaten Geldern weiter nach außerirdischer Intelligenz. Wie müsste die erste Botschaft an die fremden Zivilisationen lauten?

Marsiske: Es gibt uns. Wir sind da. Und danach: Wir sind friedlich. Aber wie teilt man das mit? Wenn ein Hund mit dem Schwanz wedelt, freut er sich. Eine Katze aber denkt: Achtung, Angriff! Wie will man das im interstellaren Dialog hinkriegen? Das zweite Problem ist natürlich, dass zwischen Frage und Antwort 5000 Jahre vergehen würden.

Interview: Alex Rühle

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SZ v. 02.08.2005
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