Süddeutsche Zeitung

Singer-Songwriter:Das Spiel seines Lebens

Julian Pollina prangert die Lebenslügen der Generation Youporn an, das macht ihn zu einem der wichtigsten Schweizer Pop-Exporteure

Von Michael Zirnstein

Der Punk schlappt heran in Slippern und Wollmantel, die Ray-Ban-Sonnenbrille hat er in die Wuschelfrisur geschoben. An der Hand baumelt eine Louis-Vuitton-Reisetasche. Wenn man als Münchner dem Züricher Musiker Julian Pollina alias Faber begegnet, hat man eine Ahnung, wie man selbst in weniger feinen Gegenden angeschaut wird: als Schnösel. Dass er sagt: "Ich mag München. Ist hübsch. Was man sonst über deutsche Städte nicht sagen kann", macht ihn erst mal nicht sympathischer. So was, denkt man, kann nur einer aus der Schweiz sagen, wo es überall hübsch ist. Und so einer soll sich darüber aufregen dürfen im Song "Jung und dumm", dass Zürich nicht mehr "brennt"? Und sponti-romantisch flirten: "Ich würd' gerne Immobilienhaie fischen aus dem Zürichsee mit dir, doch diese Wichser entwischen mir."

Hat dieser Faber, derzeit zusammen mit seiner gelegentlichen Bühnenpartnerin Sophie Hunger der Top-Exporteur Schweizer Liedguts, eigentlich wirklich Probleme? Er wohne zusammen mit zwei Freunden in Zürich, sagt er, "kein Balkon, kein Aufzug, mega-hässlich, wir haben uns ein Fenster gemalt, weil wir so wenige haben, dafür ist es sehr teuer - eine Wohnung ohne Vorteile". Gut, er hat es also auch nicht leicht. Aber die Sache mit dem Modefimmel muss er noch erklären.

Etwa dass er, der Sohn des politischen Liedermachers Pippo Pollina, auf der Bühne im "Gucci-Anzug von '96 mit Schweißflecken" den Styler und Zampano gibt. "Es ist witzig, ein Spiel", sagt er, "in Kreisen, in denen ich mich bewege, giltst du als Arschloch, wenn du so etwas trägst - aber darum mache ich das: um die Oberflächlichkeit zu entlarven. Man triggert die Leute schnell, gerade mit einer Louis-Vuitton-Tasche." Die sei übrigens "original gefälscht in den Achtzigern, da hat man die noch in Marokko gefertigt, und der Maghreb ist bekannt für sein gutes Leder, die hält besser als ein Original", doziert er - was prima zum luxus-kritischen Nachhaltigkeitsgebot im Stück "Top" passt: "Und in Dakar brennen Fabriken nieder / Woher kommen meine neuen Sneaker? / Wenn ich trage, was der Teufel trägt / Wird das dann auch in der Hölle genäht?"

In so einem Lied kommt bei Faber allerhand zusammen. Der 26-Jährige kotzt auf seinem zweiten Album "I Fucking Love My Life" alles aus, was ihn an seiner "Generation Youporn" und auch sonst nervt; er haut es rau-lippig raus wie AnnenMayKantereit, aber rotziger, weniger luschig, "Akustik-Punk für Mädchen" hat er das einmal selbstironisch genannt. Da geht es oft in frivolen Zeilen um ein gestörtes Sexualverhalten. Zum Beispiel: "Ich schau dich an und du siehst top aus / Baby, schau mich an und zieh dein Top aus / Mach's wie mit einem Lollipop / Dann kauf' ich dir was Schönes bei Topshop." Vielen ist das zu derb, andere verstehen ihn falsch, kapieren seine Rollenprosa nicht. Generell ein Problem des Pop, findet der einstige Musik-Abiturient: "Du denkst doch auch nicht, Johnny Depp ist ein Pirat, nur weil er Jack Sparrow spielt. Wahrscheinlich ist Pop noch zu wenig Kunst, als dass die Leute geschärft sind, dass Texte etwas anderes bedeuten können."

Neulich musste sich Faber selbst korrigieren. Und das lag nicht unbedingt an dem Empörungs-Tsunami, den sein düster grollender Song "Das Boot ist voll" ausgelöst hatte. Seine Wut über Wutbürger hatte ihm die Zeile diktiert: "Besorgter Bürger, ich besorg's dir auch gleich / Geh auf die Knie, wenn ich dir meinen Schwanz zeig / nimm ihn in deinen Volksmund, blond, blöd, blau und rein." Er überspielte das nachträglich in: "Besorgter Bürger, wenn sich 2019 '33 wieder einschleicht / Wenn Menschlichkeit und Verstand deiner Wut weicht ..." Dass man ihm Vergewaltigungsfantasien vorwarf, störte ihn wenig ("das sagt man halt so metaphorisch"), vielmehr aber musste er sich eingestehen, dass die krasse Wortwahl von der eigentlich viel krasseren Aussage des Stückes ablenke (das ihm überdies Morddrohungen einbrachte).

Er leiert darin all die menschenverachtenden Lügen der selbsternannten "besorgten Bürger" herunter, von den schönen Autobahnen Hitlers, dass man "das" mit den Juden "erst noch beweisen" müsse, von der Lügenpresse, und dass das Boot Deutschland eben voll sei mit Flüchtlingen. Auslöser für das Stück waren konkret Horst Seehofers belustigte Feststellung, dass just an seinem 69. Geburtstag 69 Flüchtlinge abgeschoben werden sollten, und allgemein "das Grundentsetzen darüber, dass es auf die Frage, ob man ertrinkende Menschen retten soll, zwei mögliche Antworten gibt". Bei all seinen Rollenwechseln in dem Spiel der Gegenwart, in dem "irgendwie alles fake, irgendwie alles echt" sei, lässt Faber da nur eine einzige Position gelten: "Ja."

Faber, So. und Mo., 3. und 4. November, Milla

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SZ vom 02.11.2019
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