Damit aber steht die Online-Petition in der Tradition der "mag ich"-"mag ich nicht"-Reflexe, die soziale Netzwerke wie Facebook ihren Nutzern entlocken, um möglichst umfassende Meinungsbilder ihrer Nutzer an Werbekunden zu liefern. Die angebliche Mausklick-Demokratie ist deswegen kein Ausdruck eines politischen Willens, sondern Abbild momentaner Launen.
Manche Laune kann im Rahmen der digitalen Schneeballsysteme zu einem "Shitstorm" anschwellen. Doch ein paar hunderttausend Petitionsklicker sind keine Bewegung, auch wenn die traditionellen Medien sich gerne verleiten lassen, Klickzahlen als relevantes Abbild einer Volksmeinung zu interpretieren.
Immerhin: Facebook hat in Deutschland mit 26 Millionen registrierten Nutzern schon mehr Mitglieder als die katholische Kirche. Doch schon bei Twitter reduziert sich die digitale Öffentlichkeit mit geschätzt einer Million Nutzern zur lautstarken Minderheit. Es macht es nur so einfach, weil Meinung vermeintlich messbar ist, und zwar ebenfalls mit wenigen Klicks.
So wird Politik zum passiven Konsum. Denn der Klick, egal ob mit Maus oder Fernbedienung, ist kein aktives Handeln, sondern Konsumentscheidung. Nun kann man die digitalen Medien aus dem eigenen Leben noch einfacher ausblenden als die Fernsehsender.
Und doch sind die Simulationen politischer Aktion im Netz ein Problem mit Folgen, die weit über den gegenseitigen Ärger über Markus Lanz und seine streitbaren Gegner hinausgehen. Wenn es darum geht, nicht nur Empörung zu zeigen, sondern echten Widerstand zu leisten, hat das Internet nämlich eine durchaus wichtige Rolle. In freiheitlichen Gesellschaften wie in autoritären Systemen kann es als Meinungsforum, als Mobilisierungswerkzeug und Mittel der Organisation wirken.
Es war vor allem der arabische Frühling, der gezeigt hat, welche Rolle das Netz spielen kann. Der tunesische Aktivist Sami Ben Gharbia hat beispielsweise ein sehr schlüssiges Modell entwickelt, wie Protest im digitalen Zeitalter funktionieren kann.
Impertinenz ist kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Im Idealfall ist das ein Zusammenspiel von Straße, Exil, Internet und traditionellen Medien, die gemeinsam eine Bewegung bilden können, die sehr viel wirksamer sein kann, als die traditionellen Aufstände - wie ja gerade das Beispiel Tunesien gezeigt hat.
Soziale Netzwerke wie Twitter, Enthüllungsplattformen wie Wikileaks und Blogs wie Ghabrias Webportal Nawaat bündeln Informationen und Aktion. Traditionelle Medien nehmen diese Fluten der Informationen auf, verifizieren, ordnen und speisen ihre Berichte und Analysen wieder zurück ins Netz.
Dort kann die Opposition sie wieder aufnehmen und nutzen. Wobei die direkte Aktion auf der Straße das wichtigste Element in diesem System der politischen Aktion bleibt.
In freiheitlichen Ländern wie denen Europas geht es aber nicht um Extreme. Markus Lanz Langeweile und Impertinenz sind auch keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch gerade deswegen ist die Entwertung der Politik durch die Passivität des politischen Klickens noch wirksamer. Lassen sich Aktion, Gemeinschaft und Willensbildung mittels einfacher Benutzeroberflächen simulieren, wird das die Energien breiter Schichten soweit ablenken, dass wirksame politische Aktion immer unwahrscheinlicher wird. Das entwertet auch die Kraft des Internets.