Casting-Agentin Simone Bär ist tot:Der perfekte Blick

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Englisch lernte sie erst, da stand Quentin Tarantino längst vor der Tür: die Casterin Simone Bär. (Foto: Sophia Balmes/dpa)

Sie entdeckte Daniel Brühl und besetzte Filme für Quentin Tarantino und Steven Spielberg: Die Castingdirektorin Simone Bär ist im Alter von 57 Jahren gestorben.

Von Tobias Kniebe

Dieser winzige Moment, in dem Sandra Hüller in der Theatergarderobe einmal ein Taschentuch herunterfiel - der konnte ein wunderschön verträumtes Lächeln der Erinnerung in Simone Bärs Gesicht zaubern. Da spürte man ganz unmittelbar, wie sehr sie ihren Beruf als Castingdirektorin liebte, welche Details sie sah, die anderen vielleicht verborgen blieben, und warum sie in ihrem Metier eine der Größten in Deutschland wurde.

An dieses Lächeln muss man denken bei der traurigen Nachricht, dass Simone Bär am Montag gestorben ist, viel zu früh mit 57 Jahren, an einer Krebserkrankung. In ihrem kleinen Büro im Berliner Westen entschieden sich Schauspielerschicksale, nahmen Weltkarrieren wie die von Daniel Brühl ihren Anfang, suchten internationale Starregisseure wie Quentin Tarantino, Wes Anderson, François Ozon und Stephen Daldry Rat, wenn ihre Geschichten in Deutschland spielten und nach deutschsprachigen Schauspielern verlangten. Auch bei Steven Spielbergs "War Horse" wirkte sie mit.

Sie fuhr quer durchs Land und fand auf einem winzigen Schwarz-Weiß-Foto die Lösung

Wobei besonders die Anekdote mit dem Taschentuch illustriert, wie schwierig Simone Bärs Arbeit oft war und mit welcher Leidenschaft sie nach Entdeckungen Ausschau hielt. Der Regisseur Hans-Christian Schmid hatte sie im Jahr 2005 auf die Suche geschickt für seinen Film "Requiem", in dem eine junge Frau in religiösen Wahn verfällt und glaubt, sie sei von Dämonen besessen. Unbekannt sollte die Darstellerin sein, ein frisches Gesicht von der Schauspielschule und vom Theater.

Nun traut man nicht jedem jungen Gesicht zu, dass es derart archaische Religiosität ausdrücken kann. Die Suche wurde schwierig, Bär fuhr quer durchs Land, wälzte Programmhefte. Und stieß schließlich auf ein winziges Schwarz-Weiß-Foto von Sandra Hüller, die gerade ihre ersten größeren Theaterrollen in Basel spielte und ganz und gar nicht ins Filmgeschäft drängte. Sie musste gebeten werden, ein Video einzuschicken, das dann aus wackligen Bildern einer Kinderaufführung und jenem Moment in der Garderobe bestand, in dem Hüller ein Taschentuch herunterfiel und sie spontan darauf regierte.

Hans-Christian Schmid gibt bis heute freimütig zu, dass er beim Sichten jenes Videos damals nicht sah, was Simone Bär längst schon entdeckt hatte. Was aber ja nur beweist, warum gute Casting-Agenten unverzichtbar sind. Jedenfalls ließt er Hüller vorsprechen und besetzte sie. Der gewaltige Eindruck, den sein neuer Star bei der Berlinale-Premiere von "Requiem" hinterließ, wurde der Beginn einer großen Film- und Fernsehkarriere.

Ein paar dieser Geschichten, die in Simone Bärs Büro begannen, sind im Lauf der Jahre bekannt geworden: Wie Daniel Brühl für den deutschen Scharfschützen in "Inglorious Basterds" vorsprach und Quentin Tarantino ganz gerührt reagierte - "gerade habe ich meinen Film vor mir gesehen". Oder das erste Treffen Tarantinos mit Christoph Waltz, für denselben Film, aus dem dann nicht nur ein himmlisches Match, sondern fast eine Bruderschaft wurde, die auch den Klassiker "Django Unchained" hervorbrachte.

Simone Bär hätte noch Hunderte dieser Geschichten erzählen können. Die Liste bekannter Schauspieler, die sie entdeckt hat, ist lang. "Sie hat mich gesehen, noch bevor ich wusste, dass es mich gibt", sagt etwa Vicky Krieps, die auch gerade eine Weltkarriere macht. Noch länger ist die Liste der Regisseure, die mit ihr arbeiten wollten - Wolfgang Becker, Christian Petzold, Sherry Hormann, Florian Henckel von Donnersmarck, Margarethe von Trotta und so fort. Für Fernsehserien wie "Babylon Berlin" und "Dark" war sie ebenso verantwortlich wie ganz aktuell für "Im Westen nichts Neues", den deutschen Oscar-Kandidaten.

Und doch, die meisten dieser Geschichten hat Simone Bär für sich behalten. Sie war eine Person, die das Rampenlicht ganz bewusst nicht suchte, wohl auch, um nicht ständig von Talentproben wildgewordener Jungschauspieler behelligt zu werden. Eine gewisse Widerständigkeit führte sie auf ihre Herkunft zurück, geboren wurde sie 1965 in Königs Wusterhausen in Brandenburg.

So kam es, dass sie Englisch erst lernte, als ihr Ruf schon um die Welt ging und Tarantino vor der Tür stand. Und es war auch der Grund, warum große Namen und Budgets nicht die geringste Rolle spielten, wenn sie von einer Besetzung nicht überzeugt war. Gerade damit gewann sie so manches Herz für immer. "Sie hat an beiden Enden gebrannt: für die Sache", sagt Sherry Hormann. "Ich werde sie in jedem Nacht-Tag-Sturz oder Segelflug in mir tragen, in ewiger Dankbarkeit", schreibt Vicky Krieps.

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