Die Plattenfirma hatte über Monate und bis zuletzt ein mittel-irres Gewese um "An Evening with Silk Sonic" gemacht, das gemeinsame Album von Bruno Mars und Anderson Paak: viele Sensations-Kollaborations-Superlative, Gigantentreffen-Huberei, Album-des-Jahres-Attitüde. Dazu ein Geheimhaltungs-Gehühner auf dem Niveau militärischer Angriffspläne auf befreundete Staaten. Das ist ein bisschen schade. So (!) gut ist das Album nämlich nicht. Was beileibe nicht heißt, dass es schlecht ist. Ist es nämlich nicht. Gar nicht. Wie gut man etwas am Ende findet, hängt ja nur leider auch damit zusammen, wie viel man am Anfang erwartet hat. Und man rechnete nach dem ganzen Buhei eben mindestens mit einem Heilmittel gegen Corona, der Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaerwärmungs-Zieles, Freibier, Überstundenausgleich und immerkleinen Katzenbabys für alle. Deshalb ein bisschen Erwartungsmanagement. Die Zusammenarbeit der beiden amerikanischen R'n'B-Superstars bringt all das: nicht. Stattdessen gibt es einfach ein extrem souveränes, ganz hüftlockeres und sehr geschmeidiges Funk-and-Soul-Album. Quirlige Drums, wunderbar federnde Grooves, flatternde Gitarren, strandwarme Spätsommer-Keyboards - und Bootsy Collins und Thundercat. Womit etwaige Fragen nach dem Bass auch geklärt wären. Dazu Chöre und Synthies wie liebevoll inszenierte Softpornos mit Gegenlichteinstellungen und viel Kuscheln vorher und nachher. Nicht mehr. Aber: auch nicht ein winziges Bisschen weniger.
Der Rammstein-Gitarrist Richard Zven Kruspe hat unter dem Namen Emigrate ein neues Soloalbum aufgenommen. "The Persistence Of Memory" (Emigrate Production / Sony Music Entertainment) ist sein viertes. Und es ist bestimmt auf irgendeiner Ebene ganz fantastisch und brillant (der Gitarren-Sound, der wie bei der Hauptband gleichzeitig industriell hart und klinisch exakt sein soll, aber diesmal leider ein bisschen nach matsch-wummsigem Home-Recording klingt, ist es nur eher nicht; und die Casio-Klingelingeling-Synthies auch nicht). Leider wird zumindest in Deutschland aber niemand je genau genug hinhören können, um etwaige musikalische Genialität zu erkennen. Man ist schlicht zu beschäftigt mit der Frage, warum - in Gottes Namen - jemand, der ein derart radebrechendes Englisch spricht (und singt!), Englisch sprechen (oder singen! oder texten!!) will. Alles, wirklich absolut alles an diesem Album klingt, als würde ein humorvoller Ostküsten-Amerikaner die Wörter "Thüringer Bratwurst" über einen Walzer rappen wollen - nur eben von einem Deutschen.
Deshalb auch ein kleiner Nachtrag zur Frage, wie man mit übergroßen Song-Vorbildern umgehen sollte - und auch nur, weil der fantastische Dave Gahan ja gerade auch "Always On My Mind" gecovert hat, bekannt unter anderem durch Elvis, und zwar wirklich irritierend schön: So, wie Kruspe das zusammen mit dem Rammstein-Sänger Till Lindemann tut (also so, als würde ein humorloser Texaner die Wörter "Scharfe Spreewaldgurken" über einen fiebrigen Dancehall-Beat synkopieren wollen), könnte man es auch sehr gut lassen.
Man muss die Briten von Elbow natürlich lieben. Für die kerzenschummrige Festlichkeit ihrer Songs. Für ihren im Herzen großen, bezaubernd kleinen Kammermusikpop. Für die Peter-Gabriel-Haftigkeit von Sänger Guy Garvey. Die feinen Instrumentierungen. Die schlauen, zirkus-chaotischen Arrangements. Die kruden, aber am Ende doch immer wieder nach Hause tapernden Melodiebögen. Und dafür, dass sie eigentlich, ja eigentlich sogar Hymnen können. Ihr Song "One Day Like This" etwa lief in England oft und dann immer absolut passend, wenn olympischer Sport oder Fußballspiele aus der Premier League in Action-flirrenden Bildern zusammengefasst werden mussten. Feines Pathos, wenig Peinlichkeit. Toller Kunstgriff. Leider ist der Song inzwischen auch schon wieder 13 Jahre alt. Und seither hat sich die Band weit und immer noch weiter zurückgezogen auf ein etwas zielloses Mäandern. Zu viele Strophen, zu wenige Refrains. Das ist auch auf dem am Freitag erscheinenden Album "Flying Dream 1" (Polydor/Universal) nicht recht anders. Man treibt und flaniert und streunt, man täuscht an, schlägt Haken und dreht ein paar sehr bezaubernde Pirouetten. Alles sehr schön. Nur ein richtig, richtig guter Song (zumindest im Sinne von Hit) will dabei nicht gelingen.
Was ja gerade vielleicht auch gar nicht unbedingt nötig ist - zumindest wenn man sich die aktuellen deutschen Album-Charts ansieht. Das Comeback-Wunderwerk "Voyage" von Abba bricht da gerade jede Menge Rekorde: 200 000 Mal hat sich das Album laut GfK Entertainment in der ersten Woche verkauft - öfter als die restlichen Top 100 zusammengerechnet. Platz zwei: Helene Fischer. Platz drei: Die Toten Hosen - mit der Sonderedition einer 30 Jahre alten Platte. "Learning English Lesson 1" heißt die übrigens. Das aber nur am Rande.