"Silence Breakers" im Kino:"Jetzt soll ich ein Verräter sein?"

"Silence Breakers" im Kino: Die "Silence Breakers" zeigen auch in Hebron Präsenz, der größten Stadt des besetzten Westjordanlands.

Die "Silence Breakers" zeigen auch in Hebron Präsenz, der größten Stadt des besetzten Westjordanlands.

(Foto: Realfiction)

Der Dokumentarfilm "Silence Breakers" gibt israelischen Soldaten eine Stimme, die sich für ihre Taten in der Armee schämen.

Von Peter Münch

"Erst war ich ruhig, dann wurde ich gewalttätig", sagt eine junge Frau. Sie habe Gefangene "behandelt wie Tiere." Die Kamera ist starr auf sie gerichtet, man sieht, wie sie im Innern kämpft, wie sie um Worte ringt, um zu beschreiben, was sie getan hat als Soldatin bei der israelischen Armee. Wie sie Palästinenser an ihrem Einsatzort in Hebron verhaftet, geohrfeigt, getreten, beschimpft hat. "Auf diesem Posten habe ich mich sehr verändert", sagt sie. "Es ist schwer, mir selbst einzugestehen, was ich getan habe."

Die Aussage dieser jungen Frau ist Teil des Dokumentarfilms "Silence Breakers", der die Arbeit der israelischen NGO "Breaking the Silence" schildert. Es ist eine schwierige, schmerzvolle Arbeit, denn die Aktivisten der bereits 2004 gegründeten Organisation richten ihre Scheinwerfer auf finstere Ecken ihres Landes. Sie sammeln Zeugenaussagen ehemaliger Soldaten, die ihr Schweigen brechen und als Whistleblower Auskunft geben über Armeegewalt in den besetzten palästinensischen Gebieten. Sie wollen zeigen, wie die seit 55 Jahren andauernde Besatzung die jungen Wehrpflichtigen, die Armee und die ganze Gesellschaft vergiftet.

Die Filmemacherin Silvina Landsmann, 56, die in Buenos Aires aufgewachsen und als Kind mit ihren Eltern nach Israel eingewandert ist, hat die Arbeit der Aktivisten über mehrere Monate begleitet. Sie ist mit ihnen nach Hebron gefahren, in die größte Stadt des besetzten Westjordanlands. Sie war in palästinensischen Dörfern dabei, deren Bewohner der Gewalt von Siedlern ausgesetzt sind. Und auch in der Zentrale der NGO in Tel Aviv hat sie die internen Debatten verfolgt. Mit ihrer Kamera war sie stets ganz nah dran - es ist pures Erleben, ohne Erklärungen, ohne Kommentierung.

"Ich will nicht meine Meinung sagen, ich will nur verstehen", sagt Landsmann bei einem Treffen in Tel Aviv über die Arbeit an diesem Film. Fünf Jahre insgesamt hat sie daran gesessen, mehr als 450 Stunden Rohmaterial galt es zu sichten und zu schneiden. "Ich habe meine Protagonisten jeden Tag begleitet, ohne zu wissen, was für ein Film das wird", erklärt sie. "Mal ist gar nichts passiert, mal war es großes Drama."

Der Film, so sagt sie, soll ein "Fenster" sein, durch das man hineinblickt in Israels komplexe Wirklichkeit. Man sieht dabei nicht nur die Arbeit der Aktivisten, man sieht auch, wie die Gesellschaft auf diese Arbeit reagiert. Kurzum: Man sieht ein zerrissenes Land.

"In diesem System kann kein Soldat mehr das Richtige tun", sagt ein Aktivist

Gezeigt wird, wie ein Mitglied von "Breaking the Silence" eine Besuchergruppe durch Hebron führt und dabei von Siedlern attackiert wird. "Du verdienst eine ordentliche Tracht Prügel", rufen sie. "Verschwinde, du Schwanzlutscher." Nicht weniger turbulent ist es in Tel Aviv, wo die Aktivisten Flyer verteilen und als "Arschlöcher" beschimpft werden. Und auch in Fernsehstudios oder bei eine Diskussion im israelischen Parlament geht es nicht viel gesitteter und keinesfalls freundlicher zu: "Verräter" werden die Aktivisten genannt, die das Schweigen gebrochen haben.

In diesen Debatten, in diesem Streit, in diesen Anfeindungen wirft der Film die Frage auf, was es heute bedeutet, Soldat zu sein in Israel. Mit 18 Jahren muss jeder zur Armee, die jungen Männer für knapp drei, die Frauen für zwei Jahre. Fast alle sehen das als patriotische Pflicht. Schließlich ist Israel von Feinden umzingelt und muss sich verteidigen können. So ist wohl auch jeder, der hinterher zu "Breaking the Silence" geht, als Patriot zur Armee gekommen.

Und aus Patriotismus, aus Sorge ums eigene Land, hat er hinterher Zeugnis abgelegt über das, was aus den israelischen Verteidigungsstreitkräften werden kann, wenn die Soldaten als Besatzer im Einsatz sind. "Wir wollen nicht die Armee an sich kritisieren", sagt einer der Aktivisten im Film. "Aber in diesem System kann kein Soldat mehr das Richtige tun."

Das empfindet gewiss nicht jeder so. Die einen pflegen nach dem Armeedienst ihre Netzwerke und die alte Kameradschaft. Die anderen fahren nach Indien zum Kiffen und Vergessen. Und ein paar - im Durchschnitt 50 bis 100 pro Jahr - melden sich bei "Breaking the Silence". Wer will, kann anonym bleiben. Doch wer sich öffentlich erklärt, der zahlt persönlich einen hohen Preis.

"Wenn dich einer als Lügner beschimpft, dann kannst du diskutieren", sagt Avner Gvaryahu bei einem Treffen im Café. "Aber wenn sie dich Verräter nennen, dann wollen sie dich delegitimieren, wollen dich auslöschen." Seit zwölf Jahren schon arbeitet Gvaryahu für "Breaking the Silence", seit 2017 ist er dort Direktor - und nichts schmerzt ihn bis heute mehr als dieser Vorwurf des Verrats. "Ich war Soldat, ich habe mein Leben riskiert", sagt er. "Und jetzt soll ich ein Verräter sein?"

Der Film, so sagt er, thematisiere mehr als nur das Wirken und das Schicksal seiner Organisation: "Der Versuch, uns zum Schweigen zu bringen, ist nur ein Symbol dafür, was Israels Rechte vorhat." Die Anfeindungen würden jeden treffen, der ein Licht auf die Besatzung richte. Landsmanns Dokumentation sei "definitiv kein PR-Film über ,Breaking the Silence'", sagt er. "Es ist ein ehrlicher Film."

In Israel hatte der Film im vorigen Sommer auf dem Docaviv-Festival Premiere, Anfang April soll er im Fernsehen laufen. "Kann sein, dass es danach ein paar neue Angriffe gegen uns gibt", sagt Avner Gvaryahu. Auch Silvina Landsmann will das nicht ausschließen. Doch sie hofft vor allem, dass ihr Film dazu führt, die Menschen ins Gespräch zu bringen. "Natürlich wünsche ich mir, dass jeder den Film mag", sagt sie. "Aber auch, wenn die Leute hinterher sehr wütend sind, dann zeigt das, dass er sie berührt hat."

The Good Soldier, Israel/D/F 2021 - Regie und Buch: Silvina Landsmann. Schnitt: Tal Shefi. Verleih: Real Fiction, 87 Minuten. Kinostart: 24. 03. 2022.

Zur SZ-Startseite

Neu in Kino & Streaming
:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Ein Krankenwagen wird bei Actionjunkie Michael Bay zum Fluchtfahrzeug und ein Junggesellinnen-Abschied auf Ibiza nimmt unerwartete Wendungen. Die Starts der Woche in Kürze.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: