80. Geburtstag von Sigrid Löffler:Die österreichische Form von Anerkennung

80. Geburtstag von Sigrid Löffler: "Literaturkritik muss auch Nein sagen können": Die Kritikerin Sigrid Löffler wurde am 26. Juni 1942 in Ústí nad Labem geboren.

"Literaturkritik muss auch Nein sagen können": Die Kritikerin Sigrid Löffler wurde am 26. Juni 1942 in Ústí nad Labem geboren.

(Foto: Eventpress Hoensch/picture alliance)

Sie hat die Männerrunden ihrer Zeit mit coolem Ernst hinter sich gelassen und war ihnen als kosmopolitische Leserin weit voraus: Zum 80. Geburtstag der Literaturkritikerin Sigrid Löffler.

Von Marie Schmidt

Seit es die ersten Folgen des "Literarischen Quartetts" auf Youtube gibt, kann es passieren, dass sich jüngere, zu spät für dieses Fernsehereignis geborene Kulturkritikerinnen Links zuschicken. Betreffzeile "WTF". Die abgründige Humorlosigkeit der männlichen Kritikerpäpste, die da zu sehen sind, der bis in die Sitzordnung hinein manifeste Autoritarismus, das Auftrumpfen, die Urteilspanik: Noch vor allen literaturkritischen Überlegungen kann man es nicht fassen, dass vor so kurzer Zeit Menschen noch so miteinander geredet haben. Und das zur Unterhaltung! Inmitten dieser Eishölle aber sitzt Sigrid Löffler.

Sie ist die Intellektuelle der Runde, kennt neben dem Kanon der Nachkriegszeit die Weltliteraturen, hat Zugang zu neuen Ästhetiken, spricht über Elfriede Jelinek, Paul Auster, Michel Houellebecq, gerät unversehens in die Rolle der Spielverderberin unter den polemisierenden, mit den Zeigefingern pointierenden Männern und kommt bei alldem nicht einmal aus der Ruhe.

Man empfindet, wenn man das sieht, tiefe Dankbarkeit, wie häufig für die Kämpfe, die frühere Generationen ausgefochten haben: Ohne sie wäre unsere heutige Sensibilität für toxische Gesprächsstile und Geschlechtergerechtigkeit auch nicht möglich geworden. Vielleicht, mag man bei diesen Videos denken, hat Sigrid Löffler neben literarischen Analysen, die Bestand haben, der Emanzipation einen besonderen Gefallen getan: Nie gibt sie im frühen "Literarischen Quartett" dem ja meist Mädchen anerzogenen Drang nach, eine Situation durch Lächeln oder Lachen zu entschärfen. Unter den modisch breiten Schultern der Eighties, die selten so plausibel wirkten, wie als Schutzkleidung für diese Sendung, bewahrt sie die Spannung ihres coolen Ernsts. Wobei man sieht, wie sie sich untergründig amüsiert über die Kollegen Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek.

In den Zeitungsarchiven schlummern, hoffentlich für immer vergessen, die misogynen Attribute, mit denen eine solche Haltung offenbar noch in den Neunzigerjahren beschrieben werden konnte. Und obwohl sie heute die Heldin dieser Geschichte ist, ging es am Ende nicht gut aus. Die Szene, in der sich Sigrid Löffler mit Reich-Ranicki über einen Haruki-Murakami-Roman zerstreitet, gehört zu den bekanntesten der deutschen Fernsehgeschichte. Geistesgegenwärtig trennte sie noch in der Sendung Literaturkritik von persönlichen Herabwürdigungen und verließ im Jahr 2000 nach zwölf Jahren das "Literarischen Quartett".

Bevor sie Fernsehkritikerin wurde, hatte sie allerdings schon eine Journalistenkarriere hinter sich. 1942 in Aussig, dem heutigen Ústí nad Labem, geboren, wuchs sie in Wien auf. Der Vater Lehrer, die Mutter Hausfrau, das Milieu beschrieb sie später als kleinbürgerlich kulturbeflissen und erzählte vom frühen Hunger nach Musik, Theater, Büchern. Zur Lehrerin eignete sie sich dann nicht, trat in den Sechzigern in die Redaktion der österreichischen Presse ein, Ressort Außenpolitik. Den Prager Frühling, den Nordirlandkonflikt hat sie als Reporterin gesehen.

Danach war sie 21 Jahre lang, zwischen 1972 und 1993, Redakteurin der Zeitschrift Profil, wo irgendwann die 18-jährige Berufsanfängerin Eva Menasse auftauchte, die sich später in einem Interview mit dem Tagesspiegel erinnerte: "Und erst die Redaktionskonferenzen! Ich stand vor Schüchternheit erstarrt in der Tür, da saßen all die schwer rauchenden, wichtigen Männer, und mittendrin Sigrid Löffler."

Mit "Literaturen" begann das neue Jahrtausend der Literaturkritik

Dort und als Jurorin des Berliner Theatertreffens wurde sie zur Kulturkritikerin. In einer Sammlung ihrer "Kritiken, Portraits, Glossen", die 1995 als Buch erschienen, sagt sie einleitend, als weiblicher Kritiker in Österreich sei man so gut wie unsichtbar gewesen: "Was man schreibt, wird nicht zur Kenntnis genommen, aber herumgetratscht und damit bekannt gemacht. Vom Wegschauen gekannt zu werden - die österreichische Form von Anerkennung." Ihr Schlagwort von der "Verhaiderung Österreichs" hat man ihr aber auch nicht leicht verziehen. 1993 wurde ihr bei Profil gekündigt.

Im Spott gegen das leutselig Reaktionäre hat Sigrid Löffler immer wieder besonders geglänzt. Legendär ist ihr Takedown zum Büchnerpreis an Martin Mosebach 2007: "Seit das Feuilleton aus dem Denkerstübchen in den bürgerlichen Salon umgezogen ist und es sich dort biedermeierlich bequem macht, sind auch Mosebachs antimoderne Affekte salonfähig geworden. Seine Bewunderer erblicken darin die gefällige Darstellung dessen, was sie für bürgerliche Werte von einst halten." Die Milieukritik wäre schwach geblieben, hätte sie sich nicht auf Sprachkritik bezogen: "Hinzu kam, dass Mosebach darauf bestand, das Sofa und den Elefanten konsequent mit ph zu schreiben."

So gegen die dominante Kritikerwelt konnte sie sich nur in ihrer eigenen Zeitschrift stellen. Nach einem Intermezzo als Feuilletonchefin der Zeit, das 1999 nach nur drei Jahren endete, gründete Sigrid Löffler im Jahr 2000 zusammen mit Hanna Leitgeb und Jan Bürger Literaturen: Ein Magazin über Bücher, der Plural des Namens sollte Programm sein, man suchte einen "Stil kritischen Denkens", der mit den "Vernetzungen und Durchlässigkeiten der heutigen Welt" zu tun habe. So begann das neue Jahrtausend in der Literaturkritik.

"Literaturkritik ist etwas anderes als journalistische Dienstleistung."

Näher ist die deutsche Medienlandschaft dem idealisierten Vorbild einer New York Review of Books nie gekommen: In Literaturen schrieben, neben ausgewählten Kritikern, W. G. Sebald, Homi K. Bhabha, Susan Sontag - unter anderen. Werner Hamacher schrieb über Gilles Deleuze, Gisela von Wysocki über Marguerite Duras, aber eben auch Moritz Rinke über das Kaffee Burger und Josef Haslinger über Österreich. Da materialisierte sich ein kosmopolitischer Kulturbegriff, der so entsetzlich selten ist in der deutschsprachigen Welt.

Die Literatur der Sprachwechsel und der Migration erklärte Sigrid Löffler in einem Buch von 2014 dann auch zur "neuen Weltliteratur" - und bekam es mit enttäuschten Lesern zu tun, die lieber einen neuen Kanon vorgeschrieben bekommen hätten. Heute würde man Sigrid Löfflers Argument vielleicht besser verstehen, weil mit der postkolonialen Theorie auch Begrifflichkeiten wie "Hybridität" oder "von den Rändern erzählen" popularisiert worden sind. Wenn sich in der Debatte darum nicht wieder ganz andere Fronten verhärtet hätten.

Stur in der Sache wirkte Sigrid Löffler nie, änderte ihre Meinung, wenn sich die Zeiten ändern. Zum Beispiel über Peter Handke, den sie noch verteidigte, als es gegen seine Auszeichnung mit dem Heinrich-Heine-Preis 2006 Proteste gab - unter Dreingabe ihrer eigenen Position als Jurorin.

Groß waren die Zerwürfnisse ihres Arbeitslebens. Aber es machte nicht den Eindruck, als gehe es dabei um Eitelkeit, eher um die Integrität der Kritik: "Literaturkritiker sind keine Literaturbetriebsnudeln, und Literaturkritik ist etwas anderes als journalistische Dienstleistung, etwas anderes als markthörige Lobhudelei und Werbung für Easy Reading. Literaturkritik muss auch Nein sagen können", schrieb sie 2008 im Editorial der letzten Ausgabe von Literaturen, die sie als Herausgeberin verantwortete. Sie hatte sich mit dem Friedrich-Berlin-Verlag, in dem das Magazin erschien, über dessen künftige Ausrichtung nicht mehr einigen können und ging. 2011 wurde Literaturen zur Beilage des Ringier-Magazins Cicero und löste sich auf.

Seitdem arbeitet Sigrid Löffler als freie Kritikerin. Die Zeit der Kritikerpäpste ist lang vorbei, aber sie ist noch da. Am Sonntag wird sie 80 Jahre alt, sie liest und schreibt unbeirrt. Ein Rollenmodell für viele, die nach ihr kamen.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinung"Moralophobia" von Jörg-Uwe Albig
:Eine Verteidigung der Moral

Cancel Culture, "Gendergaga"-Abmahn-Proleten und Corona-Maßnahmen-Bekämpfer: Es ist das ganz scharfe Schwert, mit dem Schriftsteller Jörg-Uwe Albig gegen die Apologeten moralischer Kälte in den Kampf ziehen will. Wird er den Diskurs retten?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: