Süddeutsche Zeitung

Sigmar Polke:Schaumgeboren

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Badewannen-Fotos sind seit Loriot ein Topos deutscher Fotografen. In Leverkusen sind nun einige von Sigmar Polke zu sehen.

Von Michael Kohler

Auf einer Fotografie von 1966 hocken Sigmar Polke und Gerhard Richter gemeinsam in der Badewanne und sehen dabei ein bisschen aus, als hätte Loriot sie gezeichnet. Die Aufnahme wirkt eher brav, schon weil der heraushängende Stöpsel verrät, dass die beiden auf dem Trockenen sitzen. Ungefähr fünf Jahre später schaut uns Polke allein aus dem Bad entgegen und ist nicht wiederzuerkennen. Aus dem selbsternannten "kapitalistischen Realisten" war ein waschechter 68er geworden, der inmitten eines Rübenackers in seiner Kommune Hof hielt und Kunst im Kollektiv erzeugte. Angeblich hatten immer alle Kameras dabei, fotografierten wild drauf los und warfen die Abzüge dann zur späteren Verwendung auf einen großen Haufen. Im Leverkusener Museum Morsbroich ist derzeit ein kleiner, rund 500 Fotografien umfassender Ausschnitt dieser uferlosen Bilderproduktion zu sehen. Er stammt aus einer Kiste, die Polke (1941-2010) seinem Sohn Georg überließ, nachdem er 1978 nach Köln gezogen war, und die dieser verloren glaubte, bis er sie vor zwei Jahren durch Zufall wiederfand. Mitunter sieht man den erstmals präsentierten Abzügen die Jahre deutlich an, aber das macht nichts, denn das leicht stockfleckige Sammelsurium aus Schnappschüssen, fotografischen Notizen, Liebeserklärungen und Dunkelkammer-Experimenten ist auch eine Art vergilbtes Tagebuch. Oder so etwas wie das Familienalbum der rheinischen Kunstszene, in der sich Prominenz und heute Namenlose mischen.

Bunt gemischt sind auch die Fotografien. Es gibt weder Titel noch Daten, und die Urheberschaft ist nicht nur bei den Aufnahmen ungeklärt, auf denen sich Polke erkennbar ohne Selbstauslöser im Schaumbad vergnügt. Für Museumsdirektor Fritz Emslander ist es aber legitim, Polke als Schöpfer anzusehen, auch wenn er nicht den Auslöser betätigte - weil die Bilder mit seiner Kamera geschossen wurden und er sie später selbst bearbeitete. Vor allem sind die Aufnahmen aber ein Genuss, weil sie zeigen, wie sich der große Ironiker der Malerei neu erfand. Wir sehen: Polke, schaumgeboren.

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Quelle:
SZ vom 30.06.2018
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