Rap und Hip-Hop haben in Deutschland kein gutes Image. Gangster-Gehabe und Proletentum haben aus dem sogenannten "Müsli-Rap" der 1990er Jahre mit Gruppen wie Fantastische Vier ein Skandal-Genre werden lassen. Sido, der einst beim Label Aggro Berlin an vorderster Front den Gangster aus dem Berliner Ghetto gab, war einer der Musiker, die maßgeblich zu dieser Verdüsterung in der öffentlichen Wahrnehmung des Rap beigetragen haben. Im Hip-Hop-Film "Blutzbrüdaz" soll das nun anders sein. Die Aufsteiger-Geschichte von Otis und Eddie steht im Mittelpunkt und wird als romantische Idee von Hip-Hop als Weg zur Selbstbefreiung und Emanzipation dargestellt. Ist der deutsche Hip-Hop erwachsen geworden? Geht es tatsächlich nicht mehr um die derbsten Battle-Reime, um die Erniedrigung von Frauen und den billigsten Ruhm? Sido gibt im Gespräch mit der SZ Antworten.
sueddeutsche.de: Ihr Film "Blutsbrüdaz" handelt von zwei Rappern, die einen Männerbund fürs Leben schließen. Der Ruhm droht das Ganze dann zu zerbrechen. Muss man Hip-Hop-Fan sein, um so eine Geschichte zu mögen?
Sido: Eine Beschäftigung mit HipHop ist keine Voraussetzung für den Film. Ich hoffe aber doch, dass die Leute aus dem Kino gehen und sagen: Super, jetzt verstehe ich Hip-Hop ein bisschen besser. Und ich gebe gerne zu: Ich bin selbst mit dran schuld, dass diese Musik in Deutschland so ein negatives Image hat. Vielleicht kann ich ein paar der kriminellen Stereotype von gestern mit dem Film wieder ausbügeln.
sueddeutsche.de: Sie sprechen von Ihren alten Texten, für die Ihnen Frauenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung vorgeworfen wurde.
Sido: Ich möchte nicht meine alten Fehler verteidigen. Aber mir stinkt es doch, wenn deutsche Künstler mit anderen Maßstäben gemessen werden als ihre amerikanischen Kollegen. So wurde ich vor kurzem in einer Fernseh-Talkshow gefragt, ob mein elfjähriger Sohn mein jüngstes Video 23 - eine Art Action-Filmchen mit viel Explosionen und Gewalt - gesehen hat. Als ich verneinte, hieß es: Heuchler. Weil potentiell auch Kinder meine Videos zu Gesicht bekommen könnten. Sylvester Stallone hat auch Kinder: Wird der etwa ständig gefragt, ob sein Sohn Rambo III gucken darf?
sueddeutsche.de: Gewalt bleibt in Blutsbrüdaz allerdings außen vor. Als Otis spielen sie vielmehr einen Anti-Helden, der anrührend-menschlich erscheint. Viele Hip-Hopper scheuen sich davor, Gefühle zu zeigen. Hatten Sie keine Angst um Ihr Image?
Sido: Nein, Gefühle zu zeigen war nie ein Problem für mich. Einerseits liebe ich diese Auf-die-Kacke-Hau-Sachen. Andererseits kannst du von meiner ersten bis zur letzten Platte immer etwas finden, wo ich mich persönlich ganz schön nackig gemacht habe und damit für einen Rapper ziemlich angreifbar. Also dieses Menschliche gehörte schon immer zu mir. Da mach ich mir keinen Kopf drum. Ich glaube auch, dass ich inzwischen so einen Stand habe, dass ich die HipHop-Szene in diese Richtung beeinflussen kann.
sueddeutsche.de: Haben Sie sich - neben Ihren Kumpels Alpa und B-Tight in zwei Hauptrollen - das Team rund um den Film selbst zusammengestellt?
Sido: Für mich stand von Anfang an fest: Ich möchte Fatih Akin für die Regie. Als der keine Zeit hatte, schickte er uns stattdessen seinen Schüler Özgür Yildirim, den Regisseur von "Chiko". Wir verstanden uns auf Anhieb. Fatih ist nachträglich als Produzent eingestiegen, nachdem er das neunte Drehbuch gesehen hatte. Insgesamt wurden es sechzehn Fassungen: Wir haben das Ganze immer mehr von der Biographie zum Musikfilm umgeschrieben. Am Ende blieb nur noch die Geschichte zwischen den beiden Rappern und wie Musik ihr Leben beeinflusst. Du weißt von Otis nicht mal wo er wohnt oder was er für Eltern hat. Und von Eddie erfährst du nicht mehr, als dass er einen Banker-Vater hat, den er so gut wie nie sieht und dem er noch zwei Mark fünfzig schuldet.
sueddeutsche.de: Hat denn die Grundidee der Geschichte, die Aufstiegs-Saga von Otis, etwas Autobiographisches?
Sido: Wenn die Rapper sich im Wohnzimmer auf einem Kassettenrekorder aufnehmen lassen, aus einem Papierbogen die Cover ausschneiden, zurecht knicken, und dann die Tapes auf dem Tisch stapeln: Das kenne ich komplett aus meinem Leben. Nur an dem Punkt wo die Major-Plattenfirma ins Spiel kommt, weicht das Skript von meiner eigenen Geschichte ab: Otis und Eddie unterschreiben den Vertrag. Ich hab die im richtigen Leben gleich weg geschickt.
sueddeutsche.de: In Kontrast zur ausbeuterischen Major-Plattenfirma inszenieren sie die beiden Rapper als etwas naive Sympathieträger.
Sido: Ich wollte HipHop mal in ein anderes Licht stellen. Weil Leute immer denken, HipHopper sind wer weiß was für üble Typen, dabei sind die auch ganz sympathisch. Wir wollten uns von Anfang an von Bushidos Kino-Epos "Zeiten andern Dich" absetzen - mehr Witz in die Geschichte einbringen.
sueddeutsche.de: Sie werden sich an dem traditionsreichen Genre amerikanischer Hip-Hop-Filme messen lassen müssen. Etwa Eminems "8 Mile", in dem sich ganz ähnliche Battle-Rap-Szenen wie in "Blutzbrüdaz" abspielen.
Sido: Solche Battles gehören einfach zu HipHop dazu - in Amerika wie in Deutschland. Diesen Keller aus unserem Film gibt es übrigens wirklich, da habe ich mich früher gebattlet. Das Ambiente ist also durchaus authentisch. Klar, dass ich auch an amerikanische HipHop-Filme gedacht habe: "Hustle and Flow", "Get Rich Or Die Tryin'" oder "Notorious B.I.G.", die verfilmte Biographie des gleichnamigen Rappers und mein Lieblingsfilm von der Welt. Von dem habe ich mir eine dicke Scheibe abgeschnitten: Diese Lockerheit, aber auch dieser etwas unsaubere, funky Look. Deutsche Produzenten und Filmleute trauen sich ja meist nicht, den Film nicht deutsch aussehen zu lassen, ein Gesicht mal nicht ganz auszuleuchten..
sueddeutsche.de: Eddie gibt eher die Klischeefigur des ruchlosen, ruhmsüchtigen Rappers, während bei Otis doch viel Verletzlichkeit und Zweifel durchscheinen. Wer entspricht eher Ihrem eigenen Charakter?
Sido: Die beiden Charaktere sind von vornherein der Dramaturgie wegen als Gegensätze angelegt worden - ich kann mich mit keinem von beiden wirklich vergleichen. Was allerdings bei einem Film wie diesem passiert: Du hörst nicht nur die harte Mucke von den Rappern sondern siehst auch die Typen dahinter. Würden nur ihre Songs laufen, würden viele denken: Was für Unmenschen! Aber hier verstehst du, dass Rap immer ein bisschen auf die Fresse sein muss, um Respekt einzufordern, sich Luft zu machen... Die Songs von Otis funktionieren so ähnlich wie es früher bei mir war. Er reißt die Klappe auf. Sagt nicht nur sympathische Sachen. Und trotzdem ist er ein ganz normaler junger Mann, der eine Mutter hat, der auch Liebe empfindet. Ich kann dieses verzerrte Bild von Rappern nicht verstehen, dass die nur Leute auf der Straße anpöbeln. Das machen die bestenfalls in ihrer Musik. Rap hat eine eigene Sprache, die nichts mit dem Umgangston seiner Protagonisten zu tun hat - das darf man nicht vergessen.
sueddeutsche.de: Zum Glück legen Sie, wie auch Ihre Filmfigur Otis, immer wieder einen guten Schuss Selbstironie an den Tag.
Sido: Vielen Rapper fehlt das leider komplett. Da kann man Bushido etwa mit mir vergleichen: Bushido möchte auf keinen Fall lustig rüber kommen. Ich will natürlich auch ernst genommen werden, aber ich kann eben auch mal über mich lachen.
sueddeutsche.de: Die Aufsteiger-Geschichte von Otis und Eddie transportiert die romantische Idee von HipHop als Weg zur Selbstbefreiung und Emanzipation. Entspricht das heute noch der Realität?
Sido: Das war sicher mal so. Nicht umsonst ist der Film noch zu D-Mark-Zeiten angesetzt - heute geht es eher darum erfolgreich zu sein, beliebt zu sein, Weiber und Autos vorzuzeigen. Dieses Rebellische an HipHop findest du nur noch in einem kleinen elitären Zirkel.