Süddeutsche Zeitung

"Sicario" in der SZ-Cinemathek:Kampf der Schattenmonster

Im Thriller "Sicario" gerät Emily Blunt als FBI-Agentin zwischen die Fronten des Drogenkriegs und der eigenen Kollegen. Ein Film, der unsere Welt auf den Prüfstand stellt.

Von Anke Sterneborg

Seinen neuen Thriller "Sicario" erzählt der frankokanadische Regisseur Denis Villeneuve aus der Perspektive der jungen, idealistischen FBI-Agentin Kate (Emily Blunt). Sie ist angetreten, um die horrende Gewalt einzudämmen, die im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA nach Texas und Arizona schwappt.

Mit ihren entsetzten Augen sehen wir die verwesten Leichen, die bei einer Razzia in den Wänden eines amerikanischen Einfamilienhauses gefunden werden, die verstümmelten Körper, die an den Brückenköpfen auf dem Weg nach Juarez baumeln, das Blitzen der Pistolenfeuer und Explosionen in der mexikanischen Stadt. Kates Erschütterung, ihre mühsame Beherrschung, ihre ohnmächtige Hilflosigkeit prägen den ganzen Film. Dabei verkommt sie nie zum Kinoklischee, weder zur hysterischen "Scream Queen" noch zur hyperaktiven Action-Amazone. Sie ist einfach nur entschlossen, im Kampf gegen die brutale Gewalt, von der längst auch die Gesetzeshüter Gebrauch machen, nicht ihren moralischen Kompass zu verlieren.

Ihre Feinde sind nicht nur die Schergen der Drogenkartelle, sondern auch die Männer im eigenen Team. Matt Graver (Josh Brolin) vom Drogendezernat zum Beispiel, dessen joviale Lässigkeit einen schmierigen Unterton hat. Oder sein undurchsichtiger kolumbianischer Killer Alejandro (Benicio Del Toro), der dem Film seinen Titel verleiht - "Sicario" bedeutet Auftragsmörder. Nach "Traffic" und "Escobar - Paradise Lost" kämpft Del Torro sich hier zum wiederholten Mal durch die Untiefen des Drogenkriegs, doch die Keckheit, die seine Rollen sonst ausgezeichnet hat, ist einer wortkargen, zwielichtigen Autorität gewichen, er ist Schutzengel und Gegner zugleich.

Die Produzenten des Films haben stark dafür plädiert, die Frau im Zentrum von "Sicario" gegen einen Mann auszuwechseln, ein männlicher Star an der Stelle von Emily Blunt. Doch davon wollte Regisseur Villeneuve, der schon in früheren Filmen wie "Der 32. August auf Erden" oder "Die Frau, die singt" gerne aus weiblicher Perspektive erzählt hat, nichts wissen.

Überhaupt macht er Filme, die es eigentlich gar nicht mehr gibt, im heutigen Hollywood-System der Extreme, zwischen gigantischen Blockbustern und intimen Indie-Filmen. "Sicario" hat rund 30 Millionen Dollar gekostet, und erzielte mit einem kleinen Start auf wenigen Leinwänden einen hohen Zuschauerschnitt. Wegen solcher Erfolge kann Villeneuve seine Freiheiten verteidigen, die Wahl der Schauspieler oder sein Team aus Quebec. Und auch seine kanadische Perspektive auf das Nachbarland, die USA, von denen nationale Grenzen und Gesetze relativ leichtfertig verletzt werden. Der Film hätte auch in Afghanistan oder im Nahen Osten spielen können, sagt Villeneuve und fragt: "Muss man im Kampf gegen die Monster wirklich selber eines werden?"

Der Preis der Gewalt ist das große Thema des Frankokanadiers, der mit einer Kombination aus vibrierendem Realismus, atmosphärischer Dichte und herausragenden Schauspielern Hollywood durchschüttelt und zugleich die Welt, in der wir leben, auf den Prüfstand stellt.

Aber auch die Perspektive des Drehbuch-Debütanten Taylor Sheridan, der in der Grenzregion aufgewachsen ist, merkt man dem Film deutlich an. Er thematisiert die anarchischen Zustände in der Region, die sich im letzten Jahrzehnt noch weiter verschlechtert haben. Sheridan hat genau recherchiert, Kontakte zum FBI, zur DEA und zum Militär geknüpft. "Sicario" ist ein authentischer, spannender Actionfilm mit einer Tiefe, die ans Kino des New Hollywood anknüpft.

Ein Film, in dem Rache keinen Spaß macht und am Ende auch keine Erlösung bringt. Wie schon in Villeneuves vorherigem Thriller "Prisoners" bannt der Kameramann Roger Deakins auch hier moralische Undurchdringlichkeit und klaustrophobische Lebenserfahrung in beklemmend schöne Bilder. Im Spiel von flackernden Lichtern und dunstigen Schatten lösen sich alle Gewissheiten der Wahrnehmung auf. Dazu gehören auch die subjektiven Blicke durch Infrarotkameras und Nachtsichtgeräte, hinter denen die Gesichter der Protagonisten oft verschwinden. Die Produzenten des Films, die trotzdem immer noch unbedingt ihren Drogenthriller mit männlicher Hauptfigur haben wollen, denken derweil darüber nach, dem Sicario Alejandro einen eigenen Film zu widmen.

Sicario, USA 2015 - Regie: Denis Villeneuve. Buch: Taylor Sheridan. Kamera: Roger Deakins. Mit Emily Blunt, Josh Brolin, Benicio del Toro. Studiocanal, 121 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2015/cag
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