Shooting-Star Daniel Brühl:"Ich wünsche mir manchmal den Dämpfer."

Er ist berühmt, umschwärmt und viel zu nett für diese Welt. Aber er liebt es, die Leute in die Irre zu führen - Begegnung mit einem aufstrebenden Film-Talent, das nie eine Schauspielschule besucht hat.

Von Tanja Rest

Berlin, im Februar - Es war dieser Morgen auf La Palma, als er es zum ersten Mal kapierte. Drei Tage zuvor noch hatte er in Berlin den neuen Film vorgestellt, die übliche PR gemacht, war dann mit seiner Freundin in den Flieger gestiegen und abgehauen auf die Kanaren. Wandern, rumhängen, auf andere Gedanken kommen. Wieder er selber sein. Sie stapften durch struppige Lorbeerwälder, keine Menschenseele weit und breit, wirklich, es fühlte sich an wie das Ende der Welt. Und dann kamen ihnen plötzlich andere Wanderer entgegen, und die winkten und lachten schon von weitem. "Hej, Lenin!", riefen die Wanderer. Seine Freundin sagte nur: "Oh Gott." In dem Moment also hat er es geahnt, auf so eine beklommen-prickelige Art: Dass sich gerade sein Leben geändert hatte.

Shooting-Star Daniel Brühl: Er ist schon Leonardo di Caprio auf den Fuß getreten, hat neben Al Pacino gepinkelt.

Er ist schon Leonardo di Caprio auf den Fuß getreten, hat neben Al Pacino gepinkelt.

(Foto: Foto: AP)

Das Restaurant "Die Eins" an der Spree, an einem schiefergrauen Berlinale-Nachmittag. "Ich versuche schon, den Erfolg auch zu genießen, so lange er da ist", sagt Daniel Brühl. Er trägt Ringelpulli, Jeans und abgelatschte Turnschuhe, sieht bizarrerweise also ganz genau so aus wie in "Goodbye, Lenin!", nur erschöpfter. "Das kommt ja immer in so Wellen. Jetzt läuft es gerade sehr gut, und dann ist es auch wieder vorbei. Auf der nächsten Berlinale interessiert sich vielleicht kein Arsch mehr für mich."

Daniel Brühl, vollständiger Name: Daniel Martin Cäsar Brühl Gonzalez Domingo. Der Shooting-Star. Wenn man wissen will, was in den vergangenen zwölf Monaten mit ihm passiert ist, muss man nur zum nächsten Kiosk gehen. In keiner Zeitschrift fehlt in diesen Wochen sein Gesicht. Er ist "der Überflieger", "die Hoffnung des deutschen Films", der "Kultstar", idiotischerweise auch "die männliche Franka Potente" und überhaupt: "Auf dem Weg nach Hollywood!" Gerade ist er vier Wochen lang mit einer deutschen Abordnung durch die Staaten getourt, zwei Filme im Gepäck. Er hat die großen Galas besucht und die wichtigen Klinken geputzt. Er ist Leonardo di Caprio auf den Fuß getreten, hat neben Al Pacino gepinkelt, Billy Bob Thornton hat ihn am Arm gepackt und nach den latest news gefragt und offensichtlich nicht den Schimmer einer Ahnung gehabt, wen er vor sich hatte. Und jetzt ist er einfach nur platt.

Es hat in den USA keine Preise oder Nominierungen gegeben, nicht für "Goodbye, Lenin" und auch nicht für den neuen Film "Was nützt die Liebe in Gedanken", der an diesem Donnerstag bundesweit in die Kinos kommt. Brühl sagt, nach all dem Rückenwind sei die kleine Enttäuschung in den USA vielleicht mal ganz gesund. "Es war irgendwie gut, wieder ein Nobody zu sein. Keiner kannte uns. Wir waren ziemliche Würstchen dort."

Seit 48 Stunden ist er wieder in Berlin. In seinem Gesicht sind die Worte "Anspannung" und "Jetlag" in Großbuchstaben nachzulesen. Er hängt beidarmig aufgestützt über der Tischplatte, unruhige Augen halten sich im Raum an wechselnden Fixpunkten fest. "Ich muss mir eine gewisse Härte angewöhnen", sagt er fast beschwörend. "Ich muss öfter nein sagen zu Leuten, die was von mir wollen. Auch wenn es dann gleich heißt: Der ist jetzt arrogant." Brühl steht in dem Ruf, ein supernetter Typ zu sein. Seine Freundlichkeit hat fast schon etwas Unprofessionelles. Fünf Interviewminuten, und man möchte diesen gediegenen Regierungsviertel- Laden am liebsten verlassen und mit ihm in einer Prenzlberger Kneipe bei gutem Sound die Zeit totschlagen. Starqualitäten insofern: erstmal null.

Daniel Brühl ist 25 Jahre alt, Sohn eines Kölner TV-Regisseurs und einer spanischen Lehrerin. Er ist in Köln aufgewachsen, und seine Vita liest sich so, als sei es wirklich immer nur bergauf gegangen. Mit acht gewann er einen Lesewettbewerb, danach besorgte ihm sein Onkel, Hörfunkredakteur beim WDR, einen Job im Synchronstudio. Damals hat er sich zum ersten Mal "in den Kopf von einem anderen Jungen reingedacht", dieses Verstellspiel gefiel ihm. Er wurde die deutsche Stimme des jungen Jackie Chan und schaffte so den Sprung ins Filmgeschäft. Es kamen die ersten Auftritte im Fernsehen, eine Staffel "Verbotene Liebe", eine Nebenrolle in der Kino-Teeniekomödie "Schule" und schließlich - vier Jahre ist das gerade her - die erste Hauptrolle als Zivi in "Nichts bereuen". Er sagt, von all seinen Figuren komme ihm diese immer noch am nächsten.

Daniel war also "Daniel", Zivildienstleistender in der Altenpflege. In Wuppertal. Ein Typ wie du und ich, damals, in dieser verrückten Zeit zwischen dem Ende der Pubertät und dem Anfang von etwas Unfassbarem. Ein Durchschnittsbekloppter, der tagsüber die Scheiße vom Teppich schrubbt und nachts aus Liebe zu einem Mädchen die großartigsten und unsinnigsten Dinge tut: sich selbst ans Kirchenkreuz hängt, eine Tankstelle überfällt, mit einem Patienten so lange Korn kippt, bis der tot im Sessel hängt. Das Mädchen bekommt er trotzdem nicht. Dafür wurde die schöne Jessica Schwarz dann im richtigen Leben seine Freundin. Was natürlich so viel besser war.

Im nächsten Film - "Das weiße Rauschen" - spielte Brühl einen Schizophrenen mit solcher Intensität, dass es weh tat, ihm zuzusehen. Er war der staunende Klosterschüler in "Vaya con dios" und der wütende Amateurboxer in "Elefantenherz". Und schließlich, im Februar nulldrei, der Alex in "Goodbye, Lenin".

Mit dem Berühmtwerden ist es manchmal wie mit einem Sonnenaufgang. Es dauert eine Ewigkeit, bis sich die Konturen aus der Dunkelheit schälen und endlich das erste Glutpünktchen am Horizont auftaucht - und nur Minuten später ist die Sonne da. Brühl ist kein One-Hit-Wonder; er hatte über Jahre hinweg gute Rollen gespielt, Kritikerlob und Preise bekommen, es war sozusagen immer heller geworden um ihn. Aber berühmt geworden ist er innerhalb weniger Wochen.

Die Geschichte von Alex, der für seine Mutter die DDR noch einmal neu erfindet, haben hierzulande bisher sechseinhalb Millionen Menschen gesehen. "Lenin" hat im europäischen Ausland eine Menge Preise abgeräumt und die heimischen sowieso. Er wurde ein Film von so gewaltiger gesamtdeutscher Bedeutung, dass der Bundestag erstmals in seiner Geschichte geschlossen ins Kino ging. Als Brühl nach den zwei Wochen Urlaub von La Palma zurückkam, war die Hölle los.

In der Kneipe luden ihn die Leute zum Bier ein, im Supermarkt schwenkten sie strahlend Spreewaldgurken-Gläser. Bis heute kommen fremde Menschen auf ihn zu und wollen ihre Lebensgeschichte erzählen. "Ich bin auf Sympathieträger abonniert", sagt er resigniert. "Die Leute denken, ich wär' so ein super Kumpel und öffnen sich total. Aber das sind nur Sackgassengespräche."

Brühl ist Autodidakt, er hat nie eine Schauspielschule besucht. Vor jedem ersten Drehtag legt er eine lange Reise ins Innere seiner Figur zurück, deren Ziel in letzter Konsequenz die temporäre Selbst-Aufhebung ist. Im Boxer-Film "Elefantenherz" ließ er sich wirklich verprügeln, die Rolle des Schizophrenen im "Weißen Rauschen" hat ihn, so erzählen es Kollegen, an den Rand des Wahnsinns getrieben. "Ich will mir eine Figur nicht durch Technik erkämpfen", sagt er. "Ich muss die Person verinnerlichen, sonst geht's nicht."

Seltsamerweise fällt einem auf Anhieb keine einzige große Brühl-Szene ein. Dieser atemlose Kino-Moment, der einem Schauspieler ganz und gar gehört, wo er in die Trickkiste greift, Kür läuft, letztendlich auf die Trophäe spekuliert: Fehlanzeige. Eigentlich sieht es bei Brühl überhaupt nie so aus, als spiele er. Dafür sind seine Figuren zu unverstellt - "authentisch" nennen das die Kritiker.

In "Was nützt die Liebe in Gedanken" kann man das sehr gut beobachten. Es ist die wahre Geschichte der Steglitzer Schülertragödie von 1927: An einem Junitag gründen zwei Jungen einen Selbstmörderclub. Sie beschließen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, wenn es keine Liebe mehr darin geben sollte. Bei einem Sommerfest kommt es dann zu einem Eifersuchtsdrama um ein Mädchen. Am Ende ist ein Junge tot.

Brühl ist in diesem Film mit einem anderen Shooting-Star des deutschen Films, mit August Diehl, zu sehen, und der Gegensatz zwischen den beiden könnte kaum größer sein: Diehl ist ein ausgebildeter Schauspieler mit Theater-Erfahrung, er hat jeden Kniff, alle Zauberstückchen drauf. Brühl dagegen fällt wieder mal durch alle Raster. So viel bedeutungsschweres Tremolo die Abteilungen Dialog, Musik und Schnitt um ihn herum veranstalten: Er scheint doch immer nur er selbst zu sein.

Die Kamera mag sein Gesicht. Der typische Brühl-Moment ist das Close-up, wenn er von der Leinwand herab den Zuschauer direkt anschaut mit festem Blick, der die widersprüchlichsten Dinge mitteilen kann - Coolness und Verletzlichkeit, Selbstzweifel und Übermut oder auch einfach nur das große Staunen darüber, dass es so verdammt schwierig ist, erwachsen zu werden. "Geh endlich hin zu der Luca, Mann, was haste zu verlieren", nölt sein Kumpel Dennis in "Nichts bereuen". Daniel schaut in die Kamera und sagt: "Alles." Und man glaubt ihm.

Diese viel gerühmte Echtheit ist natürlich trotzdem eine Illusion. Brühl selbst versäumt in keinem Interview, darauf hinzuweisen, dass es ihm wahnsinnigen Spaß macht, die Leute anzulügen. Als Jugendlicher hat er sich mal eine Freundin in Paris ausgedacht, Krankheiten konnte er sich so heftig einbilden, dass ihm jeder Arzt anstandslos ein Attest ausstellte. Eine kleine Kostprobe davon gibt es auch in diesem Gespräch, bei der Frage, was er an seiner Zweitheimat Spanien so liebt. Die Antwort kennt man schon aus der Presse, sie lautet in Kurzform: Kakao, Zigaretten, Putzmittel. Brühl denkt nach. Er lächelt. Stockend sagt er dann: "Es sind Kleinigkeiten, die mich glücklich machen. Dieser... Geruch von Reinigungsmittel, den es nur in Spanien gibt. Die Fortuna-Zigaretten. Und, ja genau, der Kakao." Und jeder Zuschauer hätte geschworen, die Antwort sei ihm eben erst eingefallen. In diesem Moment glaubt er das wahrscheinlich selbst.

Die Bilanz des vergangenen Jahres sieht folgendermaßen aus: Daniel Brühl ist zum Europäischen Shooting-Star 2003 gewählt worden. Sein Kölner Gymnasium hat ihn zu einer Art Ehrenschüler ernannt, in einer Reihe mit Adolf Kolping, Friedrich Spee von Langenfeld und dem Physiker Ohm. Er hat mit der großen britischen Schauspielerin Judi Dench gedreht und Kontakte nach Hollywood geknüpft, auf die er aufbauen kann. Wenn er in diesen Tagen auf einen Berlinale-Empfang geht, rufen die Mädchen hinterm Absperrgitter seinen Namen. Das würde reichen, um auch stoischere Gemüter aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und natürlich warten jetzt alle nur darauf, dass er sich ein schnelles Auto kauft, mit den falschen Freunden Party macht und den dicken Max raushängen lässt. Oder einfach nur die Hosen voll hat aus Angst vor dem Absturz. Er sagt: "Ich hab' wirklich versucht rauszufinden, wie's mir geht. Die ehrliche Antwort ist: Ich weiß es nicht genau." Es ist kein verzweifelter Satz.

In "Liebe in Gedanken" überlegt Brühls Charakter Paul Krantz, wie es wohl wäre, sich im richtigen Moment zu verabschieden. "Dann, wenn du am glücklichsten bist. Am höchsten Punkt." Einen solchen Gedanken, sagt Brühl, habe er nie gehabt. "Ich hab' in meinem Leben so viel Glück gehabt, dass ich mir den Dämpfer manchmal fast wünsche. Und ich weiß, dass ich danach auch wieder hochkomme." Und vielleicht ist es ja wirklich so, dass dieser 25-Jährige von seiner Erfolgsstory selbst nicht so furchtbar beeindruckt ist. Dass er jetzt einfach mal weitermacht und schaut, was kommt. Hollywood oder Wuppertal. "Jedenfalls fände ich es bescheuert, für zwei mickrige Drehtage nach Los Angeles zu reisen, wenn ich hier in Deutschland richtig gute Rollen spielen kann. Man muss sich ja nicht mehr schämen für unseren Film." Spricht's, schreibt seinen Namen linkshändig ins Gästebuch der Serviererin, zieht den Parka an und verabschiedet sich sehr herzlich. Dann schlurft die Hoffnung des deutschen Films eine Tür weiter ins ARD-Hauptstadtstudio, zum nächsten Interview.

Auf der Wilhelmstraße ist ein Mann mit Schiebermütze stehen geblieben. "Tschuldigung, sagen Sie, wer war der junge Herr?" Daniel Brühl. "Ach schau, der Lenin!" Er dankt und geht weiter, der Spazierstock tackert übers Pflaster.Er sieht irgendwie beschwingt aus.

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